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"Diese Irrationalität darf nicht dazu führen, dass man irrational antwortet"

Omid Nouripour schließt nicht aus, dass der Iran hinter dem geplanten Anschlag auf den saudischen Botschafter steht. Der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen glaubt, dass militärischer Druck der USA zu "unabsehbaren" politischen Konsequenzen führen würde.

Omid Nouripour im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.10.2011
    Tobias Armbrüster: Das Verhältnis zwischen den USA war ohnehin schon seit Jahren auf einem Tiefpunkt, als am Dienstagabend die Meldungen reinkamen über ein angebliches Mordkomplott des iranischen Geheimdienstes in Washington. Die Reaktionen auf diese Enthüllungen der amerikanischen Behörden sind zwar weltweit höchst unterschiedlich, einige Beobachter bezweifeln, dass die iranische Führung tatsächlich ihre Finger im Spiel hat, aber die USA halten an den Vorwürfen fest.
    Wir haben über diese aufgedeckten Attentatspläne heute Morgen auch mit dem Publizisten und Iran-Experten Ulrich Tilgner gesprochen. Für ihn kommen die Anschuldigungen gegen das Regime in Teheran völlig unerwartet:

    "Es ist schon eine Überraschung, weil bisher gibt es noch keine vergleichbaren Planungen, die bekannt geworden sind. Also von da aus muss man schon nach wie vor auch noch ein Fragezeichen hinter das Ganze machen. Es sollen ja die Quds-Brigaden beteiligt sein, das sind Spezialeinheiten der Revolutionswächter für den Einsatz im Ausland, und die sind ja eigentlich bisher nur aktiv geworden, um proiranische Kräfte aufzubauen, oder aber Gegner Irans auszuschalten. Und dass man Anschläge dann in den USA plant - es war ja angeblich eine ganze Anschlagsserie geplant -, das ist schon eine große Überraschung."

    Armbrüster: Am Telefon begrüße ich jetzt Omid Nouripour, er ist Verteidigungspolitiker der Grünen und als Deutsch-Iraner außerdem bestens vertraut mit aktuellen Entwicklungen im Iran. Schönen guten Tag, Herr Nouripour.

    Omid Nouripour: Ich grüße Sie, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Nouripour, steht der Iran hier zu Unrecht am Pranger?

    Nouripour: Das würde ich so nicht sagen. Es ist relativ fragmentiert, wie im Iran Entscheidungen gefällt werden. Es ist alles andere als undenkbar, dass einzelne Leute, kleinere Gruppen im Rahmen des unübersichtlichen Machtspiels im Iran, um anderen ein Schnippchen zu schlagen, sie unter Druck zu setzen, et cetera. pp., tatsächlich so was vorbereitet haben. Das heißt aber nicht - und da gebe ich Ihrem Experten auch recht -, es wäre wirklich unwahrscheinlich. Das heißt nicht, dass das Regime an sich eine solche irrationale Tat tatsächlich geplant hat, die natürlich zu unglaublich großen Verwerfungen und riesigem internationalen Druck führt.

    Armbrüster: Welches Motiv könnte denn dahinter stehen?

    Nouripour: Wir haben derzeit im Iran eine Bruchlinie zwischen dem Präsidenten und dem Revolutionsführer bei der Frage, wer ist der nächste Präsident. Ahmadinedschad darf nicht noch mal kandidieren. Die Mittel, die finanziellen Mittel, mit denen die Balance der Macht in den letzten Jahrzehnten gelungen ist, werden immer weniger, das hat auch was mit den Sanktionen zu tun. Es gibt ganz viele verschiedene Streitereien. Spätestens seit 2009 und der gefälschten Wahl und den Protesten, die danach erfolgt sind, gibt es sehr viele Risse in diesem Regime und es gibt innerhalb dieses Regimes sehr viele Leute, die versuchen, davon eben abzulenken, weil sie der Meinung sind, dass man nach außen eskalieren kann, indem man die Shoa beispielsweise bestreitet, wie es Ahmadinedschad getan hat, indem man immer wieder Aktionen durchführt, mit denen die Iraner tatsächlich auch von außen angegriffen werden könnten - das meine ich nicht nur militärisch. Und da will man dadurch natürlich auch die Reihen schließen. Noch mal: Das heißt nicht, dass das die gesamte Elite ist; das ist eine ganz bestimmte Elitedenkschule, die tatsächlich immer wieder solche Aktionen auch in der Vergangenheit vollzogen hat.

    Armbrüster: Die USA haben jetzt auch ihre Verbündeten in Europa aufgerufen, Konsequenzen zu ziehen. Wie sollte die Bundesrepublik hier agieren?

    Nouripour: Es ist natürlich richtig, dass eine solche Aktion, egal, auch wenn es einzelne Leute sind von einem Regime und nicht das ganze Regime selber, dass das natürlich zu verdammen ist. Es ist ja nicht unbedingt beruhigender, wenn man hört, dass im Iran einzelne Leute so was planen und die Spitze des Staates weiß davon nichts. Das macht es ja nicht ungefährlicher. Das heißt, natürlich muss man den Druck auf den Iran erhöhen. Ich glaube aber, dass auch in dieser Situation das Notwendigste wäre, die Frage der Menschenrechte im Iran als Aufhänger zu nehmen für Sanktionen und nicht ein Komplott, von dem vorne und hinten nicht viel zusammenpasst. Das heißt nicht, dass der so nicht stattgefunden hat; das heißt aber, die Amateurhaftigkeit der ganzen Geschichte zeugt ein Stückchen auch davon, dass wir sehr viel mehr genau schauen müssen, was ist jetzt in diesem Augenblick relevant, und die besten Verbündeten, die wir im Iran haben, gegen diese Regierung, gegen dieses Chaos, sind natürlich diejenigen, die auf der Seite der Menschenrechte stehen.

    Armbrüster: Nun sagen einige Kritiker, möglicherweise wollen die Amerikaner hier einen Militärschlag gegen den Iran einleiten. Was halten Sie davon?

    Nouripour: Die Aktion, die es in den USA gegeben hat seitens der Iraner, ist ja hoch irrational. Das macht keinen Sinn, diesen Botschafter auch nur anzugehen, der ja nicht mal eine große Nummer ist im saudischen System, trotz aller Rivalitäten der beiden Länder. Das macht keinen Sinn, auf dem Territorium der Staaten eine solche Aktion zu vollziehen, weil das natürlich die größtmögliche Provokation ist und auch die größtmöglichen Reaktionen mit sich bringen könnte. Diese Irrationalität darf nicht dazu führen, dass man irrational darauf antwortet. Die USA haben in Afghanistan eine Aktion, die noch nicht vollendet ist und auch die nächsten zwei, drei Jahre ganz bestimmt nicht vollendet sein wird, die sind im Irak nicht wirklich weitergekommen, und im Iran sind die politischen Konsequenzen einer solchen militärischen Aktion völlig unabsehbar. So blöd, wenn ich es so direkt sagen darf, so blöd können die Amerikaner nicht sein.

    Armbrüster: Was sind denn Ihre Informationen darüber, wie diese Anschuldigungen aus Washington, wie die in Teheran ankommen?

    Nouripour: Da gibt es eine große Nervosität, nach dem, wie ich es erlebe. Es gibt relativ schnelle, von einigen Leuten auch sehr authentische Dementis. Die Art und Weise, wie die Iraner dementiert haben, klingt für mich so, als wäre das tatsächlich nicht in der Breite diskutiert worden, eine solche Aktion, und als hätten alle Revolutionsführer, Präsident et cetera. Diese Irrationalität darf nicht dazu führen, dass man irrational darauf antwortet, et cetera. pp. Ihren Segen dazugegeben. Ich glaube, dass die Iraner sehr nervös sind, ich glaube, dass sie relativ bald auch überlegen werden, wie sie ein Zeichen des guten Willens, wie immer dieses auch aussehen mag, zum Beispiel, dass man die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde einlädt, dass die bessere Inspektionen vollziehen können et cetera pp., ich bin relativ sicher, die Iraner werden demnächst als Zeichen des guten Willens irgendeine Aktion tatsächlich anleiern und irgendein Zeichen setzen wollen, dass sie das nicht ganz so schlimm meinen und dass sie nicht isoliert werden wollen, weil davon haben sie nichts.

    Armbrüster: Also die Anschuldigungen aus Washington gegenüber Teheran halten nach wie vor die internationale Politik in Atem. Wir haben darüber mit Omid Nouripour gesprochen, er sitzt für die Grünen im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages. Besten Dank, Herr Nouripour, für das Gespräch.

    Nouripour: Danke Ihnen, Herr Armbrüster.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.