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Die Weltsicht des iranischen Präsidenten Ahmadinejad

Der Staat Israel solle dem Erdboden gleichgemacht werden, so der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad anlässlich des so genannten "Internationalen Jerusalem-Tages".

Katajun Amirpur | 23.01.2006
    Die Staatengemeinschaft ist empört. Man fragt sich, was treibt ihn an? Kann er sich nicht denken, welchen Aufschrei er auf der internationalen Bühne hervorruft?

    Diejenigen, die die Äußerungen des iranischen Präsidenten analysieren, kommen zu unterschiedlichen Interpretationen. Eine Variante lautet: Er weiß nicht, was er im Ausland bewirkt. Er ist tatsächlich so unbedarft in außenpolitischen Dingen, dass er es nicht einschätzen kann. Der iranische Publizist Bahman Nirumand sieht das anders:

    "Er ist außenpolitisch sehr auf einem Konfrontationskurs. Und zwar versucht er, durch diesen Konfrontationskurs eine neue Position zu erreichen innerhalb der islamischen Welt. Dazu braucht er ein Feindbild und dazu bietet sich Israel an. Und er hofft mit diesen Attacken gegen Israel eine bestimmte Schicht in der islamischen Welt für sich mobilisieren zu können. Und auch innenpolitisch ist das wichtig, weil er in den Monaten, in denen er jetzt im Amt ist, er völlig versagt hat. "

    Die internationale Empörung muss verwundern: Die Staatengemeinschaft tut so, als hätte die Welt diese iranische Position noch nie gehört. Doch Ahmadinejad hat nur ausgesprochen, was seit 27 Jahren offizielle iranische Linie ist. Nur die westliche Welt meint, die iranische Position, die so klar in den letzten Jahren nicht mehr geäußert wurde, habe sich radikalisiert.

    Dabei gilt, dass der Iran Israel nicht tatsächlich militärisch angreifen würde – selbst wenn das Regime die Atombombe eines Tages besitzen sollte. Aber die Nichtanerkennung Israels gehört zu der Ideologie, auf der die Islamische Republik seit ihrer Gründung fußt. Nun greifen Mechanismen, die in vielen Ländern nicht unbekannt sind: Ahmadinejad hat in den letzten Monaten festgestellt, dass er die Politik, die er angekündigt hat, nicht umsetzen kann So setzt er auf Populismus und eine martialische Rhetorik.

    Auch den Radikalen im Lande, beispielsweise dem Revolutionsführer Ali Chamenei, ist Ahmadinejad nicht geheuer. Chamenei ist immer noch der einflussreichste und mächtigste Mann im Iran. Es ist nicht ganz klar, wie er zum Staatspräsidenten steht.

    Nicht nur die anti-zionistischen Äußerungen des Präsidenten erschrecken: Ähnlich wirken in der islamischen Welt seine Äußerungen über die angeblich baldige Wiederkehr des 12. Imams. Der 12. Imam ist eschatologisch dem jüdischen Messias vergleichbar. Er entschwand im achten Jahrhundert in die so genannte Verborgenheit. Seither warten die Schiiten auf seine Rückkehr. Der 12. Imam kehrt wieder, wenn die Welt im totalen Chaos versunken ist, um dann die totale Gerechtigkeit herzustellen.

    Diese Wiederkehr scheint Ahmadinejad weit mehr zu interessieren als die Belange des iranischen Volkes: seien es nun Arbeitslosigkeit, steigende Armut oder ein drohender militärischer Angriff. Denn Ahmadinejad hat nun diese Rückkehr angekündigt, und zwar für die nahe Zukunft. In seinen Visionen, sagt er, habe er diese Wiederkehr gesehen. Als er vor der UN-Vollversammlung gesprochen habe, habe er einen Heiligenschein um seinen Kopf gesehen. Es hört sich bestenfalls seltsam an, was ein Mensch wie Ahmadinejad sagt und denkt. Aber: er glaubt an das, was er sagt. Er ist durch ein traditionelles Milieu geprägt, ein Milieu, das sogar moderner Musik, dem Internet und dem iranischen Volkssport Fußball den Kampf angesagt hat.
    Ahmadinejad redet, wenn er über Iran spricht, nicht mehr von einer islamischen Republik - so die offizielle Bezeichnung dieses Staates – sondern von dem islamischen Staat. Ihm kommt es nicht so sehr auf die republikanischen Elemente der Verfassung an. Wer ihn kennt, ist nicht verwundert: Sein geistiger Mentor ist Mesbah-e Yazdi, der immer schon gesagt hat, das Volk sei einfach zu dumm zum Wählen. Worauf will er hinaus? Johannes Reissner von der Stiftung Wissenschaft und Politik:

    "Das hat uns zu sagen, dass seine Intention tatsächlich die ist, einen radikal-islamischen Kurs nach revolutionärem Vorbild oder was er dafür hält zu fahren. Und die Gefahr besteht, dass er im Laufe der Zeit nun noch mehr Leute seines Schlages in wichtige politische Ämter durchboxt. "

    Doch Ahmadinejad spricht mit seiner Rhetorik das Ehrgefühl der Iraner an, wenn er sagt:

    "Wir werden die iranischen Interessen schützen und auf dem Recht der iranischen Nation beharren. Wir werden auf das Recht pochen, die Atomenergie friedlich zu nutzen. Gleichzeitig werden wir die Verhandlungen fortführen – meine Mitarbeiter sind mit den Verhandlungen beschäftigt. Aber das Vertrauen muss auf beiden Seiten vorhanden sein und gegenseitig. Wir werden sehr ernsthaft das Recht des iranischen Volkes verteidigen. Heute gibt es niemanden im Iran, der nicht das Recht der Iraner zur friedlichen Nutzung der Atomenergie verteidigen würde."

    Er könnte es schaffen, mit seiner martialischen Rhetorik gegenüber Israel die Meinungsführerschaft in der arabischen Welt an sich zu reißen. Denn viele Araber kann man mit anti-israelischer Rhetorik weit mehr hinter sich bringen als die Iraner. Iraner interessieren sich nicht besonders für das Schicksal der Palästinenser, fühlen sich den Arabern grundsätzlich überlegen, bezeichnen sie als "Eidechsenfresser", die aus der Wüste gekommen sind. Zivilisation hätten den Arabern ohnedies erst die Iraner beigebracht.

    Hinzu kommt: Es gibt keine historische Feindschaft zwischen Iranern und Juden bzw. Israelis. Bis heute lebt in Iran die größte jüdische Gemeinschaft im Nahen Osten – abgesehen von Israel. 35.000 Juden leben im Iran. Und die, die es nicht mehr tun, weil sie nach Israel ausgewandert sind, schreiben Briefe nach Iran, in denen steht, wie sehr sie Iran vermissen.

    Zurück geht diese Feindschaft gegen Israel auf Staatsgründer Ayatollah Khomeini, der Israel schon deswegen feindlich gesonnen war, weil gute Beziehungen zwischen dem Kaiserreich Iran, das er schließlich stürzte, und Israel bestanden. Seither ist Anti-Zionismus Bestandteil der iranischen Politik. Ayatollah Khomeini hatte sich den Anti-Zionismus als einigendes Band gesucht, um über alle nationalstaatlichen und konfessionellen Differenzen hinweg eine islamische umma, eine alle Muslime umfassende Gemeinschaft, zu gründen. Er selber wollte der Führer dieser Gemeinschaft sein. Geschafft hat er es aber nicht. Dennoch blieb die Rhetorik bestehen. Jedes Jahr wird in Teheran daher der so genannte internationale Jerusalem-Tag begangen. Es ist ein Tag der martialischen Rhetorik, der Aufmärsche, der Rufe: "Nieder mit dem zionistischen Regime".

    So scheußlich diese Reden klingen, so bedrückend die Bilder für Außenstehende sind: Es handelt sich um Rhetorik. Der normalen Bevölkerung ist diese Rhetorik egal, ebenso übrigens die Anti-USA-Rhetorik des Regimes. Inzwischen zählt der Iran zu den US-freundlichsten Staaten im Nahen Osten – wie einige Umfragen belegt haben. Je martialischer gegen die USA und Israel gewettert wird, desto sympathischer werden sie der Jugend. Hauptsache Opposition.

    Diese Jugend will Freiheit. Meinungsfreiheit, Meinungsfreiheit skandierten sie bei den größten Studentendemonstrationen seit der Revolution, im Jahre 1999. Und: das Land gehört dem Volk.

    Gemeint war: nicht den Klerikern, die sich dieses Landes bemächtigt haben.

    Bei aller anti-zionistischen und anti-semitischen Agitation der Iraner war die Staatsführung war immer bemüht, die iranische Juden von dieser martialischen Rhetorik auszunehmen. Sie werden nicht wie die fünfte Kolonne des Feindes behandelt, sollen sich nicht angesprochen fühlen, wenn vom "zionistischen Feind" die Rede ist.

    Das gelingt im Wesentlichen: Die jüdischen Iraner fühlen sich nicht angesprochen. Sicher: Es sind tausende jüdischer Iraner in den letzten Jahrzehnten nach Israel ausgewandert. Aber dies liegt weniger daran, wie die Islamische Republik speziell mit ihren Juden umgeht, sondern wie sie insgesamt mit ihren Bürgern umgeht. Iraner jüdischen Glaubens wissen, wohin sie gehen können, wenn sie wollen. Muslimische Iraner haben keinen so identifizierbaren Zielpunkt. Trotzdem fliehen jährlich über 200.000 Menschen aus diesem Land.

    Die jüdischen Iraner sind stolze Iraner. Vor über 2500 Jahren kamen die ersten Juden nach Iran - aus der babylonischen Gefangenschaft befreit vom persischen Kaiser Kyros. In Isfahan fanden sie die Erde, die sie an Jerusalem erinnerte, so heißt es. Dort, am lebensspendenden Fluss, dem zayande-rud, ließen sie sich nieder und gründeten Isfahan, die schönste Stadt Irans.

    Bis heute gelten die Juden als die Stammväter der Stadt. Daher wird ihnen entsprechender Respekt entgegengebracht. Der vorherige Staatspräsident Mohammad Chatami hat wohl aus diesem Grund die ihm dargebotene Hand des israelischen Präsidenten Moshe Katzav, einem gebürtigen Iraner, nicht ausgeschlagen, als er bei der Beerdigung von Papst Johannes Paul II. neben ihm stand. Die beiden Männer stammen aus derselben Stadt, aus Yazd, und sind zusammen zur Schule gegangen. Obwohl Chatami wusste, dass er zu Hause wegen dieses Handschlags heftig kritisiert werden würde, hat er Moshe Katzav die Hand geschüttelt. Gleichwohl musste er dies später in Iran leugnen.

    Aber Ahmadinejad weiß, wie man Stimmung macht. Gerade hat auch der Führer der Muslimbrüder in Ägypten erklärt, der Holocaust sei ein Mythos. Er greift die Argumentation des iranischen Präsidenten auf. Wenn Ahmadinejad davon spricht, die Deutschen hätten das Problem doch produziert, dann sollten sie es doch auch lösen, spricht er damit 90 Prozent aller Araber aus dem Herzen. Diese spricht er damit an, nicht die Iraner.

    Ahmadinejad zielt also auf Stimmungen. Aber auch im Iran wird in den politischen Entscheidungsgremien realistisch gedacht. Für die entscheidenden Politiker ist fast unbestritten, dass der Iran schneller vom Erdboden verschwände als Israel, wenn der Iran Israel angriffe. Der Schriftsteller Bahman Nirumand:

    "Das sind Verbalattacken, die man meiner Ansicht nach als solche nicht ernst nehmen kann. Ernst werden sie nur dann, wenn sie wie gesagt in das Konzept der USA herein passen und sie dann die Gründe liefern für eine ausländische Intervention."

    So werden die Äußerungen des Präsidenten von vielen Kennern des Landes mit Sorge gesehen. Sie sehen darin keine Bedrohung für andere Länder – dazu wäre der Iran gar nicht in der Lage. Aber sie sehen das Risiko der weiteren Isolation, vielleicht auch der Bereitschaft, Sanktionen gegen den Iran einzuleiten.

    In diesem durchaus vielfältigen politischen Klima will Ahmadinejad seine Position durch eine martialische Rhetorik festigen. Gegen die antiwestliche Stimmung können die Pragmatiker mit ihrer rationalen Argumentation kaum ankommen. So macht sich Ahmadinejad innenpolitisch unantastbar und unangreifbar.

    Die empörte Reaktion in der Welt auf die Reden des iranischen Präsidenten könnte aber auch noch einen anderen Grund haben. Warum reagiert die internationale Staatengemeinschaft gerade jetzt so heftig? Johannes Reissner von der Stiftung Wissenschaft und Politik:

    "Weil man nun einen neuen Buhmann hat - wie die Bild-Zeitung sagt - den Hetzer von Teheran. Und die Frage ist, ob diese Stimmungsmache hier bei uns – und ich will jetzt nicht die Äußerungen in Israel und die Verärgerungen in Israel jetzt einfach nur als Stimmungsmache bezeichnen – aber das erst jetzt Wahrnehmen des Quds-Tages muss man sich schon fragen, ob man nicht zum Aufbauen einer Drohkulisse beiträgt. "

    Ähnlich sieht es Schriftsteller Bahman Nirumand:

    "Die Amerikaner würden vielleicht im Moment keine Aktion gegen Iran wagen, weil es im Irak ja sehr chaotisch aussieht und dort ihre Hände gebunden sind. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass jetzt bei dieser Meinung, die international vorherrscht, dass Iran sehr gefährlich ist, ich kann mir also durchaus vorstellen, dass die schon längst bestehenden Pläne in der israelischen Regierung aus der Schublade herausgeholt werden und tatsächlich man Iran militärisch attackiert. Die Atomanlagen bombardiert. Ich meine, ich muss auf jeden Fall dazu sagen, würde ein solcher Angriff stattfinden, dann hätte Ahmadinejad die Massen hinter sich. Und die Folgen wären verheerend."

    Dass die westliche Welt besorgt ist angesichts dieser Äußerungen und vor allem der Atompolitik Irans, ist natürlich verständlich. Vor allem, weil die europäische Verhandlungsposition nicht die stärkste ist: Die SPD-Abgeordnete Uta Zapf, Mitglied im auswärtigen Ausschuss des Bundestages, über die Atompläne der Iraner:

    "Sie beharren mit einem gewissen legalistischen Recht auf ihren Ansprüchen aus dem Atomwaffensperrvertrag und das wäre die Unterstützung beim Ausbau ihrer friedlichen Nutzung der Atomenergie. Das Problem ist: das Misstrauen ist groß. Aus mehreren Gründen. Einmal: weil sie bestimmte Technologien bei der (Internationalen Energie-Agentur) IAEA nicht angemeldet haben. Z.B. diese doch relativ große Zentrifugenanlage in Natanz. "

    Hinzu kommt: Die Teile der iranischen Herrscherclique, die überhaupt zugeben, dass mit dem Gedanken der nicht-friedlichen Nutzung der Kernenergie gespielt wird, sehen in ihrem Programm keine Aggression, sondern schlicht nukleare Abschreckung. Die Iraner wollen Sicherheitsgarantien. Die aber waren im Verhandlungspaket der EU-3 nicht enthalten. Deshalb war das Vorhaben, sich mit den Iranern gütlich zu einigen, von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Die Europäer können den Iranern keine Sicherheitsgarantien geben. Das können nur die USA. Die aber wollen – so erklären sie immer wieder - dieses Regime loswerden. Der Iran sei ein Schurkenstaat. Daher fühlt sich Iran bedroht: In den letzten vier Jahren wurden zwei Nachbarstaaten der Islamischen Republik – der Irak und Afghanistan - angegriffen. Und man hat gesehen: Wer Atomwaffen hat, wird nicht angegriffen – siehe Nordkorea. Außer der Sicherheitsgarantie wollen sie die Freigabe der iranischen Konten in den USA. Die sind seit der Botschaftsbesetzung 1980 gesperrt und belaufen sich Schätzungen zufolge auf vierzehn Milliarden US-Dollar. Außerdem wollen sie eine vollständige Eingliederung in die internationale Staatengemeinschaft und die Aufhebung der US-Sanktionen. All dies sind Forderungen, die nur die USA erfüllen können. Doch die sitzen ja nicht einmal am Verhandlungstisch. Uta Zapf:

    "Wir brauchen ab einem gewissen Zeitpunkt die Amerikaner im Boot. Denn ohne die starken Zusicherungen der Amerikaner werden die Iraner allein auf die Europäer nicht vertrauen. Ob wir das bekommen, weiß ich nicht. "

    So einem selbstbewussten und stolzen Gegenüber wie dem Iran kann man keine Peanuts anbieten. Das aber haben nach iranischer Einschätzung die Europäer getan. Die Europäer dürfen bei ihrer Iranpolitik niemals vergessen, dass sie die Iraner ernst nehmen müssen. Es darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden, wenn die iranische Führung ihre Interessen formuliert. Die operative Politik machen auch dort keine stumpfsinnigen Radikalen, sondern Leute, die sehr pragmatisch regieren und reagieren.

    Wie sehr man auf eine gewisse Zusammenarbeit mit dem Iran angewiesen ist, zeigt ein anderes Beispiel: Die NATO weitet zurzeit ihr Einsatzgebiet in Afghanistan nach Westen aus. Die dortigen Aufbauteams sollen auch die Grenze sichern, sollen Handelswege für Drogen abschneiden und brauchen Flughäfen, die sehr nahe an der iranisch-afghanischen Grenze liegen. Auch der Iran sagt, dass die Grenzsicherung und die Eindämmung des Drogenhandels wichtige Aufgaben sind. Hier ergeben sich gemeinsame Interessen, die für den Iran wichtig, für den Erfolg der NATO-Mission aber noch entscheidender sind. Der Westen und der Iran müssen also im Gespräch bleiben und trotz der dumpfen Rhetorik dieser Tage um Vereinbarungen ringen.