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"Diese Arbeitsplätze nicht aus Prinzipienreiterei in Gefahr bringen"

Die stellvertretende ver.di Vorsitzende Margret Mönig-Raane hat bis Montagabend einen Beschluss über die Zukunft von Arcandor gefordert. Die Politik müsse dem Unternehmen eine faire Prüfung zugestehen. Ohne die Finanzkrise wäre Arcandor nicht derart in Not geraten, meinte die Gewerkschafterin.

Margret Mönig-Raane im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 06.06.2009
    Tobias Armbrüster: Nicht hier im Studio, sondern auch für den Handelskonzern tickt die Uhr. Nach Angaben des Unternehmens laufen in knapp in einer Woche am kommenden Freitag mehrere Darlehen in Höhe von 650 Millionen Euro aus. Bis dahin braucht das Unternehmen also frisches Geld. Zu Arcandor gehört unter anderem die Karstadt-Kette. Insgesamt beschäftigt der Konzern 50.000 Menschen. Aber ist das Grund genug für Staatshilfen in dreistelliger Millionenhöhe? In dieser Woche gab es dazu höchst unterschiedliche Stimmen aus der deutschen Politik:

    "Ich glaube, dass die Eigentümer und auch die Gläubiger einen erheblichen Beitrag leisten müssen."

    "Wir wollen nicht gradestehen als Steuerzahler für das, was an Managementfehlern auf der Kapitalseite passiert ist. Und deswegen glaube ich, die sollten sich mal in erster Linie selbst an die Nase fassen."

    "Ich find solche Vorabfestlegungen sträflich."

    "Jeder einzelne Fall wird geprüft."

    "Mit der Einschätzung der Europäischen Kommission fällt aber ein ganz, ganz wichtiger Bestandteil des Weges in den Deutschlandfonds weg."

    "Ich bin dafür, dass man dieses Für und Wider in den Gremien, die über eine Bürgschaft zu entscheiden haben, sehr solide geredet und abgewogen wird, bevor man sich öffentlich wieder festlegt."

    "Der Maßstab ist nicht, wie viel Arbeitsplätze gerettet werden, sondern der Maßstab ist, ob das Unternehmen eine Zukunftschance hat."

    Armbrüster: Soweit die Ansichten von Angela Merkel, Laurenz Meyer, Roland Koch, Peer Steinbrück und Karl-Theodor zu Guttenberg. Aber wie beurteilen die Gewerkschaften die Lage bei Arcandor? Darüber möchten wir sprechen mit der Vizevorsitzenden von ver.di, der Dienstleistungsgewerkschaft. Guten Morgen, Margret Mönig-Raane!

    Margret Mönig-Raane: Guten Morgen!

    Armbrüster: In einer Woche geht Arcandor also das Geld aus. Was sollte Ihrer Meinung nach bis dahin passieren?

    Mönig-Raane: Ich finde, an Arcandor sollte nicht irgendein Exempel statuiert werden, sondern in der Tat das gemacht werden, was Herr Guttenberg und viele andere zugesagt haben: eine faire Prüfung. Das, was wir in der letzten Woche erlebt haben, war das Gegenteil, sondern das war eher ein Politkrimi, der da abgelaufen ist. Die entscheidende Frage ist doch in der Tat: Hat die finanzielle Krise von Arcandor was mit der Finanzkrise zu tun, ja oder nein? Dazu gibt es Fakten. Und die Fakten sagen, Ja. Wenn jetzt gesagt wird, aber da gab's doch vorher schon ne Krise, ja, das haben aber nicht wenige Unternehmen, dass sie Kredite aufnehmen müssen, dass sie sich restrukturieren müssen, aber Arcandor war nie zahlungsunfähig, sondern das ist passiert. Also diese Drohung, zahlungsunfähig zu werden, in der sie jetzt sind, ist passiert seit Oktober letzten Jahres, wo die Finanzkrise genau die beteiligten Banken, das sind ja die schottische Bank, die Commerzbank und die BayernLB, ja selber ins Trudeln geraten sind.

    Zweiter Punkt ist: Gibt es ein Zukunftskonzept? Wenn man dort auf die Fakten guckt, kann man sehen, dass seit letztem Jahr sowohl bei Quelle wie bei Karstadt die Richtung wieder nach oben geht und dieses Unternehmen wirklich eine Chance hat. Selbstverständlich muss geprüft werden, ob man nicht gutes Geld schlechtem hinterherwirft. Und das haben wir auch geprüft, als wir im Oktober eben aufgrund dieser Krise einen zweiten Sanierungstarifvertrag gemacht haben, weil sonst machen wir das nicht, weil das ja gar nicht zu verantworten ist.

    Armbrüster: Frau Mönig-Raane, ich verstehe Sie richtig, Sie wollen innerhalb der nächsten Woche bis zum 12. Juni, das ist der Stichtag, Geld locker machen beim Staat, aber was wir gerade von den Politikern gehört haben, ist ja eine mehrheitlich skeptische Ansicht. Was wollen Sie machen in den kommenden Tagen, um die Damen und Herren in Berlin zu überzeugen?

    Mönig-Raane: Also das Problem ist, dass bis zum 12. offensichtlich gar nicht Zeit ist, Sie haben's vorhin berichtet, dass das Geld schon zurzeit zu knapp wird. Ich denke, dass bis Montagabend eine Entscheidung getroffen werden muss. Ansonsten gefährdet man wirklich viele tausend Arbeitsplätze, ja, aus Prinzipienreiterei oder wie soll ich es sonst nennen. Und die Beschäftigten machen jetzt noch mal in den nächsten Tagen durch Mahnwachen und durch allerlei Aktionen in und an den Karstadt-Häusern darauf aufmerksam. Und ich gehe davon aus, dass die weit über eine Million Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die in den letzten zwei Wochen unterschrieben haben, "Jawohl, wir wollen, dass Karstadt auch erhalten bleibt", dass die sich noch mal auch verstärkt zuwenden. Und ich hoffe, dass die Politikerinnen und Politiker wirklich fair prüfen und dann zu einem Ergebnis kommen, was diese Arbeitsplätze nicht aus Prinzipienreiterei in Gefahr bringt.

    Armbrüster: Hinter Arcandor stehen ja, das wurde mehrfach berichtet, auch mehrere Großaktionäre, darunter die Milliardärsfamilie Schickedanz. Warum sollen diese Aktionäre nicht zuerst mal Geld locker machen?

    Mönig-Raane: Ja, selbstverständlich müssen die Anteilseigner Geld locker machen, das haben sie in den vergangenen Jahren auch tatsächlich gemacht. So viel Fairness muss auch sein. Ob das ausreichend ist, das, finde ich, müssen diejenigen, die prüfen, sich offenlegen lassen, selbstverständlich gilt das so. Und ich denke auch, dass die Banken nicht so tun sollten, gerade die schon genannten Banken, als wären sie nicht selber mit Milliarden Steuergeldern, die dann tatsächlich geflossen sind und nicht nur Bürgschaften waren, geholfen wurde.

    Armbrüster: Aber Frau Mönig-Raane, wenn man sich die ganze Geschichte mit Arcandor der letzten Woche ansieht, dann stellt sich doch die Frage: Rufen die Arbeitnehmer und auch die Gewerkschaften nicht immer zuerst mal nach dem Staat, weil der möglicherweise unter Druck steht und auch gerade im Wahlkampf schneller bereit ist, Geld locker zu machen?

    Mönig-Raane: Ich finde die Frage berechtigt. Wenn Sie sich aber angucken, was die Beschäftigten schon in den letzten Jahren aufgebracht haben, damit dieses Unternehmen wieder in gutes Fahrwasser kommt, haben die Beschäftigten in den vergangenen drei Jahren, vergangenen vier Jahren insgesamt schon fast eine Milliarde Euro selber aufgebracht. Die Anteilseigner haben auch eine Menge Geld aufgebracht. Also es ist nicht so, dass man als Erstes zum Staat gerufen hat, sondern sozusagen jetzt wirklich als letzte Rettung zu sagen, wir können nicht mehr. Die Beschäftigten zahlen schon, engagieren sich unglaublich, und dafür ist doch dieses Instrument der Staatsbürgschaft eingerichtet worden, dass Unternehmen, die auf dem Weg sind, wieder in schwarze Zahlen zu kommen, dass die nicht sozusagen auf den letzten Metern auflaufen, auf Grund laufen.

    Armbrüster: Aber Sie haben es jetzt gerade selbst angesprochen, es gibt schon seit mehreren Jahren Anstrengungen bei Arcandor. Das heißt doch tatsächlich, dass wir hier eigentlich über einen Konzern reden, der tatsächlich nicht erst durch die jetzige Wirtschaftskrise in Schwierigkeiten geraten ist, sondern dem es schon seit sehr langer Zeit schlecht geht.

    Mönig-Raane: Ich finde, ja, ich finde, man muss genau hingucken. Wäre die Finanzkrise nicht gekommen, würde Arcandor weder in Brüssel noch in Berlin anstehen und sagen, wir brauchen Hilfe, weil die gibt es ja auch in ganz normalen Zeiten, sondern dieser Konzern war wirklich auf dem Weg hin zum Ufer aus eigener Kraft. Und ohne die Finanzkrise hätten die das auch geschafft. Und das ist doch der entscheidende Punkt, wo diese Staatsbürgschaften helfen sollen, nämlich dass genau das nicht passiert, dass Unternehmen, die aus eigener Kraft sich wieder aus einer Krise entwickelt haben, dass die dann auf den letzten Metern nicht mehr können.

    Armbrüster: Jetzt mal angenommen, am Montag kommt eine deutsche Supermarktkette und sagt, wir brauchen 600 Millionen, und am Dienstag kommt dann vielleicht noch ein Bauhauskonzern und sagt, ein Baumarktkonzern, Verzeihung, und sagt, wir brauchen auch 600 oder 700 Millionen. Würden Sie das auch unterstützen?

    Mönig-Raane: Das kommt drauf an. Man muss doch genau die gleichen Kriterien anlegen.

    Armbrüster: Die Frage ist: Gibt es für Sie bei ver.di sozusagen eine Schlusslinie, wo Sie sagen würden, da machen wir nicht mehr weiter?

    Mönig-Raane: Also in den vergangenen Wochen und Monaten sind ja mehrere Handelskonzerne in Schwierigkeiten gekommen und einige sind auch insolvent gegangen. Und wir haben dort jedes Mal sowohl mit den Beschäftigten auch wie natürlich mit der Unternehmensleitung darüber verhandelt und gemeinsam auch geguckt, was kann man tun, damit hier Arbeitsplätze gehalten werden und damit hier Unternehmen wieder aus der Krise rauskommen. Das ist mal gelungen und mal nicht gelungen. Also, wir machen das bei jedem Unternehmen, was kommt, dass wir gucken, kann man helfen und wie kann man helfen.

    Armbrüster: Die stellvertretende Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di war das, Margret Mönig-Raane. Ich danke Ihnen vielmals für das Gespräch ...

    Mönig-Raane: Gerne.

    Armbrüster: ... und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!

    Mönig-Raane: Danke schön gleichfalls.
    Margret Mönig-Raane, stellvertretende Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
    Margret Mönig-Raane, stellvertretende Vorsitzende der Dienstleistungs- gewerkschaft ver.di (AP)