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"Die Vertreter dieser Länder sagen: Jetzt sollen wir die Zeche zahlen"

Hans-Gert Pöttering, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, bezeichnete den britischen Vorschlag zur mittelfristigen Finanzplanung der EU mit Blick auf die neuen EU-Mitglieder als inakzeptabel. Die Enttäuschung bei diesen EU-Ländern sei "natürlich riesengroß". Es wäre "sehr bedauerlich, wenn die schwachen, die ärmeren Länder jetzt die Zeche zahlen müssten", fügte Pöttering hinzu.

Moderation: Burkhard Birke | 02.12.2005
    Burkhard Birke: Der amtierende EU-Ratsvorsitzende Tony Blair wirbt zurzeit bei den osteuropäischen Ländern für seinen Vorschlag zur EU-Finanzierung. Gestern traf er sich mit Vertretern der Balten-Republiken, heute verhandelt er in Budapest mit Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Polen. Für die Periode 2007 bis 2013 will der britische Premierminister die EU-Ausgaben deutlich senken. Betreffen würde das insbesondere die Agrar- und Strukturausgaben; gleichzeitig könnte der "Britenrabatt" womöglich eingefroren oder gar marginal gekürzt werden - so in groben Zügen das Angebot. Ein akzeptabler, ein kompromissfähiger Vorschlag? Nicht unbedingt aus Sicht der Osteuropäer. Und mitgehört hat Hans-Gert Pöttering, er ist der EVP-Vorsitzende im Europaparlament. Herr Pöttering, bevor wir auf die mittelfristige Finanzierung der EU zu sprechen kommen, möchte ich doch noch mal auf die Leitzinserhöhung von gestern zu sprechen kommen. Zum ersten Mal in fünf Jahren hat ja die Europäische Zentralbank den Leitzins erhöht, von 2 auf 2,25 Prozent. Prominente Europapolitiker wie der luxemburgische Finanz- und Premierminister Jean-Claude Juncker, aber auch der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Bert Rürup, hatten gewarnt. War das ein Signal zum falschen Zeitpunkt?

    Hans-Gert Pöttering: Also ich glaube, dass diese Erhöhung von 2 auf 2,25 Prozent beim Leitzins ein sehr maßvolles Signal ist, so dass wir uns keine Sorgen machen müssen, dass dieses nun die Konjunktur beeinträchtigt. Und im Übrigen muss man darauf hinweisen - und das war ja die Grundlage der Entscheidung der Europäischen Zentralbank -, dass die Inflationsrate auf 2,4 Prozent angestiegen ist. Und es ist natürlich in unserem gemeinsamen Interesse, die Inflationsrate in Grenzen zu halten und sie nicht weiter ansteigen zu lassen. Und deswegen auch diese moderate Leitzinserhöhung durch die Europäische Zentralbank.

    Birke: 2,4 Prozent Inflation - die Inflation war aber schon rückläufig, denn sie lag schon mal höher und ist ja in erster Linie doch auch das Resultat gestiegener Ölpreise?

    Pöttering: Ja, das ist sicher richtig, aber gleichwohl ändert das ja nichts daran, dass die Inflation auf 2,4 Prozent angewachsen ist. Und mit dieser Leitzinserhöhung soll dem entgegengewirkt werden. Und dies ist ja nicht eine Festschreibung für alle Zeit, sondern man sollte nun zunächst einmal abwarten, wie die gesamte wirtschaftliche Entwicklung sich vollzieht, wie die Inflation sich weiter entwickelt. Und vielleicht werden wir ja angenehm überrascht, dass diese Leitzinserhöhung ein Beitrag ist, die Inflation wieder zu senken.

    Birke: Verteuert das nicht den Schuldendienst der öffentlichen Hand und damit die in Deutschland geplante Rückkehr zu den Maastricht-Kriterien?

    Pöttering: Ja da gibt es unterschiedliche Äußerungen der Fachleute. Einige sagen, das könnte der Fall sein; andere sagen, es ist eine so moderate Erhöhung des Leitzinses, dass dieses nicht zu erwarten ist. Sondern meine Empfehlung ist: Nun schauen wir mal, wie die Entwicklung geht und dann muss notwendigerweise - oder sinnvollerweise -, wenn sich die Dinge nicht so entwickeln, wie wir das hoffen, die Europäische Zentralbank noch mal zu Entscheidungen kommen. Aber ich empfehle, dass wir jetzt zunächst einmal die Entwicklung abwarten.

    Birke: Liegt denn nicht längerfristig auch ein wahrer Grund für die Inflationserwartungen der EZB in der von der Bundesregierung geplanten Mehrwertsteuererhöhung?

    Pöttering: Also da würde ich jetzt keine Zusammenhänge sehen, denn die Mehrwertsteuer ist ja in anderen Ländern der Europäischen Union sehr viel höher als bei uns. Hier vermute ich keinen unmittelbaren Zusammenhang.

    Birke: Obwohl die Erhöhung wohl mit 0,3 Prozent Steigerung bei der Inflationsrate in Euroland zu Buche schlagen wird?

    Pöttering: Ja auch das sind Prognosen, deren Wahrscheinlichkeit ja in keiner Weise erwiesen ist. Sondern, jetzt warten wir mal ab, wie die Entwicklung geht. Und dann muss man möglicherweise zu anderen, neuen Entscheidungen kommen. Nichts ist für alle Zeit festgeschrieben. Also man sollte jetzt auch nicht annehmen, dass sich die Dinge dramatisch entwickeln. Dafür ist diese Leitzinserhöhung sehr moderat.

    Birke: Sie sehen also noch nicht das Ende der Niedrigzinsphase?

    Pöttering: Das bleibt abzuwarten. Sondern wir haben jetzt zunächst einmal festzustellen, dass die Europäische Zentralbank ihre Entscheidung getroffen hat - die EZB ist unabhängig. Es ist natürlich das gute Recht von jedem, das zu kommentieren. Aber rechtlich und politisch hat die Europäische Zentralbank die Möglichkeit, das zu tun, was sie getan hat - das war ja früher bei der Deutschen Bundesbank auch nicht anders. Und jetzt warten wir ab, wie die Entwicklung geht.

    Birke: Herr Pöttering, bleiben wir beim Geld. Wir wollen jetzt aber nicht über den Preis fürs Geld, den Zins, sprechen, sondern über das Geld, das die Europäische Union in den kommenden Jahren auszugeben plant. Wir haben ja vorhin gehört, der amtierende EU-Ratsvorsitzende Tony Blair wirbt zurzeit bei den Osteuropäern für seinen Vorschlag, eben die Mittel zu kürzen um 20 bis 25 Milliarden Euro. Betroffen wären natürlich in erster Linie ja auch die Strukturausgaben, aber auch die Agrarausgaben der Gemeinschaft. Gleichzeitig könnte es Zugeständnisse beim "Britenrabatt" geben. Ist denn Tony Blair hier der Sheriff von Nottingham, der, im Gegensatz zu Robin Hood, den Armen das Geld nimmt und den Reichen gibt?

    Pöttering: Also wir sehen jetzt schon im Europäischen Parlament, wie die Wirkung dieser Vorschläge von Tony Blair ist, nämlich bei den Beitrittsländern sehr, sehr negativ. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass die acht mitteleuropäischen Länder - also Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei, Ungarn und Slowenien -, dass sie eine Aufarbeitung von mehr als 50 Jahren Kommunismus vor sich haben und zum Teil ja auch schon erfolgreich bestanden haben. Und es gibt weite strukturschwache Gebiete, in Polen, in Ungarn, in den anderen Ländern. Und die Vertreter dieser Länder sagen: Jetzt sollen wir die Zeche zahlen. Luxemburgs Ministerpräsident, Premierminister Jean-Claude Juncker, hatte ja einen Finanzrahmen vorgeschlagen, der höher lag, als das, was Tony Blair nun vorsieht. Und die Enttäuschung ist natürlich riesengroß bei den Mitteleuropäern. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Mitteleuropäer zu diesem Vorschlag von Tony Blair Ja sagen werden. Jedenfalls das, was ich höre über unsere Kollegen im Europäischen Parlament, wird das Nein in den mitteleuropäischen Ländern sehr stark sein.

    Birke: Droht hier wieder eine Spaltung in Alt und Neu? Ich meine, Polen soll ja allein 60 Milliarden über den Zeitraum bekommen. Das wären ja dann fast zehn oder 15 Prozent weniger?

    Pöttering: Ja das wäre eben sehr bedauerlich, wenn die schwachen, die ärmeren Länder jetzt die Zeche zahlen müssten. Großbritannien sollte auch bereit sein, bei seinem eigenen "Britenrabatt", bei der Reduzierung der Leistungen Großbritanniens nun einen großen Schritt zu tun. Und das ist doch nicht akzeptabel, wenn sozusagen das reiche Großbritannien die Zeche zahlen lässt durch die Ärmeren. Insoweit ist dieses Beispiel des Kommissionspräsidenten Barroso mit dem Sheriff von Nottingham ein schönes Beispiel: er hat den Armen genommen, den Reichen gegeben. Natürlich müssen wir sparen, das ist auch im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Und der Vorschlag von Jean-Claude Juncker im Juni war ja ein Vorschlag, mit dem Deutschland einigermaßen gut zurechtkam. Und dann gibt es, Herr Birke, noch einen anderen Aspekt zu sehen: Der Ministerrat, also die Regierungen, sind die eine Seite der Haushaltsbehörde; also sie stellen 50 Prozent der Entscheidungsträger dar. Aber die andere Seite der Haushaltsbehörde ist das Europäische Parlament. Und wenn das Europäische Parlament am Ende Nein sagt zu den Vorschlägen, dann kommt die finanzielle Vorausschau - also das, was wir in Deutschland "mittelfristige Finanzplanung" nennen würden - überhaupt nicht zustande. Und deswegen kann ich nur empfehlen, das Europäische Parlament in einer verantwortlichen und angemessenen Weise hier einzubinden. Ohne uns, ohne das Parlament läuft am Ende auch nichts.

    Birke: Wir lassen Sie ja schon auch als Vertreter des Parlamentes dann entsprechend zu Wort kommen. Aber, Herr Pöttering, wo muss man denn sparen? Gespart werden muss doch offenbar: 40 Prozent der Mittel fließen immer noch in den Agrarbereich. Kann sich denn die EU auch mit Blick auf die Welthandelsrunde weiterhin so hohe Agrarhilfen leisten?

    Pöttering: Also es hat ja schon eine sehr dramatische Reform der Agrarpolitik gegeben in der Zeit des Mitglieds der Kommission Franz Fischler. Es werden weniger die Produkte bezuschusst, sondern mehr der ländliche Raum. Hier hat es schon eine klare Umstrukturierung gegeben. Aber es ist leider - sage ich ausdrücklich - eine Tatsache, dass aufgrund einer Initiative des französischen Staatspräsidenten Chirac der frühere deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder bereit war, den gesamten Finanzrahmen für die Agrarpolitik bis zum Jahre 2013 festzuschreiben. Das heißt, Chirac ist es gelungen, die Agrarpolitik, ihre Finanzierung schon vor der finanziellen Vorausschau festzuschreiben bis zum Jahre 2013.

    Birke: Kann Angela Merkel das ändern?

    Pöttering: Nach der "Erklärung von Paris", so wie ich sie zur Kenntnis genommen habe, geht sowohl die Bundesregierung wie die französische Regierung davon aus, dass dieser Finanzrahmen beschlossen ist und Gültigkeit hat. Aber was man sich natürlich vorstellen kann, ist, dass man sagt, man wird im Jahre 2008 oder im Jahre 2009 die Finanzierung der Agrarpolitik auf den Prüfstand stellen. Und auf einem solchen Wege könnte man dann am Ende zu einem Kompromiss kommen.

    Birke: Wäre das auch der Kompromiss, der dann die Basis für eine vorläufige Einigung auf dem EU-Gipfel in 14 Tagen sein könnte?

    Pöttering: Das könnte ein Element sein. Das andere Element ist natürlich der "Britenrabatt". Und das dritte Element sind die Strukturhilfen. Dann will Tony Blair, da hat er ja sicher Recht, auch stärker in die Forschungsförderung gehen, mit dem europäischen Haushalt. Also man kann das nicht auf einen Faktor zurückführen, sondern es müssen mehrere Faktoren hier berücksichtigt werden. Und alle müssen bereit sein, einen Schritt zu tun. Aber ich hielte es nicht für gerechtfertigt, wenn nun von den mitteleuropäischen Ländern, die ja einen weiten Weg der Reform vor sich haben, hier nun erwartet wird, dass sie am Ende die Zeche zahlen für die Briten, und das ist nicht akzeptabel.