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Die zweite Ausbildung als Buchhalterin

Die Bundesregierung will ausländische Abschlüsse in Zukunft einfacher anerkennen. Bislang müssen die meisten Migranten in Deutschland als Ungelernte arbeiten oder erneut eine Ausbildung machen. Dafür besuchen sie Schulen, absolvieren Kurse und lassen sich prüfen.

Von Ralf Geißler | 31.03.2012
    "Gut, sind soweit alle da?"

    Morgens in Leipzig. Katja Zücker steht vor 16 Berufsschülern im Robotron Bildungszentrum – einer privaten Weiterbildungseinrichtung, in der sich Zuwanderer fit machen können für den deutschen Arbeitsmarkt.

    "Wir beginnen wie immer mit der trockenen Grammatik gleich früh, wo der Kopf noch ein bisschen frischer sein muss."

    Auf dem Stundenplan steht Deutsch für Bürokaufleute. Die Schüler wollen technisch-kaufmännische Fachkräfte werden. Zücker hilft ihnen dabei.

    "Das heißt heute: Sie haben alle noch das Blatt von letzter Woche: unsere Relativsätze, die wir uns anschauen wollen. Sie werden auch einen Brief wieder schreiben. Letzte Woche habe ich Sie ja davon befreit. Heute müssen Sie leider in den sauren Apfel beißen."

    Zückers Schüler sind allesamt Migranten, stammen aus Vietnam, China und Osteuropa. Im Bildungszentrum wollen sie das lernen, was erforderlich ist, um in Deutschland einen Job zu bekommen. Viktoria Hochalta wurde in Russland geboren. Sie kam vor sechs Jahren als Spätaussiedlerin nach Deutschland. Einen Berufsabschluss hatte sie da eigentlich schon im Gepäck.

    "Ich habe Schule fertig gemacht und habe Ausbildung abgeschlossen. Ich bin Buchhalterin von Beruf."

    Doch der 26-Jährigen ging es wie vielen Migranten. Sie wollte als Buchhalterin arbeiten, bekam aber immer wieder gesagt, dass ihr russischer Abschluss nicht ausreiche. Sie müsse ihn in einen in Deutschland gültigen übertragen lassen.

    "Ich habe Papiere nach Dresden ins Bildungsministerium geschickt. Und es wurde nicht anerkannt. Leider. Muss ich was Neues machen oder noch mal das Gleiche lernen."

    Und so lernt Hochalta derzeit noch einmal die Grundlagen der Buchhaltung – und deutsche Besonderheiten im Arbeits- und Steuerrecht. Neben ihr sitzt Anna Mock. Sie stammt aus der Ukraine, hat dort landesüblich nach elf Jahren Abitur gemacht. Den deutschen Behörden reichte das nicht aus. Sie schickten Anna Mock erneut in die Schule – für einen deutschen Realschulabschluss, denn fürs Gymnasium waren ihre Deutschkenntnisse zu schlecht.

    "Das war natürlich schwieriger. Ich war älter als alle anderen. Mit 18 habe ich die neunte und die zehnte Klasse gemacht. Das war natürlich kompliziert. Aber jetzt verbessere ich mich. Ich bin hier, um mein Deutsch zu verbessern."

    Ungenügende Deutschkenntnisse sind für viele Migranten die größte Hürde bei der Suche nach Arbeit. Doch nicht weniger hinderlich sind die nicht anerkannten Abschlüsse. Im Robotron Bildungszentrum können die Migranten einen Abschluss bekommen. Finanziert vom Europäischen Sozialfonds und dem Freistaat Sachsen. Die Ausbildung zur technisch-kaufmännischen Fachkraft dauert ein Jahr. Und die Nachfrage ist groß. Frank Dennhardt ist Niederlassungsleiter. Er sagt, 75 Prozent seiner Absolventen finden anschließend einen Job.

    "Zielrichtung sind kleine und mittelständische Unternehmen. Und dort aber ziemlich breit vom Einsatzspektrum her. Das geht los: Wir haben ehemalige Teilnehmer in Reisebüros, in Übersetzungsbüros, in Steuerberatungsbüros aber auch selbstständig im Gastronomiebereich."

    Bevor die Migranten sein Bildungszentrum verlassen, absolvieren sie noch ein zweimonatiges Praktikum. Die Fachprüfung nimmt die Handwerkskammer ab, die Sprachprüfung das Goethe-Institut.

    "Gut die meisten sind soweit fertig. Gehen wir es durch."

    Zurück im Unterricht.

    "Wie fragen wir nach dem Dativ? Wie ist das Fragewort immer?"

    Katja Zücker übt mit den Schülern noch immer deutsche Grammatik. Auffallend ist: In der Klasse sitzen fast nur Frauen.

    "Das ist das typische Bild leider. Woran das liegt, kann ich ihnen nicht sagen. Aber das ist so das typische Bild, dass wir meistens nur vier Männer im Kurs haben, im Schnitt aber so 18 Teilnehmer insgesamt. Und die Männer sind leider immer in der Unterzahl."

    Künftig sollen ausländische Abschlüsse in Deutschland einfacher anerkannt werden. Ausbildungen speziell für Migranten werden dann nicht mehr so dringend benötigt wie heute. Und doch ist Zücker sicher, dass sie weiterhin gebraucht wird – als Deutschlehrerin.

    "Selbst wenn sie einen anerkannten Abschluss haben, sind eben die Sprachkenntnisse noch unabdingbar. Dass das einfach vorhanden ist, dass sie hier vernünftig kommunizieren können und eindeutig kommunizieren können."