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Diesel-Affäre
ADAC: Druck auf Autoindustrie ohne Fahrverbote höher

Stefan Gerwens vom ADAC hat die Position des Automobilverbands verteidigt, Fahrverbote für Dieselautos kämen einer Enteignung gleich. Der Druck auf die Autoindustrie, künftig Schadstoff-Grenzwerte einzuhalten, sei zudem eher höher ohne Fahrverbote, sagte Gerwens im Dlf.

Stefan Gerwens im Gespräch mit Martin Zagatta | 29.07.2017
    Stefan Gerwens steht im Anzug vor einem grafischen Hintergrund und blickt in die Kamera.
    "Wir sagen, die Gesundheit der Bevölkerung steht im Vordergrund und hat im Zweifel auch Vorrang vor der individuellen Mobilität", sagt Stefan Gerwens, Leiter des Ressorts Verkehr beim ADAC. (Theo Klein, ADAC e.V.)
    Martin Zagatta: Nach dem Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts rücken Fahrverbote für Dieselfahrzeuge näher. Was bedeutet das nun für die Autoindustrie und für die deutsche Politik? Das kann ich Stefan Gerwens fragen. Er leitet das Ressort Verkehr beim ADAC. Guten Morgen, Herr Gerwens!
    Stefan Gerwens: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Gerwens, sind Fahrverbote für Sie jetzt als ADAC noch vermeidbar?
    Gerwens: Sie sind auf jeden Fall wahrscheinlicher geworden in den Städten, in denen die Grenzwertüberschreitung bei den Stickoxiden besonders hoch sind, denn das Gericht ist der Meinung, dass man eben auch schnellstmöglich Fahrverbote umsetzen muss dort, wo andere Maßnahmen allein nicht ausreichen. Es gibt aber auch eine Reihe von Städten mit Grenzwertüberschreitung, die geringer sind, und wo dann andere Maßnahmen im Paket ausreichen könnten.
    "Beim Verbraucher ist viel Porzellan kaputt gegangen"
    Zagatta: Wer ist denn für Sie jetzt vor allem gefordert? Die deutsche Politik, dass sie das umsetzt, oder die Autoindustrie?
    Gerwens: Zuerst einmal ist natürlich die Autoindustrie in der Pflicht, dass sie auch beim Thema Softwareupdates und technische Nachrüstung von Fahrzeugen, die bisher im Markt sind, insbesondere bei Euro5-Diesel, dort aktiv wird und ein Angebot abgibt, das über das Angebot vom Verband der Automobilindustrie von vor einigen Wochen hinaus geht, also fünfzig Prozent der Fahrzeuge dort zu verbessern. Das reicht nicht aus. Wir brauchen da mehr, weil diese Maßnahme des VDA nur knapp zehn Prozent an Minderung an den Messstellen bringen würde, selbst wenn alle Fahrzeuge die dann umgesetzt haben kurzfristig.
    Zagatta: So hat es auch das Gericht gesehen. Da ist man von neun Prozent ausgegangen, Sie sagen zehn Prozent. Der VDA-Präsident Wissmann, der behauptet heute Morgen in einem Interview, eine Softwarenachrüstung, also eine Umstellung oder eine Verbesserung der Software, das würde 25 Prozent bringen. Ist das für Sie eine Äußerung, die schon andeutet, dass die Autoindustrie da mit dem Umdenken noch nicht sehr weit vorangekommen ist?
    Gerwens: Ich denke, man wird sich sicherlich auch vorbehalten, jetzt ein finales Angebot dann beim Dieselgipfel am kommenden Mittwoch vorzulegen. So gesehen ist das vielleicht im Augenblick noch eine Verzögerungstaktik. Ich denke, da muss mehr kommen. Wir sehen, dass eben, wenn man über Softwareupdates hinausgeht und dann auch weitere technische Komponenten einbaut, dass man dann auch wesentlich mehr erreichen kann, und das sollte die Autoindustrie dann auch mit anbieten.
    Zagatta: Haben Sie noch Vertrauen in die Autoindustrie?
    Gerwens: Es sind zumindest Teile der Autoindustrie jetzt erschüttert, sagen wir mal so. Und da muss, glaube ich, jetzt viel getan werden, auch vonseiten der Unternehmen, die dort jetzt eben Verfehlungen gemacht haben, das wieder aufzubauen. Das trifft natürlich auch die anderen, die da nicht direkt aktiv waren. Aber es ist viel zu tun. Beim Verbraucher ist viel Porzellan kaputt gegangen, bei der Politik, und das muss korrigiert werden.
    "Die Gesundheit der Bevölkerung steht im Vordergrund"
    Zagatta: Der ADAC ist ja der größte Verband mit fast 20 Millionen Mitgliedern in ganz Europa, der größte Verkehrsverband. Müssen Sie sich da auch etwas an die eigene Nase fassen? Hat der ADAC mit seinem deutlichen Widerstand gegen Fahrverbote die Autoindustrie nicht auch lange ermutigt, da relativ untätig zu bleiben?
    Gerwens: Wir sehen das Hauptproblem jetzt eigentlich darin, dass die Fahrzeuge im realen Betrieb eben nicht die vorgegebenen Grenzwerte einhalten. Da ist eigentlich die Lücke. Wenn die vorgegebenen Grenzwerte eingehalten worden wären, dann hätten wir eben jetzt nicht das Problem. Und unser Ansatz ist eigentlich, dass wir sagen, die Gesundheit der Bevölkerung steht im Vordergrund und hat im Zweifel auch Vorrang vor der individuellen Mobilität.
    Zagatta: Das sagen Sie jetzt. Aber vom ADAC war ja in der Vergangenheit klipp und klar zu hören, Fahrverbote kämen einer Enteignung gleich.
    Gerwens: Es ist ja letztendlich auch so, dass die Konsumenten die Hauptbetroffenen sind. Wer heute einen Diesel hat und regelmäßig in die Stadt muss und im Vertrauen auf die Einhaltung der Grenzwerte kürzlich erst einen gekauft hat, der kann sich natürlich auch ein Stück weit enteignet fühlen. Das kann man gar nicht leugnen. Aber im Grunde ist doch die Frage, ob ohne Fahrverbote nicht der Druck der Industrie, eben auch diese Vorgaben einzuhalten und die Grenzwerte dann letztendlich auch in den Städten zu erreichen, nicht einfach größer ist. Denn sonst kann sich die Industrie ja auf den Standpunkt zurückziehen, die Konsumenten kaufen ohnehin dann unsere neuen Autos, weil sie eben unter Druck sind und nicht mehr in die Städte dürfen. Ich sehe eigentlich eher, dass wir damit den Druck auf die Autoindustrie eher hochgehalten haben.
    "Wir sehen die Hersteller ganz klar in der Pflicht"
    Zagatta: Müssen denn aus Sicht des ADAC jetzt die Hersteller für alle Nachrüstungen aufkommen? Experten gehen ja davon aus, dass da ein Softwareupdate nicht reicht, dass man bei Nachrüstungen pro Auto, das sind grobe Schätzungen, mal 1.500 Euro kalkulieren muss. Ist das für Sie klar, dass das eine Sache ist, für die die Hersteller aufkommen müssen, oder denken Sie darüber nach, das sei auch eine Sache des Steuerzahlers?
    Gerwens: Nein, wir sehen da die Hersteller ganz klar in der Pflicht. Wir haben bisher auch die Wahrnehmung, dass sie zumindest für die Softwareupdates die Kosten selbst übernehmen wollen.
    Zagatta: Das ist klar, aber das wird ja wahrscheinlich nicht reichen.
    Gerwens: Genau. Und wenn die Fahrzeuge in die Werkstätten müssen – und das ist für uns auch ein ganz entscheidender Punkt, dann müssen eben auch diese Kosten von der Wirtschaft getragen werden, insbesondere von der Industrie, und nicht von den Konsumenten. Die müssen davon eigentlich freigestellt sein. Und ein zweiter Punkt, der uns auch ganz wichtig ist, dass es eben dann auch eine Garantie gibt für die eingebauten Bauteile und ihre Funktionsfähigkeit, und dass es eben nicht heißt, wir geben eine Garantie für genau das Bauteil, was eingebaut wurde, sondern dass eben auch die Folgewirkungen, mögliche Folgewirkungen dann in den Fahrzeugen, dass die letztendlich auch durch die Garantie abgedeckt sind.
    Zagatta: Herr Gerwens, was erwarten Sie denn jetzt von der Politik, von diesem Diesel-Gipfel am Mittwoch? Und was sagen Sie dazu, dass der ADAC da gar nicht dabei ist?
    Gerwens: Wir halten das für einen Fehler, dass die Verbraucherschützer nicht dabei sind, denn die Verbraucher sind ja schließlich die Hauptbetroffenen, sei es, dass sie Anwohner sind, sei es, dass sie Autofahrer sind, die in die Städte fahren müssen, oder weil sie Dieselbesitzer sind. Aus meiner Sicht ist jetzt die Erwartung an die Beteiligten eher höher, weil alle Beteiligten dann umso mehr gefragt sind, die Verbraucher mit einem guten Konzept zu überzeugen und diese Fahrverbote eben zu vermeiden, also Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die ausreichend Wirkungen bringen.
    "Man kann was für den Verkehrsfluss tun"
    Zagatta: Halten Sie das tatsächlich noch für möglich, Fahrverbote zu vermeiden?
    Gerwens: Ich will es nicht ausschließen. Ich glaube, man muss eben differenzieren. In den Städten, in denen die Grenzwertüberschreitung wie in Stuttgart bis zu 100 Prozent sind, ist es natürlich extrem. Aber es gibt eben auch eine ganze Reihe von Städten, wo das aus meiner Sicht noch durch andere Maßnahmen möglich ist. Und ich meine, man hat auch eine Reihe von Möglichkeiten. Man kann eben was für den Verkehrsfluss tun. Viele Städte haben oft ja auch eher darauf gesetzt, möglichst viele Stopps im Stadtverkehr einzurichten, was aber die Emissionen nach oben treibt. Wir haben eben Potenziale in den Flotten, die in den Städten unterwegs sind. Denken Sie an die Taxis.
    Zagatta: Ja, da wird über einiges geredet. Aber Sie sind auch optimistisch, dass die Fahrverbote da unter Umständen in vielen Städten vielleicht doch nicht kommen müssen. Halten wir das mal noch so fest zum Schluss unseres Gesprächs. Stefan Gerwens war das, der Leiter des Ressorts Verkehr beim ADAC. Herr Gerwens, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch heute Morgen!
    Gerwens: Vielen Dank, Herr Zagatta!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.