Freitag, 19. April 2024

Archiv


Die Zukunft der Medien in "Google-Zeiten"

Mit dem Programm "Von der Gutenberg-Galaxis zur Google-Galaxis" begeht die Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft ihr 50-jähriges Jubiläum. Ein Ergebnis: Auch die "alten" Medien haben weiterhin einen großen Einfluss auf die Meinungsbildung der Menschen.

Von Barbara Weber | 09.05.2013
    Quiring: "Die Gutenberg-Galaxis war so etwas wie eine erste große wirklich mediale Revolution, nämlich massenhaft Medien vertreiben zu können."
    Stark: "Es lag natürlich auf der Hand, hier in Mainz Bezug zu nehmen auf den berühmtesten Sohn der Stadt."
    Quiring: "Google-Galaxis ist eher eine Metapher für die zweite Revolution, nämlich die Internet Revolution."
    Stark: "Die Erfindung des Buchdrucks wird immer gleichgesetzt mit der Erfindung des Internets und auch mit den gesellschaftlichen weitreichenden Veränderungen. Da lag es auf der Hand natürlich Bezug zu nehmen zu Google, weil Google eine Schlüsselfunktion einnimmt, um überhaupt Informationen im Internet zu finden."

    Das Internet ist zum Leitmedium geworden - so Birgit Stark und Oliver Quiring, Professoren am Institut für Publizistik in Mainz. Rund drei Viertel der Deutschen sind online, über 53 Millionen im Netz. Wenn die Internetnutzer Informationen suchen, suchen die meisten bei Google.
    Innerhalb des Schwerpunktes Medienkonvergenz erforscht Birgit Stark die "Googleisierung der Informationssuche".

    "Problematisch ist zum einen die Monopolstellung von Google, rund 95 Prozent der Suchanfragen laufen über Google. Das heißt, Google ist so eine Art Flaschenhals, hat eine Schlüsselfunktion, man sagt auch Gatekeeper-Funktion. Denn ohne eine Suchmaschine finden sie keine Information im Netz. Ein weiterer wichtiger Punkt: Es wird Neutralität, es wird Objektivität unterstellt dieser Suchmaschine, aber das ist natürlich nicht richtig, weil Google ist ein wirtschaftlich orientiertes Unternehmen, das heißt, da stehen Marktinteressen im Mittelpunkt und nicht nur unbedingt die Nutzerinteressen."

    Der Marktführer speichert Daten über bisherige Suchvorgänge und personalisiert die Suchergebnisse. Das führt dazu, dass sich die Ergebnisse selbst bei identischen Suchbegriffen von Nutzer zu Nutzer unterscheiden. Die Benutzer wiederum der Suchmaschine agieren sehr naiv, meint die Wissenschaftlerin, das heißt:

    "Man wählt in der Regel die ersten Treffer aus, die oben auf der Trefferliste stehen, das heißt, man guckt gar nicht nach, was es noch für Informationen gibt weiter hinten in der Trefferliste."

    Meinungsvielfalt sieht anders aus. Ihre Untersuchungen zeigen, dass viele Nutzer kaum Kenntnis über die Funktionsweise von Google haben und darüber hinaus wenig Problem- oder Risikobewusstsein.

    "Das bedeutet von der medienpädagogischen Seite: Man muss Medienkompetenz stärker fördern im Umgang mit Suchmaschinen. Man muss sehr früh in den Schulen auch gerade bei Kindern, die sehr früh beginnen, mit Suchmaschinen umzugehen, sehr früh die Kompetenz fördern."

    Ein weiteres Thema der Tagung sind die Wechselwirkungen zwischen Journalismus und Public Relation. Die Grenzen sind oft fließend und Konzerne, Behörden und Politiker wissen um die Macht der Medien und versuchen, Berichterstattung auf ihre Weise zu beeinflussen.
    An der Technischen Universität Ilmenau beschäftigen sich Medienwissenschaftler mit der Frage, wie militärische Akteure Medien sehen. Claudia Auer ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin.

    "In unserem Forschungsprojekt haben wir untersucht, wie sich die Medienbeziehungen von Bundeswehr und US-Streitkräften von 1990 bis zur Gegenwart gewandelt haben."

    In den Befragungen von Soldaten und Sicherheitspolitikern beider Länder stießen die Wissenschaftler darauf, dass die Vorstellungen, die die Interviewten von den Medien und von Journalisten haben, einen Einfluss auf Medienbeziehungen und die alltägliche Praxis im Umgang mit Medien haben.

    "Zum Beispiel haben wir herausgefunden, dass US-Soldaten - aufgrund der negativen Erfahrungen mit Medien während des Vietnamkrieges - in den 80er- bis Mitte 90er-Jahre ungefähr die Medien eher als Feinde klassifiziert haben."

    Das hat sich geändert, denn sowohl die US-Streitkräfte als auch die Bundeswehr haben Medien inzwischen als Faktor der öffentlichen Meinungsbildung erkannt.

    "Wo dann Führungsebenen festgestellt haben, wir müssen wirklich auch mehr mit den Medien zusammenarbeiten, weil wir dadurch auch unser Image in der Bevölkerung aufbessern können und auch mehr Informationen über uns in den Medien vermitteln können."

    Eine Tendenz zeigte sich bei der Befragung beider Streitkräfte: So wird kritisiert, dass Journalisten, die über Militär berichten, immer weniger Vorinformationen mitbringen. Wenig informierte Journalisten wiederum bergen die Gefahr unreflektierter Berichterstattung - also doch eher Public Relation?

    "Wobei man auch hier sagen muss, dass in den Gesprächen offiziell die Linie gefahren wird, dass es nicht unbedingt positiv ausfallen muss für die jeweilige Teilstreitkraft oder die Armee an sich, aber dass es korrekt sein soll. Und manchmal wird dann eben so verfahren, dass auch klassifizierte Informationen, also Informationen, die eigentlich nicht veröffentlicht werden sollen, an die Pressevertreter weitergegeben werden, damit diese den ganzen Hintergrund kennen der Geschichte und natürlich auch so eine Geschichte aus Sicht des Militärs, richtig darstellen können."

    Was die aktuelle Berichterstattung anbelangt, werden jetzt die ersten Ergebnisse zu Studien über die EU-Krise vorgestellt. Professor Oliver Quiring ist Mitherausgeber einer neuen Publikation zu dem Thema.

    "Die Grundlage der Studie war eine von der Stiftung Demoskopie Allensbach geförderte Inhaltsanalyse von Qualitätszeitungen, der Bildzeitung, Fernsehnachrichtensendungen von ARD, ZDF und RTL sowie Spiegel und Focus im Jahr nach der Lehman-Pleite."

    70 Prozent der untersuchten Sendungen und 85 Prozent der Zeitungen berichteten über die Wirtschaftskrise. Nicht verwunderlich: Insbesondere herausragende Ereignisse wie die Bekanntgabe der Garantie für Spareinlagen durch die Kanzlerin, aber auch der Kurs von DAX oder Dow Jones waren den Medien eine Meldung wert. Oliver Quiring vermutet, dass sich Themen in der Bevölkerung und den Medien hochschaukeln können:

    "Ein typisches Beispiel ist die Lehman-Pleite dann am 15. September 2008 und dann das anschließende Übergreifen auf die deutsche Wirtschaft. Davon wussten die Deutschen selbst noch relativ wenig, weil man am Arbeitsplatz oder im Alltagsleben auch wenig davon spürte. Also die Bevölkerung wurde durch die Medien auf ein Problem aufmerksam. Das trug sicherlich zu einer gewissen Sorge bei. In der Folge aber garantierte Frau Merkel ein paar Tage später die Spareinlagen der deutschen Sparer."

    Der Trick funktionierte. Der gefürchtete Ansturm auf die Banken blieb aus.
    Um die Wirtschaftskrise geht es auch bei einem Projekt, das seit 2003 das Entstehen einer europäischen Öffentlichkeit und deren Wandel erforscht.
    Dabei untersuchen Wissenschaftler Medien in Österreich, Frankreich, Dänemark, Großbritannien, Polen und Deutschland.

    In einer ersten Phase konnten sie feststellen, dass im Laufe der Jahre über Ländergrenzen hinweg in den Medien immer intensiver über Brüssel berichtet wurde. In der zweiten Phase interessierten sie sich dafür, ob durch Journalisten, die über Europa schreiben, eine gemeinsame länderübergreifende Berichterstattungskultur entsteht. Andreas Hepp, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft, an der Universität Bremen:

    "Momentan befassen wir uns noch bis zum Jahr 2014 mit der Frage, wie bringen sich Bürger in die europäische Öffentlichkeit ein. Nutzen sie überhaupt die Medien, dass sie Zugang zur europäischen Öffentlichkeit haben. Was sind ihre Probleme möglicherweise mit Europa und ähnlichen Fragen. Daneben haben wir untersucht oder untersuchen wir gerade, was in Onlineforen passiert also so etwas wie eine Kommentarfunktion bei Spiegel-Online aber auch beispielsweise in Twitter oder Facebook. Also wie hier von den Bürgerinnen und Bürgern über Europa diskutiert wird."

    Womit die Wissenschaftler nicht gerechnet hatten, war die Wirtschaftskrise, die während der laufenden Studie begann. Denn obwohl keines der direkt betroffenen Krisenländer bei der Untersuchung dabei war, bewertet Andreas Hepp die ersten Ergebnisse positiv:

    "Der erste ganz grundlegende Befund, den wir haben, ist, dass wir ganz klar sagen können, mit allen Leuten, mit denen wir gesprochen haben, und das waren selbst Obdachlose, für all die ist das ein Thema. Sie kriegen das mit, sie kriegen das über die Medien mit. Sie sind in so etwas einbezogen wie eine europäische Öffentlichkeit. Der zweite Punkt ist, dass wir bei den Bürgerinnen und Bürgern einen ganz spezifischen Diskurs finden. Das haben wir bezeichnet als die Auseinandersetzung damit, die Krise zu verstehen. Also die Bürger kämpfen sehr mit der Komplexität der Krise."

    Haben andererseits aber schon eigene Lösungsvorschläge entwickelt: Ein Teil der Befragten meint, die Krise müsse von den betroffenen Ländern selbst gelöst werden, ein anderer plädiert für Solidarität und Hilfen der nichtbetroffenen Länder. Es gibt aber auch die Vorstellung, dass die Wirtschaftskrise die EU stärker zusammenschweißen könnte.

    Euro, Auslandseinsätze der Bundeswehr oder das Internet waren vor 50 Jahren unvorstellbar, als die Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft gegründet wurde. Die Deutschen schauten noch Schwarz-Weiß-Fernsehen. Heute sind fast drei Viertel hierzulande online. Doch das Ende der alten Medien ist - trotz gegenteiliger Unkenrufe - nicht in Sicht. Professorin Birgit Stark:

    "Ich glaube, die alten Medien werden ihre Nischen finden, teilweise haben sie sie schon gefunden, nehmen Sie als Beispiel die Wochenzeitung "Die Zeit", sie ist sehr erfolgreich. Und das Fernsehen ist ja so erfolgreich, das alte, traditionelle Fernsehen wird im Moment so stark genutzt wie noch nie. Auch dieses Medium sucht sich seine Nische in Form von ganz neuen Anwendungen, zum Beispiel Second Screen, dass man zum Beispiel zum Medium selbst im Wohnzimmer auch auf einem zweiten Bildschirm noch mal Zusatzanwendungen zum Fernsehen nutzt zum traditionellen Programm."