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Die wilden Jungs und Mädels von der Straße

Mittlerweile ist Nuran David Calis so etwas wie das Sprachrohr seiner Generation. 1976 in Bielefeld als Sohn armenisch-jüdischer Eltern geboren, dokumentieren die Texte, die er meist selber im Theater inszeniert, die Stimmungen der Nachgeborenen. Auch sein neues Stück "Einer von uns", am Hamburger Thalia Theater uraufgeführt, thematisiert die Suche nach Heimat.

Von Michael Laages | 06.11.2008
    Die "Kids on the Block", die da über die Theaterbühne lärmen, sind ziemlich echt – und sechs von acht Namen lassen den sogenannten "Migrationshintergrund" ahnen: Die Wurzeln ihrer Familien könnten in der Türkei und noch weiter südöstlich liegen, oder irgendwo in Afrika. Sie erzählen ihre Geschichten – und die Klischees gleich mit.

    Denn die polternden Protestgebärden dieses "Scheiß auf alles"- und "Leck mich am Arsch"-Rap sind ja längst ihrerseits Mode und Geschäftsidee; und so führen sich denn speziell die (wie es im Programmfaltblatt heißt) "Students der Masterclass der HipHop Academy Hamburg" fast schon so auf, als müsse demnächst der Musikmarkt die Absatzzahlen ganz nach ihnen ausrichten. Und da fällt es halt immer ein wenig schwer, die tönenden Protagonisten dieser schlecht gereimten Rhythmus-Sprache so richtig ernst zu nehmen in der Rolle aus Mühselige und Beladene, als verlorene Kinder dieser bösen-bösen Gesellschaft, die sie nicht haben will. Ihr Gejammer ist wie der Text auf einer Kitschpostkarte, und der Schmalz lässt Dieter Bohlens Schule ahnen – Deutschland sucht noch viel mehr Superstars.

    Und das ist leider auch fast schon alles, was vom neuen Stück des weithin umschwärmten Senkrechtstarters Nuran David Calis zu berichten ist – die Story nämlich, die sich um Songs von derart überschaubarer Qualität gruppieren muss, ist noch viel dünner. "Einer von uns", einer also dieser hautfarblich und auch frisurentechnisch (von Glatze bis Irokese) gut durchgemischten Multi-Kulti-Rasselbande, ist Anukami, und vor geraumer Zeit ist er mit Vater und Mutter aus dem Irak nach Deutschland gekommen. Der Sohn wohnt im Hotel Mama und scheint stark gefährdet, gerade weil er Muttern (die sich und ihn, Papa ist schon weg, mit einer Änderungsschneiderei gerade so eben über Wasser hält) gelegentlich Scheine zusteckt, damit sie die Stromrechnung bezahlen kann.

    Mutti will im Übrigen das Beste, wie alle Muttis: nämlich einen Schulabschluss für den Sohn. Der aber sucht das Abenteuer in der Straßen-, pardon: der Street-Gang. Und als er ein verslumtes Hochhaus erklettert, entdeckt er ganz oben auf dem Dach einen anderen Verlorenen, der sich als "Tuareg" ausgibt, als Wüstenritter also, und Datteln mag. Wir ahnen schlimmes – das wird wohl der Vater sein, der die Familie einst so schmählich im Stich ließ.

    Und genau so kommt’s.

    Ohne die HipHopper würde sich auch Calis wohl nicht trauen, dieses Stückchen zur Inszenierung freizugeben – so ist nun eins das Vehikel fürs andere; und beides bleibt lahm. Und zum Glück für dieses völlig theater-untaugliche Beschäftigungsprogramm für die "HipHop Academy" haben wir offenbar ein derart elend schlechtes Gewissen, weil die Gesellschaft ja seit geraumer Zeit wieder echte Armut und echtes Elend schafft, dass wir diesen Schmarren nicht lauthals auspfeifen.

    Übrigens zeigte das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg neulich einen Abend, an dem ältere Mitbürger einander gegenseitig und dem Publikum bestätigten, wie wichtig und aufopferungsvoll und was für tolle Typen sie noch sind. Das Thalia Theater zieht nun also gleich – mit jungen Leuten, mehr oder minder vom Rande der Gesellschaft, die das gleiche tun.

    Und sonst gar nichts.