Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Die Wiederentdeckung Spaniens

Accentus Austria gibt einen kurzweiligen Einblick in eine kaum bekannte, ehemals sehr populäre Barockmusik in Spanien. Auf einer anderen CD präsentiert der Gambist Fahmi Alqua mit seinem Ensemble einen abwechslungsreichen Überblick über die südspanische Musik vom 16. bis 17. Jahrhundert.

Von Christiane Lehnigk | 26.05.2013
    Im Mittelpunkt steht heute Renaissance- und Barockmusik aus Spanien. Unter dem englischen Titel "Fire & Ice" veröffentlichte das Ensemble Accentus Austria unter der Leitung von Thomas Wimmer Villancicos und Tonos von Cristóbal Galán bei Sony Music / Deutsche Harmonia Mundi. Und Fahmi Alqhai widmete sich mit seiner "Accademia del Piacere" auf der ersten in Zusammenarbeit mit dem spanischen Label GLOSSA entstandenen CD der "Wiederentdeckung" Spaniens. "Rediscovering Spain"- auch hier ein Zugeständnis an den internationalen Markt -, so lautet der Titel der Produktion mit "Fantasías, diferencias & glosas". Im Studio begrüßt Sie dazu Christiane Lehnigk.

    Cristóbal Galán. Ya los caballos de jazmín y rosa. Tonada humana. Accentus Austria. Ltg. Thomas Wimmer

    "Die Pferde aus Jasmin und Rosen / sende ich nun Eurer Klage; / sie vertreiben mit dem Wind die dunkle Nacht", so lautete der Textanfang dieses Liedes von Cristóbal Galán aus der jetzt erschienenen Produktion von Accentus Austria unter der Leitung des Violone-Spielers Thomas Wimmer, aus dem Jahre 2009.

    Wenn man bedenkt, dass Cristóbal Galán nicht nur zu Lebzeiten, sondern auch darüber hinaus zu den wichtigsten spanischen Komponisten gehörte, dann ist es verwunderlich, dass von seinem Gesamtwerk bis jetzt nur ein Bruchteil eingespielt wurde und sein Name bei uns nicht präsent ist. Anfang dieses Jahres veröffentlichte Albert Recacens mit seiner Chapelle Royale bei seinem eigenen Label eine Doppel-CD mit geistlichen Werken von Galán und holte damit diesen bedeutenden Komponisten, der Anfang der 20er-Jahre des 17. Jahrhunderts geboren wurde und 1684 verstarb, wieder aus dem Dunkel der Geschichte hervor. Viel ist nicht über ihn bekannt, die Ursprünge seines Wirkens lagen wohl in Korsika und Sardinien, dort war er ab 1653 als Sänger und Organist tätig. Später amtete er als "maestro di capilla" in Teruel und Morella, dann arbeitete er in Madrid und Segovia und wurde Kapellmeister am bedeutenden Kloster Las Descalzas Reales in Madrid. Schließlich erhielt er 1680 das wichtigste musikalische Amt in Spanien, er wurde Kapellmeister am königlichen Hof.

    Geschrieben hat er vor allem geistliche Musik wie auch Kammermusik nach italienischer Manier, zahlreiche Musikhandschriften seiner Werke waren weit verbreitet und gelangten auch nach Südamerika. Jetzt hat Accentus Austria einen weiteren Einblick in das Werk Galáns gegeben und sakrale Villancicos und Lieder eingespielt, die zeigen, dass die offizielle spanische Frömmigkeit durchaus heitere und tänzerische Ausdrucksformen haben konnte.

    Villancicos waren im Mittelalter ursprünglich weltliche Tanzlieder (gewesen), die dann von der katholischen Kirche für die verschiedenen Festtage adaptiert wurden und einen lateinischen Text erhielten. Dieser wurde dann wiederum ins Spanische zurück übersetzt und erlangte so große Popularität. In der Renaissance wurden auch noch weitere Stimmen hinzugefügt, heute verbindet man mit den Villancicos hauptsächlich Weihnachtslieder.

    Galáns Musik steht fast ausschließlich dreier Takt und folgt dabei dem Sprachrhythmus mit einer ständigen Synkopisierung. Sie ist mehrstimmig gedacht, auch wenn nur eine Solostimme mit einer Basslinie vorhanden ist und jede Stimme hat ihr melodisches und rhythmisches Eigenleben. Dazu sind zwei Violinen vorgesehen und eine zumeist vorgeschriebene Continuogruppe. Und so lebt Galáns Musik, so Thomas Wimmer, "aus der Gegensätzlichkeit mehrerer musikalischer Linien und aus dem äußerst dramatischen Spiel von (Sprach)-Melodie und Rhythmus". Einer "mystischen Verschmelzung gleich", löse sich alles im Schlussakkord auf.

    Dass Thomas Wimmer und sein Ensemble Accentus Austria eine reiche Erfahrung mit spanischer Barockmusik haben, das ist auch dieser stilsicheren Aufnahme anzuhören. Die glückliche Auswahl der Sänger mit Olga Pitarch Mampel und Maria Luz Alvarez – Sopran und dem famosen Tenor Cesar Carayo Jalon tut ein Übriges dazu, dass hier wirklich eine überzeugende Aufnahme vorliegt, die einen kurzweiligen Einblick in eine kaum bekannte, ehemals sehr populäre Barockmusik gibt. Das erschlossene Gesamtwerk von Galán umfasst insgesamt zehn Bände, da gibt es mit Sicherheit auch noch mehr zu entdecken.

    Cristóbal Galán. "Vuele, vuele feliz mariposa”. Villancico Al Santisimo Sacramento. Accentus Austria. Ltg. Thomas Wimmer

    Dies war ein Ausschnitt aus dem Villancico Al Santisimo Sacramento, für das heiligste Sakrament, "Flieg Schmetterling, flieg als Seufzer zu liebevollem Licht, / denn die Seele spricht mit brennendem Weinen / und reiner Stimme über die Liebe ...". Diese neue Produktion von Accentus Austria mit geistlichen Villancicos von Cristóbal Galán erschien jetzt beim spanischen Label Glossa im Vertrieb von Note1.

    Auch die Accademia del Piacere unter der Leitung des Gambisten Fahmi Alqhai hat ihr neues Programm der Wiederentdeckung spanischer Musik gewidmet, wobei sie jedoch einen eigenen Ansatz verfolgt. Der Schwerpunkt der Forschung liegt auf der geistlichen und weltlichen Musik der Renaissance und des Barock vor allem im andalusischen Spanien aber auch auf der virtuosen italienischen Instrumentalmusik des 17. Jahrhunderts.

    Dabei gehen die Musiker, die zum Großteil aus Spanien kommen, neue Wege, um ihre Interpretationen zu präsentieren, – die Zusammenarbeit mit dem Flamenco-Sänger Arcángel zeigt, dass diese Art auch sehr gut beim Publikum ankommt. In der vorliegenden Einspielung zeigen die insgesamt 15 Musiker, dass sie über die "simple Reproduktion der Fantasien, Variationen und der glosas hinausgehen" (wollen), die zu ihrer Zeit "als Beispiel für eine Musizierpraxis niedergeschrieben wurden", um sich auf die "schöpferische Interpretation anhand jener Vorstellungen zu konzentrieren", die sie "für die wahren historischen Kriterien halten".

    Das heißt, Fahmi Alqhai möchte über die rein historisch informierte Interpretation hinausgehen, da ihm dieses Konzept immer weniger authentisch und zunehmend inhaltsleerer erscheint. Er möchte mit seinen Musikern wiederbeleben und aktualisieren, neue Möglichkeiten des Kommentierens entwickeln, um zu paraphrasieren und das im Original von anderen Musikern komponierte Material zu variieren und zu verzieren, wie es häufig genau mit dieser Absicht geschaffen worden sei. Und so finden sich hier auch einige "Klassiker" aus dem spanischen Repertoire im neuen Gewand.

    Anon. Di, perra mora. Accademia del Piacere

    Fahmi Alqhai gehört zu den führenden Gambisten der jüngeren Generation. Er stammt aus Sevilla verbrachte aber seine Kindheit in Syrien und begann auch dort mit dem ersten Unterricht. Dann studierte er weiter in seiner Heimatstadt und in der Schweiz an der renommierten Schola Cantorum Basiliensis und in Lugano. Alqhai gründete die Accademia del Piacere vor gut neun Jahren zusammen mit der Sopranistin Mariví Blasco. Er arbeitet auch mit vielen renommierten internationalen Ensembles der Alten Musikszene zusammen, wie zum Beispiel Hesperion XXI oder Il Suonar Parlante, aber er widmet sich auch erfolgreich dem Flamenco, der zeitgenössischen Musik und dem Jazz. Seit 2009 ist er außerdem künstlerischer Leiter des "Festival de Música Antigua de Sevilla".

    Fahmi Alquais Anliegen bei der Beschäftigung mit den alten Quellen ist es, sie so zu lesen, wie sie von den Autoren der Traktate gedacht war. Die ersten Abhandlungen, die sich mit der Instrumentalmusik beschäftigten, stammten von Ganassi und Ortiz um die Mitte des 16. Jahrhunderts, denen es, so Alquai darum ging, die schönsten Beispiele aufzuführen. Diese sollten jedoch nicht nur nachgespielt oder imitiert werden, sondern der Leser (Musiker) sollte sie eher dazu benutzen, sein "eigenes Genie" weiter zu entwickeln.

    "Und den Früchten dieser ebenso gewissenhaften wie kreativen und beseelten Aufgabe möchte die Accademia del Piacere diese Aufnahme widmen", so heißt es abschließend im Booklet. Fahmi Alquai ist es mit seinem Ensemble und der Sängerin Raquel Andueza gelungen, einen abwechslungsreichen Überblick über die südspanische Musik vom 16. bis 17. Jahrhundert zu geben, in einer unnachahmlichen eigenen Tonsprache, die ein Gefühl für die Improvisationspraxis der Zeit zu geben vermag. Das ist nicht immer leichte Kost und schwimmt auch nicht auf der populären Welle, wie sie zum Beispiel von L’Arpeggiata und anderen angeboten wird. Aber selbstverständlich gehören bei den Stücken von Sanz, Cabezon, Cabanilles, Solinís oder Salaverde auch Kastagnetten und die Gitarra battente dazu. Eine sehr empfehlenswerte Einspielung.

    Gaspar Sanz. Canarios. Accademia del Piacere

    Die Neue Platte im Deutschlandfunk, heute stellten wir Ihnen spanische Musik der Renaissance und des Barock vor. Zuletzt hörten Sie Ausschnitte aus der neuesten Produktion der Accademia del Piacere unter der Leitung des Gambisten Fahmi Alquai, erschienen beim spanischen Label Glossa im Vertrieb von Note1 unter dem Titel "Rediscovering Spain. Fantasías, diferencias & glosas". Im Studio verabschiedet sich, mit Dank fürs Zuhören, Christiane Lehnigk.

    Cristóbal Galán
    Fire & Ice
    Accentus Austria
    Sony Music/ Deutsche harmonia mundi 88765445182
    LC: 00761

    Rediscovering Spain
    Fantasías, diferencias & glosas
    Accademia del Piacere
    Fahmi Alqhai
    Featuring: Raquel Andueza
    GLOSSA GCD P 33201
    LC: 00690