Dienstag, 23. April 2024

Archiv


"Die Zinsen dürften steigen"

Michael Kemmer erwartet ein sanftes Ansteigen der Zinsen: Die Rezession sei vorbei. Zwar würden Kredite teurer, aber angelegtes Geld werde höher verzinst. Die viel kritisierte Anlageberatung der Banken sieht Kemmer auf gutem Weg.

Michael Kemmer im Gespräch mit Dirk Müller | 30.03.2011
    Dirk Müller: Was ist aus der Finanzkrise geworden? Das Desaster, das mit Lehman Brothers vor zweieinhalb Jahren begann, haben viele zwar noch im Hinterkopf, doch ein Wirtschaftswachstum von über drei Prozent hierzulande hat zahlreiche Sorgenfalten auch wieder geglättet. Wie steht es aber mit den Verursachern des Ganzen, den Banken? Kommen sie ungeschoren letztendlich doch davon? Denn viele Geldinstitute weltweit melden wieder Milliarden-Gewinne. Die Euro- und Finanzkrise und auch das Verhältnis zur Politik ist Thema beim Deutschen Bankentag, der heute Abend offiziell in Berlin beginnt.
    Die Kanzlerin wird morgen auf dem Bankentag in Berlin reden, Rainer Brüderle wird auch auf dem Bankentag reden, ebenfalls Sigmar Gabriel. – Am Telefon ist nun Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer vom Bundesverband der deutschen Banken. Guten Morgen!

    Michael Kemmer: Guten Morgen.

    Müller: Herr Kemmer, haben Sie denn die Grünen auf der Agenda vergessen?

    Kemmer: Wie kommen Sie darauf?

    Müller: Sind sie dabei?

    Kemmer: Sie meinen am Bankentag?

    Müller: Genau.

    Kemmer: Ja selbstverständlich! Die sind eingeladen und so weit ich weiß gibt es auch einige Zusagen.

    Müller: Sie haben auch Zusagen. – Aber Sie wissen jetzt nicht, wer dabei ist?

    Kemmer: Ich kann es Ihnen nicht sagen. Es sind 1000 Leute insgesamt, aber natürlich wird auch jemand von den Grünen dabei sein.

    Müller: Wir haben die Podienliste abgeglichen, da waren sie dann nicht dabei, also als Diskussionspartner auf den Podien.

    Kemmer: Da haben Sie recht. Da sind sie nicht dabei. Da kann ich Ihnen aber nicht sagen, woran das lag, also sicherlich nicht daran, dass wir sie ausgegrenzt haben. Wir reden mit allen Politikern, selbstverständlich auch mit den Grünen.

    Müller: Ist Ihnen Schwarz-Gelb am liebsten?

    Kemmer: Wir haben da keine Präferenzen. Uns ist die Politik am liebsten, die vernünftige Dinge tut für unsere Banken.

    Müller: Wie haben Sie denn die Koalition und Angela Merkel davon überzeugen können, weniger zu regulieren als geplant und ursprünglich angekündigt?

    Kemmer: Wir haben sie nicht davon überzeugen können, denn die Regulierung läuft ja so, wie sie international vorgegeben ist. Hier sind ja nationale Kompetenzen nur eingeschränkt, da läuft ja sehr viel über das sogenannte Financial Stability Board und den Baseler Ausschuss, und ich habe nicht das Gefühl, dass wir hier in Deutschland zurückhängen, ganz im Gegenteil. Wir sind in einigen Dingen sogar Vorreiter. Wir haben beispielsweise die Regeln zur Vergütung sehr schnell und auch deutlich intensiver umgesetzt als andere Länder. Also ich habe überhaupt nicht den Eindruck, dass wir hier in Deutschland mit der Regulierung hinterherhinken würden.

    Müller: Meinen Sie auch die Vergütung der Manager, der Spitzenleute?

    Kemmer: Ja, ja, natürlich. Da gibt es ja ein Gesetz und eine Verordnung. Das basiert auf dem, was dieses Financial Stability Board vorgegeben hat. Das ist in Deutschland schneller umgesetzt worden als in anderen Ländern und auch restriktiver.

    Müller: Aber viele Gehälter, Jahressaläre werden wieder zweistellig werden.

    Kemmer: Wir haben momentan sehr gute Ertragslage bei den Banken und das spiegelt sich dann auch in den Gehältern wieder. Sie müssen aber sehen, dass die Struktur der Gehälter eine völlig andere geworden ist. Wir haben hier sehr viel mehr Wert auf Nachhaltigkeit gelegt, oder die Institute haben hier sehr viel mehr Wert auf Nachhaltigkeit gelegt. Das heißt, die Höhe der Gehälter hängt sehr viel stärker am langfristigen Erfolg, als das in der Vergangenheit der Fall war, und das war ja sicherlich auch mit einer der Auslöser der Krise, weniger in Deutschland als in den Vereinigten Staaten, und darauf ist reagiert worden.

    Müller: Die Bankenabgabe, Herr Kemmer, das ist ja beschlossene Sache, steht aber noch im Bundesrat an. Werden Sie versuchen, die Mitglieder des Bundesrates davon zu überzeugen, es nicht durchzuringen?

    Kemmer: Wir sind im Prinzip für die Bankenabgabe, insbesondere für das sogenannte Restrukturierungsgesetz, weil es letztlich eine marktwirtschaftliche Regelung schafft, die auch Banken ermöglicht, aus dem Markt genommen zu werden, ohne dass der Steuerzahler einspringen muss, und das ist prinzipiell gut.

    Müller: Und wie viel kann der Steuerzahler dann erwarten, was in den Haushalt fließt durch die Bankenabgabe?

    Kemmer: Da sind momentan angesetzt pro Jahr etwa 1,3 bis 1,5 Milliarden Euro. Wir gehen davon aus, dass das auch fließen wird. Die Regelungen sind im Wesentlichen vernünftig. Es gibt noch ein paar Detailpunkte, wo wir in der Diskussion sind.

    Müller: Glauben Sie, dass die Finanzkrise überwunden ist?

    Kemmer: Nein! Wir befinden uns sicherlich nicht im Jahr eins nach der Finanzkrise, sondern eher im Jahr Vier der Finanzkrise. Sie ist allerdings deutlich abgeflaut und am Auslaufen. Aber wir tun alle miteinander sehr gut daran, weiterhin wachsam zu bleiben.

    Müller: Jetzt haben ja viele, wenn wir bei der Finanzkrise bleiben – Sie sagen, wir sind im Jahr Vier -, Angst vor steigender Inflation und vor steigenden Zinsen, gerade auch hier in Deutschland. Wird das so kommen?

    Kemmer: Wir haben Inflationsdruck aus bestimmten Sondereffekten. Das hat zu tun mit der Krise in Nordafrika, das hat zu tun mit den Entwicklungen an den Rohstoffmärkten, das hat zu tun mit den Entwicklungen an den Nahrungsmittelmärkten. Der Inflationsdruck ist höher als in der Vergangenheit, aber er ist noch nicht beunruhigend.

    Müller: Und deswegen müssen die Zinsen steigen?

    Kemmer: Die Zinsen dürften steigen. Sie wissen ja, dass die EZB schon angekündigt hat, möglicherweise einen Zinsschritt zu machen. Wir rechnen damit, dass dieser nächste Woche kommen wird. Wahrscheinlich werden es 0,25 Prozent sein. Das ist aber etwas, was überhaupt nicht beunruhigend ist. Die Wirtschaft wächst sehr stark. Wir gehen davon aus, dass in Euro-Land die Wirtschaft in diesem Jahr um mehr als 1,5 Prozent wachsen wird, und da passen Zinsen auf Rezessionsniveau nicht dazu.

    Müller: 0,25 Prozentpunkte, sagen Sie. Gehen Sie davon aus, dass es noch höher wird im Laufe des Jahres?

    Kemmer: Das ist schwer zu prognostizieren. Das ist zunächst mal ein vernünftiger Schritt. Es kann durchaus sein, dass es noch mehr wird. Es ist auch nicht sicher, dass diese Zinserhöhung sich dann unmittelbar auf die Kreditzinsen durchschlägt, aber ich glaube, wir müssen alle miteinander damit rechnen, dass wir ein etwas höheres Zins-Niveau bekommen werden, wobei einfach auch zu sagen ist, dass das Zins-Niveau in den letzten Jahren ja extrem niedrig gewesen ist. Und wie gesagt, es liegt momentan auf Rezessionsniveau. Die Rezession ist überwunden, also ist auch überhaupt kein Problem darin zu sehen, wenn die Zinsen leicht nach oben gehen.

    Müller: Herr Kemmer, um da noch mal nachzufragen. Das heißt, aus Sicht des Verbrauchers ist schon klar, dass sein Geld demnächst, was er sich leihen muss, teurer wird?

    Kemmer: Das kann so sein, das muss nicht so sein. Das Ganze hat ja zwei Seiten. Auch das Geld, das der Verbraucher anlegt, wird dann höher verzinst, was den Verbraucher durchaus freuen dürfte.

    Müller: Werden die Banken demnächst die Kunden besser beraten?

    Kemmer: Ich glaube, die Kundenberatung ist insgesamt nicht so schlecht. Natürlich gibt es hier immer wieder Verbesserungsbedarf. Wir handeln mit sehr komplexen Produkten, das müssen die Banken verstehen, das müssen auch die Verbraucher verstehen. Es gibt einige Ansatzpunkte auch für gesetzliche Regelungen, die zum Teil ein bisschen übers Ziel hinausgehen. Ich glaube, insgesamt ist die Kundenberatung nicht schlecht, aber die Banken tun natürlich gut daran, wenn sie hier weiterhin investieren in die Ausbildung ihrer Mitarbeiter und wenn einfach der einzelne Mitarbeiter weiß, dass nur der Kunde, der zufrieden ist und der wiederkommt, ein guter Kunde ist, den er zum Nutzen des Kunden und damit auch zum Nutzen der eigenen Bank dann beraten kann.

    Müller: Deutsche Richter haben das ja in der vergangenen Woche etwas anders gesehen. Es gab das Zinswetten-Urteil gegen die Deutsche Bank. Welche Auswirkungen wird das haben?

    Kemmer: Das ist im Moment noch nicht abzusehen. Wir müssen erst warten, bis die Urteilsbegründung im Einzelnen vorliegt. Das betraf einen Einzelfall und man muss dann sehr sorgfältig analysieren, ob das Auswirkungen auf allgemeine Beratung haben wird. Momentan schaut es eher nicht so aus.

    Müller: Reden wir über die Euro-Krise. Was befürchten Sie da?

    Kemmer: Die Euro-Krise ist ja keine Krise des Euro, es ist eine Krise der Staatsschulden in einigen Ländern. Hier müssen wir höchst wachsam sein. Hier haben einige Staaten in der Vergangenheit über ihre Verhältnisse gelebt. Das ist nicht ungefährlich. Ich glaube, dass der Mechanismus, der jetzt eingeführt worden ist, prinzipiell vernünftig ist. Es ist sehr, sehr wichtig, dass die Staaten, die unter diesen Rettungsschirm schlüpfen, Haushaltsdisziplin wahren, dass es hier Druck gibt, dass es hier auch Sanktionsandrohungen gibt. Wir hätten uns persönlich gewünscht, dass es mehr automatische Sanktionen gegeben hätte. In Summe beurteilen wir dieses Paket insgesamt aber als positiv.

    Müller: Es gab ja auch die Vorschläge, innerhalb der Europäischen Union private Gläubiger demnächst mit heranzuziehen. Da hat die Kanzlerin Nein gesagt. Sehen Sie das auch so?

    Kemmer: Ich gehe davon aus, dass wir ab 2013, wenn dann der europäische Stabilitätsmechanismus installiert sein wird, durchaus eine Beteiligung privater Gläubiger haben werden, über die sogenannten Collective Action Clauses. Das sind Regelungen, die es dann eben einer Mehrheit von Gläubigern ermöglichen, für alle Gläubiger zu sprechen und hier auch Verzichte auszusprechen. Ich glaube, das ist vernünftig, dass es dieses geben wird. Momentan ist die Situation noch nicht so stabil, als dass man flächendeckend Abschläge vornehmen könnte und sollte. Deshalb ist die bisher gezeigte Vorgehensweise aus unserer Sicht durchaus vernünftig.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer vom Bundesverband der deutschen Banken. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Kemmer: Gerne! Auf Wiederhören.

    Sammelportal Eurokrise