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"Die Zensur wird ziemlich stark zurückgedrängt"

"China befindet sich im Wandel", stellt die chinesische Schriftstellerin Luo Lingyuan bei ihrem Aufenthalt auf der Frankfurter Buchmesse fest. Die chinesische Führung treffe Dank der Deutschen auch auf Dissidenten aus ihrem Land: "China wird davon lernen."

Luo Lingyuan im Gespräch mit Sandra Schulz | 14.10.2009
    Sandra Schulz: War es richtig, China als Ehrengast zur Buchmesse nach Frankfurt zu laden? Dieser Streit überschattet das Literaturtreffen vor dem Hintergrund von Zensur und Menschenrechtsverletzungen in China. Dabei wird davon gar nicht so viel mitbekommen, wer das erste Mal nach China kommt. Die Bücherläden sind voll und auch an den Kiosken türmen sich Zeitschriften. Aber der Eindruck täuscht. Ausländische Zeitungen finden sich in sehr begrenzter Anzahl und nur in großen Hotels. Regierungskritische Schriften fehlen ganz. Die Zensur in China ist hart und gefährlich wird es für diejenigen, die zu scharfe Kritik am System üben.
    Auch die Debatten, die wir hierzulande führen, die das Frankfurter Treffen begleiten, sind schwierig. Das hat allerspätestens die Klarstellung des früheren chinesischen Botschafters in Frankfurt Mitte September gezeigt.

    "Wir sind gekommen, um mit Ihnen Meinungen auszutauschen, nicht gekommen, um uns im Demokratieunterricht belehren zu lassen. Diese Zeit ist schon vorbei!"

    Schulz: Schon Wochen vor Beginn der Frankfurter Buchmesse war der Eklat da. Nach dem Auftritt zweier chinesischer Dissidenten hatte die offizielle chinesische Delegation empört den Raum verlassen. Eine Entschuldigung der Veranstalter folgte, die für weitere Diskussionen sorgte. Kniefall vor der Diktatur, oder sensibel geführter Dialog? - Ein Konflikt, der auch diese Tage in Frankfurt prägt. Frage an die chinesische Schriftstellerin Luo Lingyuan, die mir jetzt in Frankfurt zugeschaltet ist: Etwa 100 chinesische Autoren werden in Frankfurt erwartet. Es gibt aber auch Autoren, wie auch gerade gehört, die keine Ausreiseerlaubnis erhalten haben. Steht die Buchmesse im Zeichen der Zensur?

    Luo Lingyuan: Eigentlich nicht. Gut: Es gibt in China immer noch diese dunkle Seite, wo die Autoren noch nicht ganz so viel Freiheit bekommen, aber sonst ist die Freiheit für Autoren schon von Jahr zu Jahr größer geworden und auch die Bücher sind sehr kritisch geworden. Die Zensur wird ziemlich stark zurückgedrängt und wenn man dann zum Beispiel das Buch von "Oeroa Roeda" sieht, da ist er sehr kritisch mit der Kulturrevolution und auch mit der Reform umgegangen und da kann man sehen, die Zensur hat sich eigentlich nicht darum geschert und das Buch ist veröffentlicht worden.

    Schulz: Es gibt natürlich in China noch immer auch andere Verletzungen der Menschenrechte: Folter, ethnische Minderheiten werden unterdrückt. Und jetzt gibt es viele Kritiker, die sagen, man kann niemanden offiziell empfangen, der eben für diese Diktatur steht. Das sagt zum Beispiel der frühere Sprecher der Buchmesse, Holger Ehling, so. Was halten Sie entgegen?

    Lingyuan: Ich denke, China ist nicht mehr die Diktatur wie die in der Kulturrevolution. Damals kann man wirklich sagen, da ist China total in der Diktatur. Jetzt befindet sich China eigentlich im Wandel. Das System ändert sich immer ein bisschen mehr und das Gesetzsystem wird immer ein bisschen verbessert und Gesetze erlassen. Deswegen ist das auch für China ein Modernisierungsprozess, wo China immer weiter lernen muss und vorwärts gehen muss.

    Schulz: Aber macht China es seinen Gastgebern nicht auch ziemlich schwer, es willkommen zu heißen? Es hat schon vor einem Monat diesen Eklat gegeben, weil zwei chinesische Dissidenten aufgetreten sind. Über den Fall haben wir viel gesprochen. Macht China es seinen Gastgebern nicht auch ziemlich schwer?

    Lingyuan: Das glaube ich nicht. Ich denke, Herr Mos ist damit sehr gut und diplomatisch umgegangen und er hat erreicht, was viele Staatsmänner nicht erreicht haben, nämlich dass China mit Dissidenten in einem Raum zusammensitzt und öffentlich miteinander redet. Ich denke, das ist sehr wichtig, weil China in China das noch nicht tun muss. China hat dort dann ja Macht und muss das nicht tun. Und im Ausland, wenn dann China hin und wieder das tut, vielleicht merkt China auch, dass man das tun soll, dass man immer dann ein bisschen offener zu Dissidenten ist und so weiter.

    Schulz: Aber ist es denn wirklich für einen Gast angemessen, seinen Gastgebern vorzuschreiben, wer noch alles auf der Gästeliste steht?

    Lingyuan: Ich denke, das hat China auch gar nicht geschafft. Das ist auch das Gute von Deutschland. Deutschland ist auch ein starkes Land. Deutschland hat sich von China nicht vorschreiben lassen, wer kommen soll, und Deutschland hat genug Exil-Literaturautoren eingeladen und alle anderen möglichen. Ich denke, das ist sehr gut zu sehen, dass es eine sehr bunte Buchmesse wird.

    Schulz: Trotzdem steht natürlich der Vorwurf im Raum, dass da eine Diktatur ihren Auftritt selbst mit inszeniere. China hat ja mitgeredet bei der Gästeliste. Was halten Sie diesem Vorwurf denn entgegen?

    Lingyuan: China ist auch fest entschlossen, weiter auf die Welt zuzugehen, und dieser Schritt zur Buchmesse ist auch ein Schritt davon. China wird dann auch vom Ausland, auch von Deutschland sehr viel lernen, moderner zu sein und eben weniger diktatorisch zu sein.

    Schulz: Weiter auf die Welt zuzugehen, sagen Sie. Welche Schritte hat China auf die Welt denn überhaupt zugemacht bisher?

    Lingyuan: Na eben! Früher hat China das nie gemacht. Im Kaiserreich hat China sich immer abgeschottet. Aber mit der Olympiade hat China schon die Welt zu sich eingeladen. Das war ja auch ein großer Schritt. Und jetzt mit diesem Schritt zur Buchmesse ins Ausland und dann kommt auch die Weltausstellung in Shanghai. Von dieser Buchmesse, denke ich, wenn es Reibungen gibt, ist das auch keine schlechte Sache. China wird davon was lernen.

    Schulz: Jetzt möchte ich mit Ihnen auch noch über die Literatur zur Buchmesse sprechen. Was habe ich verpasst, wenn ich mich bisher überhaupt noch nicht mit chinesischer Literatur beschäftigt habe?

    Lingyuan: Ich denke gar nicht so wenig. Inzwischen gibt es sehr gute Autoren in China, die dann auch sich mit Geschichte befassen, mit der Aufarbeitung von verschiedenen Geschichtsphasen. Die haben auch recherchiert, haben viele Leute interviewt und die bringen sehr viele Informationen durch die Bücher zu Leuten. Ich denke, viele Bücher sind auch nicht unbedingt übersetzt worden. Der deutsche Büchermarkt kann ja auch nicht alles verdauen. Deswegen ist es sicher eine gute Chance, dass man vielleicht hier verschiedene Autoren kennen lernen könnte durch die Buchmesse, weil die chinesischen Autoren sind nicht mehr Vertreter der Partei, nicht mehr partei-, linientreu, und sie sind jeder ein Individuum geworden. Auch die Regionen sind sehr unterschiedlich, weil China so riesig groß ist. Daher ist es schön, wenn man hier auf die Autoren zugehen könnte und genau ihre Wünsche hören könnte, wie China sich entwickeln soll und so weiter. Dann, denke ich, kann man vieles erfahren, wie China sich tatsächlich entwickelt hat.

    Schulz: Was kann ich erfahren?

    Lingyuan: Wie China sich tatsächlich entwickelt hat, weil durch die Medien hier erfährt man eher von dieser diktatorischen Seite, von Umweltverschmutzung, von Menschenrechtsverletzungen und so. Diese Seite hat China natürlich immer noch, aber es gibt viele andere Seiten. Zum Beispiel China hat so viele Minderheiten, aber China gibt sich total sehr große Mühe, damit die Minderheiten zusammenleben könnten, so wie in einer großen Familie. Diese Autoren sind auch nicht alle Chinesen, die sind auch von den Minderheiten dabei, und daher könnte man schon auch einiges erfahren, ob das tatsächlich geklappt hat, oder wie man sich als Minderheitenautor fühlt. Ich denke, da gibt es auch Autoren, die sind ja nicht alle von Peking, sondern von verschiedenen Regionen, und da kann man auch vieles erfahren, wie das Leben in einer Region, die hier überhaupt nicht bekannt ist, läuft.

    Schulz: Aber diese konkreten Menschenrechtsverletzungen, die es auch gibt - wir haben vorgestern die Meldungen gehört von den ersten Todesurteilen nach den Unruhen in Urumtschi -, die werden wirklich eins zu eins abgebildet in der chinesischen Literatur?

    Lingyuan: Nein, nein, das noch nicht. So schnell geht das auch nicht. Das ist auch gerade frisch passiert. Aber es gibt schon Literatur, die sich mit Minderheiten befasst, und daher sollte man einfach auch ein bisschen zuhören. Natürlich: diese Menschenrechtsverletzungen sollte man auch weiter verfolgen und man sollte irgendwie China auch dabei helfen, dass China immer weniger solcher Verletzungen verursacht. Aber es gibt einfach auch viele andere Seiten. Zum Beispiel hatte China ja schon immer das Problem, dass das Reich nicht zerfällt. Der Staat gibt sich sehr viel Mühe, auch die Armutsregionen ein bisschen aufzubauen mit dem Geld aus den reichen Regionen. Es gibt sehr viele Bemühungen, wo China versucht, die Menschen zusammenzumischen, so dass sie friedlich miteinander leben, und da könnten die Autoren sicher auch was dazu sagen, wie ihre Meinungen dazu sind. Ich denke, das ist sehr wichtig, dass man den Autoren genau zuhört, was sie sagen.

    Schulz: Die chinesische Schriftstellerin Luo Lingyuan im Gespräch mit dem Deutschlandfunk und das Interview können sie kommentieren, wenn sie möchten, auf der Seite www.Buergerinfo09.de.