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Die Welt hat sich verändert

US-Präsident Obama wirbt für seine Vision von einer atomwaffenfreien Welt. "Ein Traum", kommentiert hingegen Frankreichs Staatspräsident Sarkozy und verweigert das Ziel "Global Zero". Dennoch spielt Frankreich bei der atomaren Abrüstung eine Vorreiterrolle.

Von Ursula Welter | 03.05.2010
    Jahrzehnte stand Marcoule, 140 Hektar Gelände, besiedelt mit strikt bewachten Kernreaktoren, Labors, Forschungseinrichtungen, im Dienst der Atombombe. Und gilt nun der französischen Regierung als Symbol für ihre atomare Abrüstung.

    Inmitten einer riesigen, 50 Meter hohen Betonhalle thront der G2 genannte Graphit-Gas-Reaktor, kreisrund, gigantisch. Er produzierte das Plutonium für die ersten Atombomben. Der gelbe Metall-Aufzug beförderte früher den Brennstoff direkt zum Reaktorherz, an der Plattform in 25 Meter Höhe. Jetzt steigt da Werksleiter Alain Deffes aus. Und weist auf die mittlerweile verkapselten Rohre zur Reaktorbeladung: in den vergangenen Jahren wurde der G2-Reaktor weitgehend entkleidet, demontiert.

    "Die letzte Etappe des Rückbaus startet Anfang 2020. Denn im Reaktorherz lagert noch hochstrahlenden Graphit. Und den können wir erst entsorgen, wenn das geplante sichere Endlager steht."

    In 30 Jahren soll hier nur die leere Halle übrig bleiben. Jetzt schon ist der Rückbau der Reaktors G2 unumkehrbar. Gleiches gilt für die benachbarte Wiederaufarbeitungsanlage, Plutoniumfabrik, wie Daniel Verwaerde seinen Besuchern, einer Gruppe ausländischer Journalisten, präsentiert. Verwaerde leitet die militärische Abteilung beim staatlichen Kommissariat für Atomenergie. Und er erläutert stolz: Keine andere Atommacht hat bislang die Türen der Orte geöffnet, an denen Spaltmaterial für Atomwaffen hergestellt wurde. Auch auf internationaler Ebene setze sich sein Land für die nukleare Abrüstung ein, sagt Verwaerde.

    "Während der französischen EU-Präsidentschaft formulierte Europa erstmals mit geeinter Stimme anspruchsvolle Initiativen zum Thema Abrüstung. Im Dezember 2008 haben die 27 Staats- und Regierungschefs einen entsprechenden Aktionsplan präsentiert, mit Hinblick auf die nun beginnende Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag."

    Doch Frankreich übersieht geflissentlich, dass es im Atomwaffensperrvertrag nicht nur darum geht, das Arsenal zu verringern und Proliferation, also Verbreitung des nuklearen Materials, zu unterbinden. Artikel VI setzt das konkrete Ziel: die komplette nukleare Abrüstung.
    Das will weder den Politikern noch dem Volk in den Kopf, kommentiert Bernard Norlain. Norlain sitzt im Café des Officiers, gegenüber der Ecole Militaire in Paris – seinem früheren Arbeitsplatz. Der pensionierte General fordert ein weltweites Aus für Atomwaffen. Norlain sagt: General de Gaulle, politischer Vater der Atombombe, sah sie als Waffe, die nie eingesetzt werden sollte. Nun aber droht Sarkozy, wie schon sein Vorgänger Chirac, damit Schurkenstaaten. Dies banalisiere die Atomwaffen, beklagt General Norlain: Frankreich werde zum schlechten Vorbild, die Proliferation, die Verbreitung, weltweit angeheizt.

    "Die Welt hat sich verändert, und damit muss sich auch unsere Sicherheitsdoktrin verändern. Wir Franzosen haben eine historische Referenz. Für mich entspricht die Abschreckungsdoktrin einer nuklearen Maginot-Linie. Die Maginot-Linie, das waren die unterirdischen Bunker, die in den 1930-Jahren Frankreich vor einem deutschen Angriff schützen sollten. Erfolglos. Und ich meine, dass wir heute mit unserem Beharren auf den Atomwaffen denselben Fehler begehen."

    Für eine öffentliche Debatte zur nuklearen Abschreckungsdoktrin plädiert Norlain, als einziger Militär. Aber im Chor mit den früheren Premierministern Michel Rocard und Alain Juppé sowie dem Ex-Verteidigungsminister Alain Richard. Vier prominente Musketiere als Flankenhilfe für die Bewegung der Atomwaffengegner, der etwas mehr als ein Dutzend Vereine und Organisationen angehören. Für den Slogan: " Stopp den Atomwaffen" werben sie seit einer Woche, mit Aktionen und einem zehntägigen Hungerstreik im Rathaus eines Pariser Stadtviertels. Unter ihnen der Atomphysiker Dominique Lalanne.

    "Es erscheint uns realistisch, die Abschaffung der Atomwaffen mittels einer Konvention zu fordern. Getreu dem Vorbild des existierenden Abkommens zur Abschaffung der chemischen Waffen. Laut dem sollen bis 2012 sämtliche chemischen Waffen in der ganzen Welt vernichtet werden und alle Fabriken, die solche Waffen herstellen, dichtmachen. Und so könnte es auch bei den Atomwaffen laufen."

    Lalanne und General Norlain rufen die Regierung in Paris auf, sich für ein solches Abkommen federführend einzusetzen. Eine offizielle Reaktion steht bis heute aus.