Freitag, 29. März 2024

Archiv


Die Welt schwingt mit

Zu hören war Beethovens 5. Sinfonie, als am 6. Januar 1870 am Karlsplatz in Wien das neue Haus des Wiener Musikvereins eröffnet wurde. Von außen ein Prachtbau, überzeugen vor allem seine inneren Werte: Die Akustik des Konzertsaals gilt noch heute als herausragend.

Von Beatrix Novy | 06.01.2010
    1. Januar, 11.15 Uhr: Das Fernsehen überträgt das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Dieses Jahr, voriges Jahr, vor 30, vor 40 Jahren: Und egal, ob der Dirigent Willi Boskowski heißt, wie das jahrzehntelang der Fall war, oder Ricardo Muti, oder Nicolaus Harnoncourt, die Welt schwingt mit.

    "Acht Kameras des ORF sind auf ihn und das Orchester gerichtet, in 38 Länder werden die Bilder übertragen. Sehr zum Nutzen der Wiener Philharmoniker."

    Denn die Aufnahme des Konzerts liegt jeweils schon eine Woche später als CD in den Läden. Doch welch schwacher Abglanz. Eine Konserve kann den nostalgischen Vorgang des pünktlichen Dabeiseins am Neujahrstag nicht ersetzen. Schon gar nicht den Blick in den Goldenen Saal des Wiener Musikvereins: einen der berühmtesten, schönsten und leistungsfähigsten der Welt.

    Am 6. Januar 1870 wurde das neue Haus des Wiener Musikvereins am Karlsplatz eröffnet. Johann Herbeck dirigierte Beethovens 5. Sinfonie. Die Besucher müssen überwältigt gewesen sein.

    "Das neue Haus ist ein Prachtbau, der mit dem sockelförmigen, imponierend-massigen Unterbau, mit der dreibogigen schlanken Loggia des Stockwerks entgegengrüßt, unter deren Wölbungen weiße Steinfiguren stehen, die von den bunten Arabeskenformen der Kuppeln und Hinterwand in der Farbenwirkung gehoben und unterstützt werden."

    Eine höchst akkurate Beschreibung des Gebäudes lieferte damals ein Mitglied der Gesellschaft der Musikfreunde; die gab es schon seit 1812, gegründet von musikbegeisterten Bürgern, die die geistige Vormundschaft des Adels hinter sich gelassen hatten. In ihrem alten Domizil in der Wiener Innenstadt war es den Musikfreunden schon länger zu eng geworden. Aus der Verlegenheit half ihnen schließlich der städtebauliche Brachialakt, den Kaiser Franz Joseph höchstselbst 1858 in der Zeitung hatte ankündigen lassen.

    "Es ist mein Wille, dass die Erweiterung der inneren Stadt Wien mit Rücksicht auf eine entsprechende Verbindung derselben mit den Vorstädten ehemöglichst in Angriff genommen und hierbei auch auf die Regulierung und Verschönerung Meiner Residenz - und Reichshauptstadt Bedacht genommen werde."

    Die alten Festungsmauern und -wälle waren im Zeitalter der Feuerwaffen obsolet, das Verlangen des Kapitals nach Bautätigkeit unermesslich geworden - eine für viele mittelalterliche Städte Europas exemplarische Stadterweiterung begann. Auf den riesigen neuen Flächen entstand die Wiener Ringstraße mit ihren gewaltigen Staatsbauten und den Palais für eine neue "gute Gesellschaft", für Bankiers also, reiche Kaufleute, erfolgreiche Künstler. Einer von denen, die hier mitmischten, war Theophil Hansen, Architekt des Parlamentsgebäudes. Er bekam den Auftrag für das neue Haus des Musikvereins; denn auch der hatte vom Kaiser ein Stück vom Kuchen geschenkt bekommen, ein hübsches Areal gegenüber der Karlskirche. Und was Hansen da baute, war gut.

    Im großen Saal des Musikvereins, einer Symphonie aus Farben und Ornamenten, dominiert das Gold: der Goldene Saal. Der Dirigent Bruno Walter bescheinigte ihm aber auch einen "goldenen Klang".

    "So groß der Raum, so vernimmt man auch in dem fernsten Winkel die schnellsten Figuren mit voller Klarheit und präziser Abgrenzung. Nirgends die geringste Spur eines Nachhalles."

    Die ersten Dirigenten waren Artur Rubinstein und Johannes Brahms. Mit dem Musikverein verknüpfen sich bis heute die ganz großen Namen der Musikkultur, die Wiener Philharmoniker haben hier ihr Domizil.

    Zum Image des Musikvereins gehört es, dass Karten nur schwer zu bekommen sind.

    "Wir müssen da eine Insel der Seligen sein", "

    erklärte vor wenigen Jahren der Generalsekretär der Musikfreunde, Thomas Angyan.

    " "Das Abonnement-System hält nicht nur, sondern ich habe gerade zu meinem wirklichen Erstaunen festgestellt, dass wir eine Steigerung von 6,25 Prozent gegenüber dem letzten Jahr haben."

    Speziell die Abonnements für die Sonntagsmatineen sind kostbar, werden angeblich vererbt und gehören zu den Gelegenheiten, bei denen sich die Wiener bessere Gesellschaft zelebriert - samt anschließendem Mittagessen im benachbarten Hotel Imperial.