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"Diese Snowden-Frage ist keine Substanzfrage"

Wichtiger als der Umgang mit Edward Snowden seien für Russen und Amerikaner Fragen zum Vorgehen in Syrien, Iran und Afghanistan, meint der Politologe Klaus Segbers. Die beiden Regierungen seien aufeinander angewiesen, eine ernste diplomatische Krise gebe es nicht.

Klaus Segbers im Gespräch mit Dirk Müller | 09.08.2013
    Dirk Müller: War das wirklich klug von Barack Obama, ausgerechnet Wladimir Putin vor den Kopf zu stoßen? In der Regel ist doch der Kreml-Chef für Kopfstöße zuständig, dachte man. Jetzt ist der amerikanische Präsident beleidigt, fühlt sich politisch düpiert, alles wegen Edward Snowden, und sagt ein direktes Gespräch mit dem russischen Präsidenten kurzerhand ab – ein Treffen, das unmittelbar vor dem G20-Gipfel in Petersburg über die Bühne gehen sollte. Nun ist die russische Seite verwundert, vielleicht auch düpiert, kein gutes Zeichen für die ohnehin angeschlagenen amerikanisch-russischen Beziehungen. Eiszeit zwischen Washington und Moskau? – So schlimm ist es nicht, sagen zumindest die Amerikaner. Auf Ressortebene nämlich gehen die Treffen ganz normal weiter.
    Barack Obama sagt Wladimir Putin ab – darüber sprechen wir nun mit dem Politikwissenschaftler und Russland-Kenner Professor Klaus Segbers von der FU in Berlin. Guten Morgen!

    Klaus Segbers: Guten Morgen.

    Müller: Herr Segbers, hat Wladimir Putin das verdient?

    Segbers: Na ja, verdient oder nicht, er wird sich nicht grämen darüber, dass jetzt dieses Gespräch, dass dieser Vorbesuch von Obama in Moskau nicht zustande kam. Er weiß, dass das zum Teil auch zur diplomatischen Münze gehört, dass man, wenn man sich ärgert über irgendetwas, dann auch verschiedene Stufen hat der Redaktionen. Diese Art der Reaktionen ist deutlich, vor allen Dingen innenpolitisch deutlich. Das heißt, der Präsident Obama kann in den USA zeigen, dass er in der Lage ist zu reagieren. Das war ja von sehr vielen Seiten gefordert worden, nicht nur von den Republikanern, dass er das absagt, diesen Vorbesuch in Moskau. Er bleibt aber zugleich unterhalb einer Reaktion, die eine deutliche, noch weitere Verschlechterung der Beziehungen programmieren würde.

    Müller: Sie sagen, Wladimir Putin bleibt gelassen. Grämt sich Wladimir Putin ohnehin irgendwann einmal?

    Segbers: Er würde es mir wahrscheinlich nicht sagen, beziehungsweise ich habe wenig Gelegenheit, ihn danach direkt zu fragen. Aber ich glaube schon. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die ihm Sorge bereiten. Die sind aber eher im Bereich der Innenpolitik angesiedelt. Die Demonstrationen, die es in Russland nach 2011 gab, die haben ihn sicher gegrämt.

    Müller: Hat der Kreml-Chef im Fall Edward Snowden eine andere Wahl?

    Segbers: Es ist für ihn sehr schwierig. Das hat er ja auch direkt ein paar Mal gesagt. Es ist ja nicht so, dass die Russen sich gewünscht hätten, dass Herr Snowden da einsegelt bei ihnen auf dem Flughafen Scheremetjewo, auch nicht, dass die Amerikaner seinen Pass für ungültig erklären, und damit müssen sie natürlich überlegen, was sie dann mit ihm machen, denn er konnte dann nicht so ohne Weiteres ausreisen. Es gibt immer auf die eine oder andere Weise technische Möglichkeiten. Es haben ja auch viele vermutet, dass er zum Beispiel im Flugzeug des bolivianischen Präsidenten saß, was dann über Europa kreiste und Mühe hatte, einen Landeplatz zu finden. Aber letzten Endes ist das jetzt eine Lösung oder der Versuch einer Lösung, sollte ich sagen, die ja auch noch begrenzt ist. Er hat kein endgültiges Asyl bekommen, er hat ein auf ein Jahr befristetes Asyl bekommen, und insofern besteht jetzt Zeit für alle Beteiligten, vor allen Dingen für die amerikanische und die russische Regierung, im Laufe der nächsten zwölf Monate nach einer anderen Lösung zu suchen.

    Müller: Wir wollen ja mit Ihnen, Klaus Segbers, vor allem über die russische Perspektive reden. Machen wir dennoch hier mal einen kleinen Gedankensprung und gehen auf die Washingtoner Perspektive ein. Würden die Amerikaner Iwan Iwanowitsch, den es nicht wirklich gibt im Moment, ausliefern?

    Segbers: Das ist schwer zu sagen. Aber es ist natürlich so, dass auch die Amerikaner nicht alle Menschen ausgeliefert haben, die zu ihnen gekommen sind und aus Russland weg wollten, sondern durchaus auch einige bei sich behalten haben, und auch umgekehrt ist das der Fall, vor allen Dingen natürlich im Bereich von Leuten, die freiwillig gekommen sind, und natürlich auch im Bereich von Spionage. Also das ist jetzt Spekulation. Aber grundsätzlich ist es nicht völlig aus dem Bereich des Möglichen, dass beide Seiten das tun.

    Müller: Spekulieren wir weiter, wieder zurück in den Kreml. Sie sind der Berater des Präsidenten. Würden Sie sagen, weiter so mit diesem Snowden-Kurs?

    Segbers: Im Augenblick, nachdem diese Entscheidung gefallen ist, können sie natürlich nichts anderes mehr machen. Man kann das nicht revidieren. Wie eben gesagt: Ich würde dann sehr intensiv dazu raten, die kommenden Monate dazu zu nutzen, eine Lösung zu finden, die beiden Seiten eine Gesichtswahrung ermöglicht, denn – das ist ja zum Teil eben auch in Ihren anderen Berichten angeklungen – es gibt in der Tat eine ganze Reihe von Dingen, die man in der Substanz miteinander lösen muss. Diese Snowden-Frage ist keine Substanzfrage. Substanzfragen sind, wie man weiter verfährt in Syrien, ob es da doch eine Annäherung gibt, wie man weiter verfährt mit dem neuen iranischen Präsidenten Rohani, ob man austestet, wie ernsthaft er daran interessiert ist, einen neuen Gesprächsweg zu finden mit der internationalen Gemeinschaft, und Substanzfragen vor allen Dingen für die Amerikaner sind auch, sie brauchen die Russen bei dem Rückzug aus Afghanistan, da müssen bestimmte Wege offen gehalten werden für diesen Rückzug, und das sind Punkte, die wirklich von Relevanz sind aus amerikanischer und auch aus russischer Sicht.

    Müller: Wir haben John McCain eben gehört in unserem Korrespondentenbeitrag: Ausblick auf die 2+2 Gespräche in Washington Korrespondentenbeitrag aus Washington, der da gesagt hat, er hätte Wladimir Putin in die Augen gesehen und hat da KGB gelesen. Wir hören mal, was Barack Obama gesagt hat.

    O-Ton Barack Obama: "There have been times where they slip back into Cold War thinking and a Cold War mentality. And what I consistently say to them, and what I say to President Putin, is that’s the past."

    Müller: Barack Obama sagt Wladimir Putin, der Kalte Krieg gehört der Vergangenheit an. Ist so etwas wieder ein bisschen zurückgekehrt? Ist das eine Eiszeit?

    Segbers: Na ja, das ist vielleicht ein bisschen eine Rückkehr zu einer Art von Symbolik des Kalten Krieges, wo man ja sehr viel sich mit Spionen beschäftigt hat, und Herr Snowden ist ja bei allem, was er Sinnvolles vielleicht auch getan hat, um mehr Menschen die Augen zu öffnen, was da so alles gesammelt wird – das ist, glaube ich, durchaus heilsam -, er ist aber natürlich auch Mitarbeiter gewesen, indirekt zumindest für eine private Firma bei der NSA. Und die Bemerkung von Senator McCain, das ist natürlich etwas, was auch stark auf die republikanische Partei in den USA abzielt. Putin ist natürlich beim KGB gewesen, das weiß jeder. Er ist aber zugleich ein Mensch, der durchaus auch versucht, auch versuchen muss, die außerordentlich unterschiedlichen Interessen in der russischen Gesellschaft, wo sich Mittelschichten entwickeln, wo aber auch Konservative eine starke Position haben, zu moderieren, miteinander zusammenzuhalten und zusammenzubringen. Das ist auch keine leichte Aufgabe. Und ihn nur immer zu reduzieren auf diese Vergangenheit als Sicherheitsoffizier, wird der Sache, glaube ich, nicht gerecht.

    Müller: Herr Segbers, ich muss Sie jetzt hier noch mal unterbrechen. Wir haben nicht mehr viel Zeit, nur noch eine halbe Minute. Sie sagen, er moderiert, Wladimir Putin, nach innen. Wir haben über viele Restriktionen, Repressionen gesprochen. Kann man ihn wirklich als Moderator bezeichnen?

    Segbers: Ja, ich denke schon. Es gibt sehr, sehr unterschiedliche Gruppeninteressen in Russland. Es ist längst keine sowjetische Gesellschaft mehr. Es ist seit langer Zeit eine postsowjetische Gesellschaft mit ganz unterschiedlichen Aspirationen, Interessen, nicht nur politischen, auch ökonomischen, auch wirtschaftlichen, und das muss irgendwie zusammengehalten werden. Er tut das auf eine Art und Weise, die vielen im Westen nicht gefällt. Auch ich denke, dass das keine wirklich moderne Art und Weise ist, in der er das tut. Aber dass Russland eine geschlossene, eine einheitliche Gesellschaft ist mit einem geschlossenen, einheitlichen politischen System, das ist nicht der Fall.

    Müller: Heute Morgen bei uns live im Deutschlandfunk Politikwissenschaftler und Russland-Kenner Professor Klaus Segbers von der FU in Berlin. Danke in die Hauptstadt.

    Segbers: Gerne!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.