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Die zweifache Eroberung Amerikas

Archäologie. - Die bislang ältesten bekannten Zeugnisse menschlicher Besiedlung in Amerika sind Knochenfunde im chilenischen Monte Verde, die auf ein Alter von 12.300 Jahren datiert werden. Jetzt veröffentlichten Forscher aus Brasilien neue Daten zu den Anfängen der Besiedlung Amerikas.

Von Michael Stang | 13.12.2005
    Die Besiedlung Amerikas stellten sich Archäologen bislang so vor: Vor rund 12.000 Jahren kamen Einwanderer aus dem Nordosten Asiens über die damals trockene Beringstraße. Die Forscher gingen davon aus, dass diese ersten Einwanderer die Vorfahren der heutigen Indianer waren, die deshalb auch bislang als Ureinwohner bezeichnet werden. Vor ein paar Jahren wurde der Anthropologe Walter Neves aber stutzig. Die Schädel dieser ersten Einwanderer sahen ganz anders aus als die der heutigen Indianer. Um seine Zweifel zu beseitigen, untersuchte er 81 Schädel aus der Lagoa-Santa-Region in Brasilien, deren Besitzer zu einer der frühesten Einwanderergruppen gezählt werden. Und er stellte etwas Überraschendes fest.

    "Anfangs war ich schon erstaunt: Die Schädel der ersten Amerikaner wiesen die gleichen Merkmale auf wie Australier und Afrikaner und eben nicht wie Ostasiaten oder Indianer. Das bedeutet, die heutigen Indianer sind nicht die Nachfahren der ersten Einwanderer. Der amerikanische Kontinent wurde von mindestens zwei verschiedenen Gruppen besiedelt."

    Walter Neves untersuchte zusammen mit seinen Kollegen vom Labor für Human-Evolutionsstudien an der Universität von Sao Paulo die 8000 bis 12.000 Jahre alten Schädel. Dabei maßen die Anthropologen 54 typische Merkmale, etwa die Breite der Nasenwurzel, die Dicke des Unterkieferastes oder die Rundung des Hinterhaupts. Dann verglichen sie die Schädelmaße mit denen der Indianer.

    "Die Unterschiede waren enorm. Ich spreche hier nicht von Details, sondern von grundlegenden Unterschieden in dem, was in Deutschland als "Bauplan" bezeichnet wird."

    Diese Baupläne weichen so extrem voneinander ab, dass sie unmöglich nur zu einer Bevölkerungsgruppe gehören können.

    "Die Schädel der ersten Einwanderer sind länger, ihre Augenhöhlen sind niedriger und die Nasen breiter. Wenn man diese Schädel mit denen heutiger Indianer vergleicht, sieht man sofort, dass die Schädelformen so unterschiedlich sind, wie sie überhaupt nur sein können. "

    Diese Ergebnisse deuten daraufhin, dass die ersten Einwanderer nicht die Vorfahren der heutigen indianischen Populationen sein können. Die ersten Amerikaner weisen Schädelmerkmale auf, die heute in Melanesien, Australien und dem südlichen Afrika verbreitet sind. Deren Vorfahren lebten vor rund 20.000 Jahren auch in Asien. Einige von ihnen müssen nach Amerika eingewandert sein, vermutet der Anthropologe aus Sao Paulo. Diese ersten Einwanderer sind demnach vor ungefähr 12.000 Jahren über die Beringstraße nach Amerika gekommen. Ein paar tausend Jahre später, vor rund 8000 Jahren, sind dann erst die Vorfahren der heutigen Indianer auf dem gleichen Weg nach Amerika gekommen. Amerika ist also mindestens zweimal besiedelt worden, auch wenn die ersten Einwanderer keine Nachfahren in Amerika hinterlassen haben. Überrascht hätten Walter Neves die Ergebnisse nicht wirklich.

    "Nein, nein, das war nicht überraschend. Ich bin aber sehr glücklich, dass unsere Daten mit unseren Vermutungen übereinstimmen. Früher wurde immer gesagt: "Ihr habt viel zu wenige Stichproben - die ein zwei Veränderungen müssen nichts heißen." Jetzt konnten wir aber auch diese Kritiker überzeugen, weil wir einfach ausreichend gute Daten haben."

    Für den Anthropologen ist dies aber erst der Anfang. Die Forscher haben gerade ein weiteres, vollständig erhaltenes Skelett aus dieser Zeit ausgegraben. Zudem sollen bald genetische Untersuchungen an den alten Skeletten die bisherigen Vermutungen stützen, wann genau die ersten Menschen auszogen, um Amerika zu besiedeln.