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Dienstleister der Massenvernichtung

Ob Firmenchef Monteur, technischer Zeichner oder Prokurist: Bei Topf & Söhne waren viele in das Geschäft mit dem Tod involviert. Historikerin Annegret Schüle hat sich mit dem Unternehmen befasst und eine Geschichte von der alltäglichen Mitwirkung am Holocaust geschrieben.

Von Grit Eggerichs | 14.02.2011
    Annegret Schüle beginnt ihre Betriebschronik von Topf & Söhne bei den Ursprüngen der Firma im Jahr 1878 und endet in der Gegenwart - 14 Jahre nach dem Konkurs des letzten Nachfolgeunternehmens. Die Erfurter Firma Topf stellte vor dem ersten Weltkrieg Heizungs-, Brauerei- und Mälzereianlagen her und war unter der Führung von Ludwig Topf senior ein Betrieb mit ethischem Fundament, wie Annegret Schüle schreibt:

    "Die Unternehmergeneration der Gründerzeit, als deren typischer Vertreter Topf gelten kann, entstammte oft einfachen
    Techniker-, Handwerker- und Kaufmannsfamilien. Ihre soziale Herkunft schüttelten sie nicht in einem neureichen Gestus ab, sondern blieben sich dieser bewusst und leiteten daraus eine eigene Verantwortung ab. Sie waren liberal eingestellte, sozial handelnde und gesellschaftlich denkende Unternehmerpersönlichkeiten. Zu Unternehmen mit jüdischer Herkunft ergaben sich dadurch zahlreiche Anknüpfungspunkte."


    Die Erben Ludwig und Ernst-Wolfgang Topf hatten viele jüdische Freunde und standen den Nationalsozialisten skeptisch gegenüber. Nach Hitlers Machtübernahme traten sie nur in die NSDAP ein, um den Betrieb vor der drohenden Übernahme durch stramme Nazis zu sichern. Die liberale Firmenpolitik ihres Vaters konnten sie beibehalten: Unter ihrer Leitung fanden viele Opfer und Gegner des Regimes, Sozialdemokraten und Kommunisten einen Arbeitsplatz. Sämtliche Mitarbeiter, die ab 1939 in den Krematorienbau für die Konzentrationslager verwickelt waren, stellt die Autorin mit ihrem biografischen Hintergrund und Fotos aus den Akten vor. Besonderes Augenmerk legt sie dabei auf Kurt Prüfer, einen Ingenieur mit Fronterfahrung im Ersten Weltkrieg und Mitglied des Erfurter Volksfeuerbestattungsvereins. In den 20er-Jahren spezialisierte er sich auf den Krematoriumsbau. Ein neuer Geschäftsbereich bei Topf & Söhne: Die Einäscherung setzte sich erst in der Weimarer Republik als Alternative zur Erdbestattung durch.

    "Mit der Feuerbestattung drang die Ingenieurstechnik in einen Bereich vor, der bisher allein dem kirchlichen Bestattungsritual vorbehalten gewesen war. Für Kurt Prüfer kann dies der Weg gewesen sein, seine Konfrontation mit dem Massensterben an der Front zu verarbeiten und dafür einen geordneten, technischen Parametern angepassten Umgang mit dem Tod zu finden."

    Bis 1939 bemühte sich Prüfer, Öfen zu konstruieren, die eine würdige und individuelle Einäscherung ermöglichten. Als die SS Krematorien für ihre Konzentrationslager in Buchenwald und Auschwitz bestellt, ist der Ingenieur ebenfalls zu Diensten. Er entwickelt zunächst Krematorien mit zwei Muffeln - das sind die Kammern, in denen die Leichen verbrennen. Als Techniker mit professionellem Ehrgeiz suchte er den Bedürfnissen der SS entgegenzukommen - statt Einäscherungsöfen lieferte er jetzt Kadaververnichtungsanlagen für den sogenannten "Massenbetrieb". Die effizientesten Öfen hatten acht Verbrennungskammern.

    Kurt Prüfer sei darauf besonders stolz gewesen, schreibt Annegret Schüle und zitiert ihn aus einem Brief, den er am 6. Dezember 1941 an die Brüder Topf verfasste:

    "Wie Sie wissen, habe ich die Dreimuffel- als auch die Acht-Muffel-Einäscherungsöfen durchgearbeitet und hierbei meistens meine Freizeit - zuhause - benutzt. Diese Ofenkonstruktionen sind auch für spätere Zeiten bahnbrechend, und ich darf wohl annehmen, dass Sie mir für die geleistete Arbeit eine Prämie gewähren werden. Heil Hitler!"

    Prüfer entwarf schließlich sogar Entlüftungsanlagen für Gaskammern, um das Morden zu beschleunigen. Dass Chefs und Ingenieure bei Topf & Söhne durchaus das Bedürfnis hatten, sich für das Geschäft mit der SS vor sich selbst zu rechtfertigen, belegen Dokumente, in denen sie von einer "Not-" oder "Sondersituation" sprechen: Offenbar waren sie der Meinung, der totale Krieg entschuldige den Verzicht auf jede zivile Moral.

    Dass selbst Kommunisten keine Probleme damit hatten, an der industriellen Vernichtung von Menschen mitzuwirken, betont Annegret Schüle besonders. Hier zeigt sich, dass politische Opposition sehr beschränkt sein kann:

    "Für sie ging es um den Erhalt und die Verbesserung von Bedingungen, Positionen und Ressourcen in ihrem persönlichen, beruflichen und politischen Kontext - dies genügte, um sie in einem massenmörderischen System zu Gehilfen der Mörder und deren Komplizen zu machen. Das nationalsozialistische System funktionierte - wie sich hier exemplarisch zeigt - auch deshalb so gut, weil Menschen, die mit einem Teil ihrer Identität zu Gegnern und Opfern wurden, mit einem anderen Teil zugleich Mittäter und Profiteure waren."

    Die Unternehmensmoral von Topf und Söhne endete am Werkstor, wie Annegret Schüle treffend formuliert. Das faire Betriebsklima zahlte sich nach 1945 zunächst aus: Selbst Gegner des Nationalsozialismus stellten ihren Chefs Persilscheine aus. Aber noch während die Dienstleister der Massenvernichtung ihre Schuld bestritten, begann die Geschichtsfälschung "von oben". In der sowjetisch besetzten Zone wurde der Betrieb zwar als "belastet" eingestuft, doch:

    "Die Begründung für die Belastung enthält viele Fehler, die sich zu einem historischen Bild verdichteten, das dann in seiner eindimensionalen, antikapitalistischen Stoßrichtung in der DDR dominant wurde. Hatten Vertreter der neuen Firmenleitung noch Ende 1945 den antinazistischen Geist im Betrieb unter den Gebrüdern Topf beschworen, so wurden diese früheren Chefs jetzt zu den Alleinschuldigen erklärt und alle anderen Mitarbeiter, die noch in der Firma tätig waren, exkulpiert."

    Die Gründung des "Staates der Antifaschisten" machte jede wirkliche Analyse der Nazizeit überflüssig. In der DDR galt: Nazis = Kapitalisten. Und die gab es nur noch westlich der Elbe.

    Im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik war lange Zeit jeder Blick zurück ein Blick zuviel. Und so dauerte es noch Jahrzehnte, ehe Historiker die Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und der SS zum Thema machten.

    Auch diese Umwege der Aufarbeitung werden zum Gegenstand der differenzierten Darstellung der Geschichte von Topf & Söhne. Das Buch "Industrie und Holocaust" ist weit mehr als eine Firmenchronik. Annegret Schüle hat ein reich illustriertes deutsches Geschichtsbuch geschrieben, das umfassend und am Beispiel eines Unternehmens die Mitwirkung der Industrie am Holocaust beschreibt.
    Annegret Schüle: "Industrie und Holocaust. Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz", Wallstein Verlag, 464 Seiten, 29,90 Euro.

    Annegret Schüles Buch ist zeitgleich mit der Eröffnung der Gedenkstätte auf dem ehemaligen Fabrikgelände von Topf & Söhne in Erfurt erschienen. Mehr Informationen zur Gedenkstätte:

    Die Ofenbauer von Auschwitz
    Ausstellung über die Hersteller der Krematorien (DLF) *