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"Diese Neuverschuldung ist bitter - aber insgesamt richtig"

Bundesfinanzminister und CDU-Politiker Wolfgang Schäuble nennt die Neuverschuldung in Höhe von knapp 86 Milliarden Euro "wirtschaftspolitisch, sozialpolitisch richtig". Sie sei einmalig. Schäuble weiß auch, dass das Geld künftig eingespart werden muss: "Die Haushaltsberatungen im Jahre 2011 werden ungewöhnlich anstrengend."

Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Silvia Engels | 16.12.2009
    Silvia Engels: Heute legt also Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble von der CDU dem Kabinett seinen Haushaltsentwurf für das kommende Jahr vor. Geplant ist ein Gesamtvolumen von 325 Milliarden Euro, darunter fällt auch eine Rekordneuverschuldung von geschätzt 85,8 Milliarden Euro. Nebenhaushalte eingerechnet könnten es sogar über 100 Milliarden Euro sein. Kritiker warnen angesichts dieser dramatischen Schieflage vor neuen Steuersenkungen, so zum Beispiel vergangene Woche der Präsident des Bundesrechnungshofes Dieter Engels.

    O-Ton Dieter Engels: Allein die verschiedenen Steuerpakete der letzten 12 Monate führen bis zum Ende des Finanzplanungszeitraumes 2013 zu Mindereinnahmen für die öffentliche Hand von circa 125 Milliarden Euro. Für weitere Steuererleichterungen in größerem Umfang gibt es derzeit finanzwirtschaftlich keinen Spielraum.

    Engels: Am Telefon ist nun der Bundesfinanzminister. Goten Morgen, Wolfgang Schäuble.

    Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Hatte Engels denn so Unrecht?

    Schäuble: Wir reden ja heute über den Haushalt und am Freitag reden wir noch mal über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Die meisten Steuerentlastungen, die er gerade zitiert hat, sind ja in der letzten Legislaturperiode beschlossen worden. Wir legen jetzt einen Haushaltsentwurf vor mit einer völlig ungewöhnlichen hohen Neuverschuldung, aber man muss einfach noch einmal daran erinnern: Wir haben die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit, wir haben einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von fünf Prozent. Das haben wir überhaupt nicht gekannt seit einst der Währungsreform und seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Deswegen haben wir gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung 80 Milliarden mehr Neuverschuldung. Das war schon im Sommer klar, das beruht auf Steuermindereinnahmen von über 40 Milliarden Euro, zusätzlichen Ausgaben für den Arbeitsmarkt von über 20 Milliarden, zusätzlichen Zuschüssen zu den gesetzlichen Krankenversicherungen von rund zehn Milliarden Euro, um nur einmal die größten Brocken zu sagen. Die alle sind notwendig und richtig und sie haben ja dazu beigetragen, dass die Auswirkungen dieser Wirtschaftskrise für die Menschen in Deutschland nicht so dramatisch waren, auch nicht am Arbeitsmarkt, wie man befürchten musste.

    Engels: Herr Schäuble, das wird auch von den Experten so angenommen.

    Schäuble: Deswegen ist diese Neuverschuldung im kommenden Jahr richtig, auch nach dem Urteil aller Sachverständigen, auch dem Sachverständigenrat.

    Engels: Es ging um die Bewältigung der Krise, da haben Sie Recht, da haben Sie auch Zustimmung. Wofür Sie keine Zustimmung haben ist, dass weitere Steuersenkung kommen will und dass die Sparpläne nicht richtig ausgestaltet sind. Schauen wir erst mal auf die Sparpläne. Wo wird gespart?

    Schäuble: Im kommenden Jahr wird nicht zusätzlich gespart.

    Engels: Aber dann!

    Schäuble: ... , weil es nach Urteil aller Sachverständigen falsch wäre, in die Krise hineinzusparen. Das wäre prozyklisches Verhalten. Das hat man in den 30er-Jahren gemacht und das hat zu der großen Depression beigetragen. Genau das ist diesmal richtigerweise vermieden worden. Auch der Sachverständigenrat in Deutschland, die Bundesbank, die OECD, die EU-Kommission sagen, unser wirtschaftspolitischer Kurs ist richtig. Die Krise ist noch nicht vorüber. Wir hoffen, dass wir die Talsohle durchschritten haben. Aber deswegen ist es richtig, im kommenden Jahr diese hohe Neuverschuldung in Kauf zu nehmen, aber sie ist einmalig. Ab dem Jahr 2011 muss sie zurückgeführt werden.

    Engels: Und wo wird dann gespart?

    Schäuble: Das machen wir im Haushalt 2011. Heute beraten wir erst mal den Haushalt 2010. Wissen Sie, es macht keinen Sinn, wenn man eine so schwierige Maßnahme beschließen muss wie eine Neuverschuldung von 85, fast 86 Milliarden Euro, dass man dann schon über das redet, was im nächsten Jahr ist, sondern wir reden jetzt über das, was in diesem Jahr ist, und wir müssen begründen, warum es richtig ist, und wir müssen entscheiden, dass es richtig ist. Wenn wir nämlich den dritten Schritt vor dem ersten tun, dann stolpern wir nur. So ist das im Leben. Deswegen: heute geht es um den Haushaltsentwurf 2010. Der ist bitter, diese Neuverschuldung ist bitter, aber sie ist insgesamt wirtschaftspolitisch, sozialpolitisch richtig und darüber gibt es international wie national auch Konsens.

    Engels: Wo liegen denn Ihrer Ansicht nach, Herr Schäuble, die größten Risiken beim aktuellen Haushaltsentwurf des Bundes?

    Schäuble: Die größten Risiken liegen darin, dass wir nicht sicher sein können, dass die Wirtschaftskrise schon vorüber ist. Wir hoffen das alle und das internationale Urteil ist auch so. Ein anderes Risiko ist, dass sich eine neue Krise wiederholen könnte. Deswegen müssen wir die Bemühungen um die Finanzmarktstabilisierung fortsetzen, national wie international, bessere Regulierungen für den Bankensektor. Das können wir nicht alleine national machen, da helfen keine Alleingänge, das müssen wir im Rahmen der G20 und der Europäischen Union und des Euro machen. Da sind wir ja auch große Schritte vorangekommen. Und dann ist natürlich auch, wenn das Zinsniveau steigt, bei dem hohen Anteil an Schulden, die wir im Bundeshaushalt haben, bei dem hohen Anteil, den der Zinsendienst im Bundeshaushalt spielt, ein Anstieg der Zinsen natürlich für jeden Finanzminister geradezu und für jeden Haushaltspolitiker geradezu ein Albtraum.

    Engels: Herr Schäuble, das ist das Risiko, was international besteht. Daneben gibt es aber auch ein sehr viel überschaubareres Risiko, aber sehr viel konkreter für Sie, nämlich die Frage: wie viel muss den Ländern am Ende gezahlt werden, damit sie dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz doch noch zustimmen? Wie viele Milliarden fließen da und was heißt das für Ihren Haushalt?

    Schäuble: Gar nichts. Das war immer klar und darüber besteht Konsens: es gibt keine zusätzlichen Leistungen zu Lasten des Bundeshaushalts. Das hat auch niemand verlangt, das hat insbesondere auch der Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein nicht verlangt, sondern er hat gesagt, man muss die besondere Situation der Länder bedenken, auch in den kommenden Jahren. Aber die Beratungen sind am Freitag. Da haben wir das Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Bundesrat. Heute, Frau Engels, beraten wir den Bundeshaushalt im Kabinett und das ist wichtig genug und ich bleibe bei meinem Prinzip: ich mache heute die Arbeit von heute und am Freitag die vom Freitag.

    Engels: Aber Sie werden sich ja Gedanken machen. Man kann es auch anders formulieren: wie viel Gelder zahlt der Bund als Extra-Milliarden an die Länder mit dem Etikett Bildungsförderung?

    Schäuble: Ich habe schon die Antwort gegeben: null!

    Engels: Bildungsförderung extra?

    Schäuble: Nein, nicht zusätzlich. Wir haben ja im Koalitionsvertrag schon verabredet - und dafür ist im Haushaltsentwurf, den wir nachher im Kabinett beschließen, Vorsorge getroffen -, dass der Bund zwölf Milliarden zusätzlich in dieser Legislaturperiode für Bildung zur Verfügung stellt.

    Engels: Und mehr gibt es nicht?

    Schäuble: Davon wird keine Milliarde gestrichen und da kommt keine Million dazu.

    Engels: Wie steht es um den Ansatz der Länder, die einen höheren Anteil der Mehrwertsteuer bekommen wollen?

    Schäuble: Die Verhandlungen über die Mehrwertsteueranteile von Bund und Ländern führen wir immer im Laufe des Jahres, aber ganz gewiss nicht im Zusammenhang mit der Haushaltsaufstellung und in der Woche vor Weihnachten. Das ist im Laufe des nächsten Jahres. Es gibt sehr unterschiedliche Positionen. Der Bund ist seit Jahren der Auffassung, dass er die besseren Argumente hat, dafür, dass eigentlich die Anteile des Bundes an der Mehrwertsteuer eher zu nieder nach dem gesetzlichen Schlüssel als zu hoch sind.

    Engels: Herr Schäuble, Sie haben gesagt, heute ist erst mal der Haushalt 2010 dran. Das ist vollkommen richtig. Jetzt gibt es aber auch einen Koalitionspartner, der heißt FDP, und der spricht immer wieder von weiteren Steuerentlastungen, die eben über das Beschlossene hinaus in den kommenden Jahren ab 2011 kommen sollen. Gibt es dafür Raum?

    Schäuble: Wir haben ja Verabredungen im Koalitionsvertrag und wir setzen ja auch jetzt mit dem, was wir heute beschließen, auch mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, den Koalitionsvertrag um. Das tun wir Schritt für Schritt. Wir sind verlässliche Koalitionspartner. Niemand hatte uns zugetraut - das ist ja ganz ungewöhnlich schnell -, dass wir den Haushaltsentwurf noch vor Weihnachten ganz einvernehmlich im Kabinett verabschieden, dass wir das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, wenn denn am Freitag der Bundesrat hoffentlich zustimmen sollte, noch vor Weihnachten verabschiedet haben. Das heißt, diese Bundesregierung hat sehr zügig und sehr entschlossen die Aufgaben und ihre Arbeit aufgenommen und sie schreitet voran. Und was wir dann im kommenden Jahr machen, da ist eine Menge Arbeit, da gibt es eine Menge Sorgen, das ist wahr. Aber den Start haben wir gut gemacht.

    Engels: Den Start haben sie gut gemacht, sagen Sie. Die Milliarden, die Sie jetzt aufnehmen - Sie wissen es -, müssen wieder eingespart werden, auch mit Blick auf die Schuldenbremse. Haben Sie denn eine Ahnung über das Volumen, das dann in 2011 schon gespart werden muss?

    Schäuble: Ja. Das ergibt sich schon aus der Schuldenbremse, die im Grundgesetz steht. Wir haben in diesem Haushalt ein strukturelles Defizit von etwa 70 Milliarden Euro und dieses müssen wir bis 2016 nach der Regel des Grundgesetzes auf zehn Milliarden Euro, 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, zurückführen. Das heißt, dass wir in gleichen Schritten - so steht es im Grundgesetz - jährlich das strukturelle Defizit um zehn Milliarden Euro etwa verringern müssen. Das entspricht auch den Empfehlungen der Europäischen Kommission im Rahmen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Das sind wir auch entschlossen zu tun, da gibt es auch gar keinen Zweifel, und deswegen werden natürlich die Haushaltsberatungen im Jahre 2011 ungewöhnlich anstrengend werden, denn das ist keine kleine Sache, keine Kleinigkeit. So wenig es übrigens eine Kleinigkeit ist, 86 Milliarden Euro Neuverschuldung zu beschließen, so wenig werden die Konsolidierungsmaßnahmen in den kommenden Jahren einfach sein. Aber ich bin entschlossen, es gibt auch gar nichts anderes. Es ist richtig, jetzt in der Krise das alles zu tun, dass wir die Krise gut durchstehen, und danach müssen wir mit aller Energie die Konsolidierung betreiben. Auch dazu ist die Koalition und die Bundesregierung entschlossen.

    Engels: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Vielen Dank für dieses Gespräch.

    Schäuble: Gerne! Auf Wiederhören, Frau Engels.

    Engels: Auf Wiederhören, Herr Schäuble.