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" Die Wehrpflichtigen so behandeln, wie sie es verdienen"

Zum letzten Mal treten Rekruten den sechsmonatigen Grundwehrdienst an. Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus, fordert angesichts der Aussetzung der Wehrpflicht die Vermeidung von Härtefällen.

Hellmut Königshaus im Gespräch mit Friedbert Meurer | 03.01.2011
    Friedbert Meurer: Hellmut Königshaus von der FDP ist Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Herr Königshaus!

    Hellmut Königshaus: Schönen guten Morgen!

    Meurer: Die meisten jungen Männer freuen sich ja, dass es vorbei ist, dass man nicht mehr einberufen wird, freuen Sie sich auch für Sie?

    Königshaus: Na ja, ich kann es schon verstehen, dass diejenigen, die nun nicht mehr zu einem Pflichtdienst einberufen werden, der ihnen unlieb wäre, dass die sich darüber freuen, natürlich. Aber es ist natürlich umgekehrt schon so, dass diejenigen, die sich nun drauf eingestellt haben, dass sie einen bestimmten Zeitraum in ihrer Lebensplanung vorgesehen haben, für die ist das manchmal auch schwierig, weil sie jetzt nicht wissen, was sie in dieser Zeit tun sollen.

    Meurer: Es hieß ja früher öfter mal, das ist alles ein Gammeldienst, irgendwie langweilig und sinnlos. Sie selbst haben zwei Jahre als Zeitsoldat mitgemacht bei der Bundeswehr, war das eine vertane Zeit?

    Königshaus: Nein. Ich bin übrigens zunächst auch einberufen worden und habe mich dann als Wehrpflichtiger dann weiterverpflichtet.

    Meurer: Warum haben Sie das gemacht?

    Königshaus: Ja, einfach auch deshalb, weil ich festgestellt habe, das ist keine vertane Zeit, das sind Erfahrungen, die man dort macht, die sind positiv. Und natürlich hat es auch damals damit zu tun gehabt, dass die Wehrpflicht ja 18 Monate dauerte und die Verlängerung um ein halbes Jahr natürlich nicht so sehr ins Gewicht fiel, aber dann erheblich bessere Bezahlung auch brachte. Also das waren natürlich schon auch Gesichtspunkte, die damals schon eine Rolle gespielt haben. Aber ich glaube, insgesamt ist es auch so, dass die Wehrpflichtigen auch heute durchaus Positives dort haben. Wir haben das jetzt gerade festgestellt bei der Herabsetzung von neun auf sechs Monate, dass viele derer, die eigentlich nach sechs Monaten jetzt hätten gehen können, gesagt haben, nein, wir wollen die neun Monate - das wurde ihnen ja freigestellt - dann auch voll ausschöpfen, einfach weil es ihre Planung auch so vorgesehen hatte.

    Meurer: Ist das materiell irgendwie besonders vergütet worden, war das finanziell attraktiv, drei Monate länger?

    Königshaus: Nein, das war es nicht, sondern es war einfach die Frage, was soll ich denn sonst in diesen drei Monaten machen, ich hab mich drauf eingerichtet, dann und dann beginnt meine neue Arbeit oder dann und dann beginnt mein Studium - und dann machen die das weiter. Das war eben jetzt eine Sondersituation natürlich, das ist klar, aber das zeigt eben, dass der Dienst so schlimm von ihnen nicht empfunden wurde, sondern dass sie durchaus auch Positives darin gesehen haben.

    Meurer: Man darf aber trotzdem mal vermuten, dass diejenigen, die heute eingezogen werden - 12.000 ungefähr sollen es sein, sagt die Bundeswehr –, dass sie sich ein bisschen als die letzten Mohikaner fühlen und denken, Mist, ein halbes Jahr später, dann wäre der Kelch an mir vorbeigegangen. Gab es eigentlich die Möglichkeit, sich freistellen zu lassen, einfach dieses halbe Jahr noch hinauszuzögern und damit an der Pflicht vorbeizukommen?

    Königshaus: Also, dass manche dieses Gefühl haben, dass es gerade sie nun erwischt hat, das sei nun geradezu ärgerlich, das ist das Problem, das sie natürlich immer bei Stichtagen haben oder bei Schwellenwerten haben, dass der eine oder andere sagt, mein Gott, ein paar Tage später und ich wäre nicht mehr dabei gewesen - das ist ganz verständlich. Aber es ist natürlich auch so, dass viele derer, die jetzt dadurch eine besondere Härte haben, eine persönliche Härte haben, weil sie also einen Arbeitsplatz dadurch sonst gefährden würden oder Ähnliches, dass die nun Zurückstellung - was ja im Prinzip jetzt bedeutet natürlich dann Befreiung - dann beantragt haben. Und ich habe den Eindruck, dass der Dienstherr, dass die Bundeswehr dort relativ großzügig oder sogar sehr großzügig verfahren ist. Und dazu fordere ich sie auch auf, dass sie jetzt also in diesem Zusammenhang tatsächlich auch großzügig verfährt. Aber was für mich noch viel wichtiger ist, ist, dass diejenigen, die nun den Dienst auch machen, dass die auch entsprechend vom Dienstherrn, von den Ausbildern auch tatsächlich dann geschätzt werden, dass die Soldaten selbst das Gefühl haben im Dienst, jawohl, das bringt auch mir persönlich was, und dass die Ausbilder nicht sagen, mein Gott, das sind sowieso die letzten, da brauchen wir uns jetzt nicht zu kümmern, wir müssen jetzt sehen, dass wir uns auf die neue Struktur dann auch ausrichten. Und darauf werde ich auch achten jetzt das nächste halbe Jahr, genauso wie ich es im letzten halben Jahr auch gemacht habe, verstärkt auch drauf achten, dass der Wehrdienst, dass die Wehrpflichtigen auch so behandelt werden, wie sie es jetzt verdienen.

    Meurer: Was sagt man denn in der Bundeswehr dazu, dass es vorbei ist mit der Wehrpflicht?

    Königshaus: Es gibt dort sehr unterschiedliche Auffassungen. Die einen sagen, dass insbesondere jetzt nach der Verkürzung des Wehrdienstes, das bringt der Truppe selbst gar nichts mehr. Es gibt insbesondere eben auch eine ganz kühle Berechnung, die einfach sagt, dass im Vergleich zu dem, was man an zusätzlichen Fähigkeiten gewinnt durch die Wehrpflichtigen, dass das weit überkompensiert wird durch den Aufwand, den man für die Ausbildung treiben muss. Da gibt es also die unterschiedlichsten Gesichtspunkte.

    Meurer: Will die Bundeswehr sich abkoppeln von der Gesellschaft?

    Königshaus: Das glaube ich also nun überhaupt nicht, das hat sie ja bisher auch nicht getan. Wenn Sie mal betrachten, dass früher – noch zu meiner Zeit, Sie haben das angesprochen - mehr als die Hälfte der Truppe aus Wehrpflichtigen bestand und das heute eben nur noch ein Fünftel etwa der Truppe ist, dann ist ja ganz klar, dass auch in dieser Zeit die Bundeswehr sich ganz normal auch als Teil der Gesellschaft dargestellt und integriert hat. Und daran habe ich auch keinen Zweifel, dass das in Zukunft der Fall sein wird.

    Meurer: Besteht die Gefahr, dass das Klima in der Bundeswehr rauer wird?

    Königshaus: Nein, das glaube ich eigentlich auch nicht, sondern es ist ja so, dass die Bundeswehr heute keine Armee mehr ist, wie sie manche noch sich so vorstellen aus der Zeit vorm Krieg oder aus den früheren Armeen. Die Bundeswehr besteht ja zum großen Teil eben doch aus ganz anderen Personen als früher. Es sind also im Offizierskorps größtenteils akademisch gebildete Menschen, und alle die, die im Unteroffizierskorps sind - das ist ja der größte Teil -, die haben zumindest eben doch sehr hoch qualifizierte Berufe und auch Abschlüsse. Das heißt, das sind Leute, die ohne Weiteres eben auch im Zivilleben genauso ihren Mann oder ihre Frau stehen würden.

    Meurer: Dann war es also falsch, wenn die Bundeswehr gesagt hatte, die Hochqualifizierten kriegen wir nicht mehr, wenn die Wehrpflicht fällt?

    Königshaus: Das glaube ich nicht, das hängt aber davon ab, ob sie eben dann in Zukunft auch attraktiv genug ist, damit sie eben nicht nur durch das große Schleppnetz der Wehrpflicht dann die Menschen an die Truppe heranführt, sondern sie muss selbst per se attraktiv genug sein, um zu zeigen, jawohl, der Soldatenberuf ist einer, den man auch durchaus in Erwägung ziehen muss und der möglicherweise eben auch viel interessanter ist als der eine oder andere Beruf, der sich im zivilen Bereich dann anbietet. Das käme im Übrigen auch dem bestehenden Personalkörper zugute, und das ist eben auch eine Chance, die darin liegt, in der Abschaffung der Wehrpflicht oder in der Aussetzung der Wehrpflicht, dass die Attraktivität auch für zukünftige Interessenten am Soldatenberuf eben sich zeigen muss an den Verhältnissen in der Truppe selbst und damit auch den Soldaten selbst, die jetzt dienen ...

    Meurer: Aber der Arbeitsmarkt entspannt sich im Moment schon und vermutlich auch in Zukunft. Wie kann die Bundeswehr attraktiver werden für junge Leute?

    Königshaus: Also sie muss vor allem eben alle die Dinge, die jetzt zusätzlich belastend sind gegenüber dem zivilen Bereich, versuchen sie möglichst abzubauen. Dazu gehören natürlich insbesondere diese ständige Hin-und-Her-Versetzungen quer durchs Land, alle paar Jahre. Das hängt dann auch mit dem künftigen Struktur- und Standortkonzept zusammen. Deshalb widerspreche ich ja auch, wenn gesagt wird, wir müssen nun zwangsläufig eine ganze Vielzahl von Standorten schließen. Nein, die Bundeswehr muss eben versuchen, dass sie die Soldaten in den verschiedenen Standorten regional konzentriert, ohne dass deshalb die Standorte selbst aufgelöst werden müssen. Das heißt, dass die Pioniere eben regional an einem Standort, an einem regionalen Bereich konzentriert werden, damit sie nicht immer damit rechnen müssen, quer über die Republik versetzt zu werden, nur weil sie ihre normale Laufbahn dort abwickeln. Aber das sind solche Dinge. Es geht nicht nur um Geld, es geht auch um Geld natürlich, da war natürlich jetzt die Enttäuschung über die Kürzung des Weihnachtsgeldes oder die Fortdauer der Kürzung des Weihnachtsgeldes ein solcher Punkt, der sich, glaube ich, so nicht wiederholen darf, aber es geht eben auch um die sonstigen Rahmenbedingungen. Und da kann man noch sehr viel tun.

    Meurer: Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Heute ziehen die letzten Rekruten in die Kasernen der Bundeswehr ein. Danke, Herr Königshaus, auf Wiederhören!

    Königshaus: Auf Wiederhören!