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"Diese Reduzierung um die Hälfte ist schon sehr mutig"

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, hält die geplante Bundeswehrreform für überfällig. Die Bundeswehr müsse an die Aufgaben von heute angepasst werden, so Kirsch. Dennoch sieht er eine Menge Klärungsbedarf über die künftige Struktur.

Ulrich Kirsch im Gespräch mit Christian Bremkamp | 27.10.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Mein Kollege Christian Bremkamp hatte gestern die Gelegenheit, mit dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, mit Oberst Ulrich Kirsch zu sprechen. Seine erste Frage an ihn: Was für Auswirkungen auf die Truppe erwartet er durch die vorgeschlagenen Reformen?

    Ulrich Kirsch: Die anstehenden Umwälzungen verlangen von den Menschen in der Bundeswehr und ihren Familien sehr viel. Auf der anderen Seite handelt es sich bei der Reform um eine längst überfällige Reform, denn wir waren zum Teil eben noch so ausgerichtet, wie es zu Zeiten des Kalten Krieges erforderlich war. Nun haben wir eine komplett andere Lage. Wir haben Einsätze, wie wir sie von Afghanistan her kennen, aber auch unlängst 2006 – das ist schon ein bisschen her – im Kongo, und von daher müssen sich Streitkräfte anders aufstellen. Das ist keine Frage. Nur waren wir mit der Zahl, war ich auch ganz persönlich mit der Zahl, die aus dem Ministerium kam, von 163.500 sehr unzufrieden.

    Christian Bremkamp: Aktiven Soldaten meinen Sie?

    Kirsch: Aktive Soldaten, genau. Denn da war also nun wirklich die Gefahr, dass wir als Streitkräfte verzwergen. Die Weise-Kommission hat jetzt nun eine Zahl ins Rennen gebracht, die heißt 180.000, und die CSU wird aller Voraussicht nach am Wochenende 190.000 favorisieren. Nun gilt es dann eben abzuwarten, wie entschieden wird, aber ich denke, mit diesen Umfangszahlen kommen wir günstiger hin, um den künftigen Herausforderungen zu begegnen.

    Bremkamp: Abgesehen davon sehen Sie an anderen Stellen noch Klärungsbedarf?

    Kirsch: Ich sehe eine Menge Klärungsbedarf, wie sich die künftige Struktur im Detail darstellt, wie schaut ein künftiges Heer aus, wie schaut eine künftige Luftwaffe aus, eine künftige Marine, eine künftige Streitkräftebasis, der zentrale Sanitätsdienst soll in die Streitkräftebasis zumindest nach der Vorstellung der Weise-Kommission überführt werden, und das ist natürlich das, was sich die Frauen und Männer in der Truppe fragen und natürlich die Familien: Wie geht es denn weiter.

    Bremkamp: Aber im Allgemeinen begrüßen Sie die Neuausrichtung?

    Kirsch: Vom Grundsatz her begrüße ich die Neuausrichtung. Ich knüpfe aber daran Forderungen. Die erste Forderung ist, dass wir die finanziellen Mittel, die wir einsparen durch eine Reduzierung, auch wirklich in die Streitkräfte investieren und in die Bundeswehr, denn wir haben in der Vergangenheit unterfinanzierte Streitkräfte gehabt, und zwar permanent. Also das kann nur so sein, dass das Geld, was eingespart wird, in die Streitkräfte investiert wird und nicht zur Haushaltskonsolidierung genommen wird.

    Bremkamp: Herr Kirsch, Sie sind in erster Linie Interessensvertreter der Soldaten und Soldatinnen. Dennoch werden Sie einen guten Draht in die Verwaltung haben. Glauben Sie, dass das alles ohne Widerstand vonstattengehen wird, Stichwort Verkleinerung des Ministeriums um die Hälfte?

    Kirsch: Ohne Widerstand wird das sicherlich nicht sein. Die Weise-Kommission hat ja auch – das fand ich sehr erfreulich – zunächst einmal festgestellt, dass hoch motivierte Mitarbeiter im Ministerium jeden Tag versuchen, das Richtige zu tun, aber oft daran gehindert werden, weil wir so viele Doppelstrukturen haben, und ich war selber drei Jahre im Bundesministerium der Verteidigung und ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir viele fachlich zersplitterte Zuständigkeiten hatten, aber auch was Materialverantwortung anging. Das muss bereinigt werden und dann lässt sich das Ministerium bestimmt kleiner machen. Ob das so signifikant zu reduzieren ist, wie das jetzt vorgeschlagen worden ist, daran habe ich auch erhebliche Zweifel.

    Bremkamp: Aber es ist doch schon erstaunlich. Da kommt eine Kommission daher und sagt, 50 Prozent der Mitarbeiter brauchen wir nicht. Was haben diese Menschen denn bislang gemacht, wenn sie als so verzichtbar eingestuft werden?

    Kirsch: Sie haben ja gerade gemerkt: Da habe ich gezuckt. Das habe ich auch nicht für einen belegbaren Ansatz gehalten. Das kann ja erst mal nur eine Schätzgröße sein und da wäre ich schon sehr vorsichtig. Diese Reduzierung um die Hälfte ist schon sehr mutig.

    Bremkamp: Was halten Sie denn eigentlich von einem Komplettumzug nach Berlin?

    Kirsch: Ich bin der Auffassung, dass in Berlin auf jeden Fall die Umsetzung der politischen Vorgaben in strategische Ausplanung, das ist hier in Berlin richtig aufgehoben. Ansonsten können auch andere Bereiche nach wie vor in Bonn verbleiben, garantiert mal all die Bereiche, die letztendlich dann die Teilstreitkräfte führen, mit den Befehlshabern. So ist ja die Idee.
    Lassen Sie mich auch ein Wort zum Generalinspekteur sagen. Da gab es schon an vielen Stellen einen Aufschrei. Ich halte das für komplett richtig, dass der Generalinspekteur gestärkt wird und im Grunde genommen auf die Ebene eines Staatssekretärs angehoben wird. Da war immer eine Unwucht drin. Also da ist für uns Soldaten auch durchaus eine ganze Menge an Wertschätzung mit verbunden, dass der Generalinspekteur eine besondere Rolle erhält.

    Bremkamp: Bis zu acht Jahre soll die Umsetzung dieser Reform dauern. Was für eine Bundeswehr werden wir im Jahr 2018 haben?

    Kirsch: Ja, das ist so ein bisschen abhängig, wie sich auch die NATO jetzt aufstellt, und da lege ich auch noch mal warnend den Zeigefinger in eine Wunde, denke ich, denn das was wir jetzt machen, vom Einsatz her denken – so heißt ja auch der erste Teil der Überschrift des Kommissionsberichts -, geht mir ein bisschen arg rein in die Richtung Afghanistan. Und wenn wir den NATO-Generalsekretär am Wochenende gehört haben, so hat er ja deutlich gemacht, dass die NATO sich neu ausrichtet, dass die NATO künftig eher wahrscheinlich solche Einsätze wie Afghanistan nicht im Fokus haben wird, sondern dass es darum gehen wird, der großen Gefahr Cyberwar zu begegnen als Stichwort, dass es darauf ankommen wird zu schauen, welche ballistischen Trägersysteme bekommen kleinere Staaten letztendlich in die Hand – ich denke an den Iran. Insofern, meine ich, müssen wir noch mal nachlegen, verbunden mit der Frage, wo marschiert die NATO hin, und damit verbunden mit der Frage, sind wir denn mit den Streitkräften, so wie sie derzeit ausgeplant werden, richtig aufgestellt. Ich glaube nicht, dass Deutschland das richtige Land ist, rein alleine viele Stiefel auf den Boden zu bringen, also Boots on the Ground, wie man im Angelsächsischen sagt, sondern dass es vor allen Dingen auch darauf ankommt, dass wir besondere Fähigkeiten herausarbeiten und eben auch international anbieten. Bei der Infanterie, um da noch ganz kurz beizubleiben, sind es die Fallschirmjäger, sind es die Gebirgsjäger, die was Besonderes können. Das würde uns, glaube ich, am ehesten zu Gesicht stehen.

    Heckmann: Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, zu den vorgeschlagenen Reformen der Strukturkommission. Das Gespräch führte mein Kollege Christian Bremkamp.