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Die Wiederbelebung des unabhängigen US-Journalismus

90 Prozent der US-Medien werden kontrolliert von sechs großen Konzernen - 1983 waren es noch 50 Unternehmen. Vielerorts haben sich Medienmonopole gebildet. Doch in den letzten Jahren werden unabhängige Medien wieder erfolgreicher, wie das Beispiel der Nachrichtensendung "Democracy Now" zeigt.

Von David Goeßmann | 23.02.2013
    Acht Uhr morgens, Manhattan, 56. Straße im Chelsea-Viertel.

    "From Pacifica this is Democracy Now."

    An einem runden Holztisch spricht die Moderatorin Amy Goodman die Nachrichten in die Kamera. Hinter ihr Bildschirme mit dem Sendelogo: die Freiheitsstatue, ein Mikrofon in der ausgestreckten Rechten. Goodman hat als erste Journalistin den Alternativen Nobelpreis erhalten.

    "Die Medien könnten die größte Friedensmacht der Welt sein. Doch sie werden als Kriegswaffe eingesetzt. Wenn die USA in den Krieg ziehen, dann rühren die Medien oft die Werbetrommel für den Krieg, anstatt grundsätzliche Fragen zu stellen. Das Meinungsspektrum umfasst dabei das, was die Republikaner und die Demokraten sagen. Wenn die einer Meinung sind, dann gibt es kein Meinungsspektrum.

    Was wir aber brauchen, sind Medien, die die volle Bandbreite der Meinungen abbilden. Denn die Mehrheit der Bürger wird nicht wiedergegeben in diesem schmalen Meinungsausschnitt. Ich nenne das die zum Schweigen gebrachte Mehrheit. Denn diejenigen, die gegen Krieg und Folter opponieren, die besorgt sind über Armut und Konzernkontrolle, bilden keine Randgruppe, nicht einmal eine schweigende Mehrheit, sie sind vielmehr eine zum Schweigen gebrachte Mehrheit. Zum Schweigen verdammt durch kommerzielle Medien. Daher müssen wir die Medien zurückerobern."

    Ein Schweigen, gegen das "Democracy Now" täglich ansendet: Es sind Aktivisten, unabhängige Journalisten, Whistleblower und Intellektuelle, die das Tagesgeschehen dort einordnen. Stimmen, die in den großen US-Fernseh- und Radiostationen nicht auftauchen: Sie berichten über die hässliche Seite der Kriege, über Armut und Elend und politischen Dissens. So berichtete "Democracy Now" schon während der Vorbereitungstreffen über die Occupy-Bewegung:

    "Zu Beginn haben die Medien die Bewegung vollständig ignoriert, dann lächerlich gemacht: 'Welche Botschaft haben diese Leute? Jeder hat eine andere.' Jeder Werbemanager auf der Madison Avenue würde sich um den Slogan 'Wir sind die 99 Prozent' reißen. Das hat die Leute parteiübergreifend angesprochen. Wir brauchen Medien, die die Ansichten der Mehrheit der Menschen in diesem Land widerspiegeln und nicht die einer kleinen Elite."

    Progressiv ausgerichtete Medien sind in den USA in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Heute gibt es zahlreiche Blogs, Magazine und Onlinenachrichtenseiten in den USA, die mehr als eine Millionen Leser haben. Sie finanzieren sich kaum aus Werbung, sondern aus einem Mix von Stiftungsgeldern, Spenden und nichtkommerziellen Partnerschaften. Und das funktioniert immer öfter.

    "Progressive Medien sind heute stärker als jemals zuvor in der amerikanischen Geschichte."

    sagt John Nichols, Washington Korrespondent von "The Nation" und Co-Autor des Buchs: "Death and Life of the American Journalism". Der Grund: Es gäbe einen Vertrauensverlust in der Bevölkerung. Die großen Verlagshäuser und Rundfunkstationen schenkten den politischen Forderungen vieler Amerikaner nach sozialer Absicherung, Steuergerechtigkeit, Friedenspolitik und Klimaschutz kaum Gehör.

    "Wir haben keine tief gehende Diskussion über Politik und die Regierung in unseren Medien. Es fehlt an Meinungsvielfalt. Der Irakkrieg war sehr unbeliebt bei Millionen von Amerikanern. Aber in den Medien sah man nur Kriegsbegeisterung. In dieser Zeit begannen die Menschen sich nach Alternativen umzusehen."

    Sie stießen auf Traditionsblätter wie "The Nation", aber auch jüngere Projekte wie die Webzeitung "salon.com" oder "Truthdig". Dort recherchieren und kommentieren renommierte Journalisten wie der Pulitzer Preisträger und langjähriger "New York Times"-Korrespondent Chris Hedges oder der preisgekrönte "LA Times"-Reporter Robert Scheer, die ihre Zeitungsredaktionen im Streit verlassen haben.

    Auch TV-Größen wie Bill Moyers oder der MSNBC-Anchorman Keith Olbermann kehrten den TV-Networks den Rücken und moderieren jetzt für kleinere unabhängige Sender. Eine Art journalistischer Braindrain der amerikanischen Mainstreammedien.

    "Der Journalismus und die Medien in unserem Land sind Teil einer gesellschaftlichen Entwicklung, die fragwürdig ist. Sie tendieren dazu, den Menschen vereinfachte Antworten anzubieten. Viele Amerikaner schauen sich daher bei ausländischen Medien um. Der britische 'Guardian' ist zum Beispiel sehr beliebt in den USA."

    Gleichzeitig strahlen progressive US-Medien mit ihren Themen und Kommentierungen immer wieder auf die weitere amerikanische Öffentlichkeit aus. Amy Goodman, die heute auch in Talkshows von CNN, PBS oder MSNBC zu sehen ist, prägte dafür den Begriff "Trickle-Up-Journalismus". So mussten die Mainstreammedien zum Beispiel "Democracy Nows" Recherchen übernehmen, dass Haitis Präsident Bertrand Aristide von der US-Regierung 2004 gestürzt worden war und nicht, wie medial verlautbart, freiwillig das Land verlassen habe. Noch einmal Amy Goodman:

    "Dieses Land ist aus Vielfalt geboren, und nur der freie Austausch unterschiedlicher Meinungen wird dem Land eine Zukunft geben. Aber allzu oft geben die Medienkonzerne nur die Positionen der Konzerne und der Politiker wieder, die von Konzernen finanziert werden. Die von den Medien abgebildete Meinungsvielfalt nimmt in den USA nicht zu, sondern ab. Dabei ist genau das die Aufgabe der Medien. Es ist eine sehr große Verantwortung."