Donnerstag, 28. März 2024

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"Die Vorratsdatenspeicherung ist nach wie vor umstritten"

Man müsse immer genau hinschauen, welche Gesetze man brauche und welche die Freiheit einschränkten, sagt Gisela Piltz von der FDP. Das Bundesverfassungsgericht habe mit dem Verbot der Vorratsdatenspeicherung klare Vorgaben gemacht, auf die die Politik nun reagieren müsse.

Gisela Piltz im Gespräch mit Peter Kapern | 09.09.2011
    Peter Kapern: Die Verhaftung zweier Terrorverdächtiger gestern in Berlin hat – und das ist wenig überraschend – die Debatte um die Sicherheitsgesetze in Deutschland neu angeheizt. Unmittelbar vor dem 10. Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September 2001 geht damit die Diskussion um Vorratsdatenspeicherung und Datenschutz in die nächste Runde.
    Mitgehört hat Gisela Piltz, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag. Guten Tag!

    Gisela Piltz: Guten Tag, Herr Kapern!

    Kapern: Frau Piltz, ist das eigentlich so was wie ein Naturgesetz der sicherheitspolitischen Debatte, die bestehenden Gesetze beweisen ihre Wirksamkeit, wie beispielsweise gestern durch die Verhaftung der beiden Terrorverdächtigen, und prompt wird ihre Verschärfung gefordert?

    Piltz: Ja, das scheint leider in Deutschland so zu sein. Wenn ich mich erinnere an diesen furchtbaren Anschlag in Norwegen und wie die Norweger reagiert haben, dann, finde ich, ist das aus meiner Sicht sehr viel besser, dass man sich nämlich erst mal darüber freut und die Arbeit auch der Sicherheitsbehörden würdigt, die dazu geführt hat, dass so ein Anschlag in Deutschland wieder vereitelt worden ist. Und ich glaube, es wäre gut, immer in Ruhe auf so etwas zu reagieren, als wie aufgeschreckte Hühner neue Eingriffsbefugnisse zu fordern.

    Kapern: Andererseits muss man sich ja fragen, angesichts der Tatsache, dass selbst der Datenschutzbeauftragte, Peter Schaar, sagt, zehn Jahre nach 9/11, also nach den Terroranschlägen vom 11. September, könne er überhaupt keine Datensammelwut der deutschen Sicherheitsbehörden erkennen. Da fragt man sich doch, geht diese ständige Bedenkenträgerei nicht an der Realität vorbei?

    Piltz: Ich glaube, dass man immer sehr genau hinschauen muss, brauchen wir Gesetze und inwieweit beeinträchtigen sie die Freiheit, ohne tatsächlich Sicherheit zu garantieren, oder zu gewährleisten. Und ich glaube, dass es sinnvoll ist, dass man immer genau hinschaut, im Einzelfall und das immer wieder wirklich abwägt. Das hat weder was mit Datensammelwut zu tun, noch mit purer Gegnerschaft, sondern ich glaube, das ist das, was Wählerinnen und Wähler erwarten, dass man sich genau anschaut, was man ändert, und welche Gesetze man erlässt, und nicht, dass man einfach aktionistisch irgendetwas tut.

    Kapern: Und die Vorratsdatenspeicherung gewährleistet keine Sicherheit?

    Piltz: Die Vorratsdatenspeicherung ist nach wie vor umstritten, aber man darf nicht vergessen: Es hat ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegeben, das gesagt hat, so, wie die ehemalige so genannte Große Koalition das entschieden hat, geht es nicht. Und in Brüssel wird gerade überlegt, ob das so, wie man das irgendwann in Brüssel einmal entschieden hat, ob das so sinnvoll ist, und selbstverständlich überlegen wir auch, brauchen wir das in dem Umfang. Wir haben einen Vorschlag, beziehungsweise die Justizministerin hat einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, und wir würden uns sehr freuen, wenn über diesen, aus unserer Sicht Sicherheit und Freiheit abwägenden Vorschlag die Union ernsthaft mit uns diskutieren würde.

    Kapern: War denn nicht die Ursache des Bundesverfassungsgerichtsurteils, das Sie gerade angeführt haben, die Tatsache, dass die Bundesregierung, die damalige, die EU-Vorgaben weit übererfüllen wollte?

    Piltz: Selbstverständlich wurden die Vorgaben durchaus auch weiter erfüllt, als man das ursprünglich vorgesehen hat. Aber es liegt natürlich auch daran, weil wir in Deutschland durch das Trennungsgebot und andere Vorschriften auch ein anderes System haben als viele andere europäische Länder, dass man vieles, was aus Brüssel kam, auch so oder so interpretieren konnte. Und das Bundesverfassungsgericht hat ganz klar gesagt, so nicht, und ich glaube auch, es ist Aufgabe der Politik und insbesondere des Deutschen Bundestages zu überlegen, wie denn, und dazu haben wir eben einen Vorschlag auf den Tisch gelegt.

    Kapern: Wenn Ihnen jemand sagt, dass die Terroranschläge, die furchtbaren Terroranschläge von Madrid, nur durch die Vorratsdatenspeicherung aufgeklärt werden konnten, würden Sie dem zustimmen?

    Piltz: Ich glaube, dass das alleine damals nicht der Grund gewesen ist. Es ist sicher so, dass in Teilbereichen die Vorratsdatenspeicherung hilft, aber wie immer ist es am Ende eine Frage von Abwägung, was lässt man zu und was geht einem zu weit. Da haben wir durch das Bundesverfassungsgericht natürlich auch klare Leitplanken bekommen. Und am Ende des Tages muss man diese Abwägung immer wieder bei jedem Gesetz treffen.

    Kapern: Nun ist ja dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht gerade von gestern. Bis wann wird sich denn die Koalition nun geeinigt haben?

    Piltz: Wie gesagt, wir haben zu Beginn des Jahres einen Vorschlag vorgelegt, der aus unserer Sicht ein grundrechtsschonender Eingriff ist, der aber auch der Polizei Möglichkeiten bringt, die sie möglicherweise jetzt noch nicht hat. Und auf der anderen Seite muss man sich überlegen, dass in Brüssel gerade an einer Überarbeitung dieser …

    Kapern: Richtlinie?

    Piltz: … Richtlinie – vielen Dank! – gearbeitet wird.

    Kapern: Bitte schön!

    Piltz: Und von daher macht es aus deutscher Sicht natürlich auch keinen Sinn, auch aus wirtschaftlicher Sicht, jetzt etwas umzusetzen, was möglicherweise dann einige Wochen später wieder verändert werden müsste. Von daher macht es aus unserer Sicht sehr wohl Sinn, auch darauf zu warten, was Brüssel denn jetzt erneut von uns verlangt.

    Kapern: Die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung bleibt uns also noch eine geraume Zeit erhalten. – Gisela Piltz war das, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag, heute Mittag im Deutschlandfunk. Frau Piltz, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Piltz: Ich danke Ihnen! Einen schönen Tag noch.


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