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Diener des Gemeinwohls

Westdeutschlands größtes Naturkundemuseum trägt seinen Namen, ein Forschungsschiff und eine Datenbank biologischer Zeitschriften ebenso. Vor 300 Jahren wurde der Arzt und Naturforscher Johann Christian Senckenberg geboren.

Von Anselm Weidner | 28.02.2007
    "Frankfurt, den 18ten Augusti 1763, [...] in Namen der Heiligen Hochgelobten Dreyeinigkeit. §1: Die Hinfälligkeit dieses elenden zeitlichen Lebens, die offtmalige schnelle Endigung desselben, und die Liebe zu meinem Vaterland [...] sind diejenigen Beweggründe, welche mich bestimmet, demselben meine irdische gänzliche Habseligkeit, bey Ermangelung ehelicher Leibes-Erben, [...] zu widmen [...] und auf immerdar zu überlassen."

    In der Gründungsurkunde der Senckenbergischen Stiftung vermacht der Arzt und Stadtphysikus Johann Christian Senckenberg einem noch zu bildenden Collegium medicum aus protestantischen Ärzten sein gesamtes Vermögen: 100.000 Gulden, sein Wohnhaus samt der 12.000 Bände umfassenden Bibliothek und die umfangreichen Mineralien- und Fossilien-Sammlungen und benennt als Hauptstiftungszweck

    "die bessere Gesundheitspflege hiesiger Einwohner und Versorgung der armen Kranken [...] Meine Stiftung wird von hier aus gute Leute machen, auch gute auswärtige herbeiführen und hiesige zum Nacheifern bringen, mir zur Freude, da alles darauf abzielt, dass der Stadt in medicis wohl gedient werde."

    1765 erwirbt Senckenberg ein zirka drei Hektar großes Grundstück am Eschersheimer Turm und lässt dort innerhalb von fünf Jahren einen Botanischen Garten mit beheizbarem Gewächshaus anlegen, ein Gebäude für die Bibliothek, die Sammlungen, ein Chemielabor und einen Vorlesungssaal errichten, lässt ein Theatrum Anatomicum und ein Bürgerhospital bauen und stiftet so praktisch eine komplette medizinische Fakultät.

    Geboren am 28. Februar 1707 in Frankfurt am Main, studiert Johann Christian Senckenberg in Halle Medizin und promoviert in Göttigen, an Orten der deutschen Frühaufklärung, in der wissenschaftliche Vernunft und die tätige Frömmigkeit des Pietismus noch nahe beieinander waren.

    "Der kluge Arzt erkennt, dass er nicht Meister der Natur ist, sondern sie nur soweit beherrscht,wie Gott es ihm gestattet.[...] Was ist die Heilkunde anderes als ein täglicher Dienst der Liebe, Güte und Gerechtigkeit, um das Wohl der Leidenden zu fördern","

    schreibt Senckenberg in "de pietate medici” - "Über die Frömmigkeit des Arztes”. Er gerät in heftige theologische Dispute zwischen orthodoxen Lutheranern und Pietisten, legt sich mit den Frankfurter Ratsherren, denen er Eitelkeit und Eigennutz vorwirft, an und gilt als Sonderling. Als ihm in den 40er Jahren zwei Ehefrauen und zwei Kinder sterben, beginnen seine Pläne für eine wohltätige Stiftung zu reifen. Im Juli 1771 wird der Grundstein für das Bürgerhospital gelegt. Aber Glück und Freude des Mäzens über sein mit Beharrlichkeit gegen so manche Missgunst durchgesetztes Lebenswerk finden ein jähes Ende. Am 15. November 1772 stürzt er vom Baugerüst des Hospitals und stirbt.

    Heute sind das Bürgerhospital und das Naturmuseum Senckenberg, das eigenständig naturwissenschaftliche Forschung betreibt, die Kernstücke der Senckenbergischen Stiftungsidee. Reinhold Leinfelder, Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde, ist auch Sprecher der Direktorenkonferenz der naturwissenschaftlichen Forschungsammlungen in Deutschland:

    ""Senckenberg basiert auf einem privaten Mäzenatentum. Es war insbesondere die Netzwerkfunktion, die die Mäzene haben, die Netzwerke in die Stadt Frankfurt, in das Land Hessen und später in den Bund entwickelt haben, was ihm eine explosionsartige Entwicklung beschert hat, so dass es heute das zweitgrößte naturkundliche Ausstellungsmuseum in Deutschland geworden ist und auch seine Sammlungen zu den ganz großen in Deutschland gehören. Nirgendwo sonst hat es diese durch das Mäzenatentum bewirkte Entwicklung gegeben."

    Auf Anregung Goethes war 1817 aus der Senckenberg'schen Stiftung die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft hervorgegangen, und 1822 wurde dort der Physikalische Verein gegründet. Innerhalb der nächsten 150 Jahre entstanden in Frankfurt aus der Stiftung Laboratorien, Institute und Bibliotheken, Tempel der Wissenschaft auf der Höhe ihrer Zeit, wie sie sich der fromme Arzt, Wissenschaftler und Gesundheitsreformer Johann Christian Senckenberg erträumt hatte. Am Gemeinwohl orientierter Bürgersinn hatte eine Wissenschaftslandschaft hervorgebracht, die 1914 nicht zuletzt die Gründung der Frankfurter Universität mit ermöglichte.