Die Vulva in der Kunst

Der künstlerische Blick auf das weibliche Geschlecht

43:48 Minuten
Künstlerische Interpretationen der Vulva
Die Vulva wird von feministischen Künstlerinnen wiederentdeckt: gestickt, gedruckt, in Gips oder im Theater © Deutschlandradio / Pia Masurczak
Von Pia Masurczak · 07.05.2021
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Einen Penis können fast alle zeichnen, sagt die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal. Aber eine Vulva mit allem was dazu gehört? Daran scheitern oft selbst diejenigen, die dieses Geschlechtsteil besitzen. Doch es ändert sich was, denn die Vulva feiert ein Revival in der Kunst.
Mumu, Pussy, Muschi oder, ganz klassisch Scheide: Für das "Untenrum" gibt es in der deutschen Alltagssprache viele Begriffe. Doch warum sind trotzdem die wenigsten in der Lage, die Geschlechtsteile korrekt zu benennen?
Dieser Frage stellen sich die beiden Theatermacherinnen Lisa Marie Stoiber und Marie Jordan in ihrem Stück "We love to entfern you". Sie wollen in ihrer einstündigen Performance Klischees und Missverständnisse über die Vulva auflösen und zwar mithilfe von Kostümen und Requisiten, aber auch mit ihren persönlichen Geschichten. Deshalb erzählen sie den Zuschauenden von ihrer Pubertät, von den ersten sexuellen Erfahrungen genauso wie von Begegnungen mit Missbrauch und Gewalt.

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Eine junge Frau liegt in einem Bett und hält ein Laken.
© imago images / Westend1
Der Körper ist politisch
Das Politische im Umgang mit dem eigenen Körper zu finden – dieser Anspruch zeichnet die Wiederentdeckung der Vulva in Kunst und Aktivismus derzeit aus. Auch Lena Hensen, die in Berlin als Sozialarbeiterin und Künstlerin arbeitet, will gesellschaftliche Tabus brechen:
"Ich glaube, dass es leichter ist, wenn Frauen erst einmal mit anderen Frauen ihr Genital bewundern."
Ihre Vulva-Skulpturen aus Papiermaché, die Wandteppiche mit Frauenkörpern und gestickten Vulven hat Hensen zuletzt im Frauenzentrum "Paula Panke" ausgestellt. Bei der Herstellung der Stücke greift sie immer auch auf Erfahrungen aus ihrer Arbeit in einer Beratungsstelle zur Prävention sexualisierter Gewalt zurück. Sie sagt, über körperliche Gewalt und Ungerechtigkeiten könne nur sprechen, wer auch seinen eigenen Körper kenne.
Die Eintrittskarte für den Vulvaversity-Workshop: Eine auf gold-glitzernder Pappe gemalte Vulva
Die Eintrittskarte für den Vulvaversity-Workshop© Deutschlandradio / Pia Masurczak
Das Thema Sexismus und Gewalt spielt bei der Beschäftigung mit der Vulva fast immer eine Rolle. Aktuelle künstlerische Auseinandersetzungen finden vor dem Hintergrund einer feministischen Kunsttradition statt. Künstlerinnen wie Carolee Schneemann oder Valie Export haben in den 1970er und 1980er Jahren Unterdrückung, Beschämung und körperliche Autonomie ins Zentrum ihrer Arbeit gestellt.
Die Künstlerinnen Lena Hensen, Lisa Marie Stoiber und Marie Jordan möchten aber auch einen liebevollen Blick auf die Vulva werfen. Wut sei zwar wichtig, sagt Hensen. "Aber mein Zugang ist ein positiver. Mein Zugang wäre nicht, ich bin immer wütend. Wobei ich glaube, dass Wut ab und zu wirklich hilfreich ist, weil Wut viel in Gang setzt und Energien freisetzt."
Die ‚Vulvaheldinnen‘ erzählen in „We love to entfern you“ von mythischen Gestalten aus der Kulturgeschichte der Vulva.
Die ‚Vulvaheldinnen‘ erzählen in „We love to entfern you“ von mythischen Gestalten aus der Kulturgeschichte der Vulva. © Deutschlandradio / Rainer Muranyi
Es muss nicht immer explizit sein
Nadira Husain und Zoe Claire Miller, die gerade eine gemeinsame Ausstellung in Berlin eröffnet haben, sind sich ebenfalls der eher aggressiven Tradition feministischer Kunst bewusst. "Das ist unser Ausgangspunkt, den wir aufgreifen müssen, weil patriarchale Strukturen immer noch dominieren." Mit einer aktuellen Arbeit bezieht sich Zoe Claire Miller auf die "Plaster Casters".
Cynthia Plaster Caster stellte in den 1960er Jahren Gipsabdrücke von den Penissen der damals bekanntesten Rockstars her. Nadira Husain will sich in ihrer Kunst aber nicht auf die realistische Darstellung von Körperteilen beschränken: Für die Malerin verweisen auch pflanzliche und organische Motive in ihrer Fülle und Pracht auf die Vulva.
Kunst und Selbsterkenntnis
Trotz der Vorbilder und aller – gerade online – verfügbaren Bilder von Vulven gibt es nach wie vor viel zu tun, um die Vulva in unserer Gesellschaft sichtbar zu machen. Das Vulvaversity-Kollektiv aus Freiburg hat deshalb einen Abreißkalender mit 356 Vulva-Fotos veröffentlicht.
"Es gab solche, die sich noch mal waschen wollten, andere, die sie extra frisch rasiert hatten und andere, die da eben explizit nicht rasiert hatten wochenlang", erinnert sich eine der Fotografinnen an das Shooting. Mit den Abbildungen unterschiedlicher Farben und Formen von Vulven will das Freiburger Kollektiv den normierten Schönheitsvorstellungen entgegenwirken.
Gipsskulpturen von Zoe Claire Miller kurz vor dem Brennen. Die Skulpturen bilden Arme, Hände, Beine, Füße und Brüste ab.
Gipsskulpturen von Zoe Claire Miller kurz vor dem Brennen. © Deutschlandradio / Pia Masurczak
So steht auch bei der Veröffentlichungsfeier des Kalenders der Gedanke der Vielfalt im Vordergrund. In einem abgetrennten Bereich haben Besuchende die Möglichkeit, Gipsabdrücke ihrer Vulven herzustellen. Mit Modelliermasse wird zuerst ein Negativabdruck des Körperteils hergestellt. Dieser wird dann anschließend mit Gips ausgegossen.
"Diese Scham kommt daher, dass man glaubt, das ist abnormal", sagt eine der Teilnehmerinnen. Umso größer ist die Neugier und Überraschung bei den Teilnehmerinnen, als am Ende des Workshops alle Gipsfiguren bestaunt werden können. "Dass man ein Piece mit nach Hause nimmt, ist sicherlich einfach schön, weil man dann einen Anlass hat, mit anderen darüber zu sprechen und Aufklärungsarbeit zu leisten."
Die Vulva hat noch revolutionäres Potenzial
Kunst und feministischer Aktivismus beeinflussen sich dabei nach wie vor gegenseitig, stellt die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal im Interview fest. Mit dem Bild der Vulva wird derzeit zum Beispiel um Rechte wie die Legalisierung von Abtreibungen gekämpft, sagt sie. "Das hat ganz viel damit zu tun, dass, weil die Vulva so lange verdrängt wurde, sie noch ein revolutionäres Potenzial hat, sie noch nicht komplett kommerzialisiert worden ist."
Dass der liebevolle Blick auf die Vulva heute dennoch zu dominieren scheint, liegt laut Sanyal auch an den Kämpfen der letzten Jahrzehnte: "Wir haben diese fünfzig Jahre und die ganze Forschung über weibliche Avantgarde im Rücken. Das heißt, wir haben heute auch die Möglichkeit, ganz viel positiv zu erkunden."
Erstsendedatum 13.11.2020
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