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"Diesen Vorwurf würde ich so nicht stehen lassen"

Für Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies in Brüssel ist der Vorwurf aus Luxemburg, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer EU-Politik arrogant und überheblich handele, unverständlich. Der Ökonom verweist darauf, dass die Kanzlerin deutsche Interessen vertrete.

Daniel Gros im Gespräch mit Martin Zagatta | 15.12.2010
    Martin Zagatta: Ich spreche jetzt mit Professor Daniel Gros, Ökonom und Direktor des Centre for European Policy Studies in Brüssel. Guten Tag, Herr Gros.

    Daniel Gros: Guten Tag aus Brüssel!

    Zagatta: Herr Gros, Angela Merkel will offenbar nicht einlenken, bleibt bei ihrem Nein. Gemeinsame Euro-Schuldscheine lehnt die Bundesregierung also ab. Wie beurteilen Sie das aus Brüsseler Sicht?

    Gros: Ich würde sagen, als Lösung für die Krise eignen sich diese Euro-Bonds, wie sie auch genannt werden, sicherlich nicht, denn das hieße ja bloß, dass man einen Teil der Altschulden der Staaten in neue europäische Schulden umwandelt, und der Rest, der auch noch sehr groß wäre, der würde uns dann die gleichen Probleme bringen wie vorher.

    Zagatta: Das sagen Sie als Ökonom aus wirtschaftlicher Sicht. Sie kümmern sich mit Ihrem Institut ja auch um die EU-Politik. Ist das dort schädlich, wird das zum großen Problem?

    Gros: Es können natürlich Probleme auf zweierlei Art und Weise entstehen. Wenn man halt die Euro-Bonds jetzt einfach so überstürzt einführen würde, ohne die wirklichen Probleme anzugehen, dann würde man langfristig Europa schaden, denn es würde einfach nicht funktionieren, es würde weiter zu Divergenzen kommen und die Finanzmärkte wären nicht beruhigt.

    Wenn man das Gegenteil macht, wenn man also erst die wirklichen Probleme angeht, vielleicht einen Schuldenerlass hat, einen teilweisen, Reformen durchführt, dann am Ende eines solchen Prozesses mit einer weit reichenden Koordinierung auch der Wirtschaftspolitik, dann könnten unter Umständen Euro-Bonds in einem beschränkten Maße auch Sinn machen.

    Zagatta: Gibt es denn da jetzt kurzfristig einen Mittelweg?

    Gros: Leider nein. Leider ist man jetzt gezwungen, doch zu sagen, entweder oder, denn die Finanzmärkte treiben ja die Krise immer weiter vor sich, einfach weil sie nicht genau wissen, was passiert nun eigentlich, wer ist verantwortlich für die Schulden, wann kommt es vielleicht zu einem Schuldenschnitt, wer entscheidet darüber, und alle diese Fragen kann man nicht auf die lange Bank schieben.

    Zagatta: Aus Luxemburg kommt ja jetzt ungewöhnlich harte Kritik in den vergangenen Wochen schon an Deutschland, die wird heute noch verschärft. Da sagt der luxemburgische Außenminister Asselborn, die Deutschen reagierten arrogant und überheblich. Ist das ein Vorwurf, den Sie aus Brüsseler Sicht irgendwie nachvollziehen können?

    Gros: Nein, ich glaube nicht. Man muss natürlich verstehen, dass deutsche Vertreter in erster Linie Interessen von Deutschland auch im Auge haben. Das ist ganz natürlich, wie das auch bei anderen Ländern der Fall ist. Und sie vertreten sie! Außerdem kann man ja seit heute überhaupt nicht mehr sagen, dass die Deutschen da sich querstellen, denn es gibt eine Meinung einer Bundeskanzlerin und wir haben ja auch einen sehr interessanten Beitrag in der "Financial Times" von den Herren Steinmeier und Steinbrück, der in eine andere Richtung geht, wo durchaus gesagt wird, wir sind bereit, uns weiter zu integrieren. Diesen Vorwurf würde ich so nicht gelten lassen.

    Zagatta: Sie sind da in Brüssel näher dran. Wie erklären Sie sich solche scharfen Töne aus Luxemburg?

    Gros: Das ist mir etwas unverständlich, denn die Luxemburger wissen ja auch, wie Europa funktioniert, dass es keinen Sinn hat, anderen Ländern irgendetwas vorzuwerfen in Punkto Stil, sondern dass man über die Sache diskutieren sollte und dass man vor allen Dingen auch nicht Länder angreifen sollte, die ja gerade vor kurzem einen sehr erheblichen finanziellen Beitrag geleistet haben, um Irland und Griechenland aus der Patsche zu helfen. Insofern habe ich also für so etwas wenig Verständnis.

    Zagatta: Stehen die Luxemburger da Ihrer Erfahrung nach in Brüssel mit diesen Vorwürfen allein, oder werden die in anderen Ländern genauso geteilt?

    Gros: Natürlich gibt es hier Unmut in Brüssel auch über die teilweise wechselnden Haltungen der Regierung. Sie erinnern sich vielleicht: Am Anfang der Krise hieß es, erst mal keinen IWF, und dann auf jeden Fall IWF. Man kann sicher bei der Taktik der Bundesregierung viel kritisieren. Man muss natürlich verstehen, dass die Staaten, die in Schwierigkeiten sind, dort sehr nervös sind und jede kleine Äußerung aus Berlin, selbst wenn sie nicht von der Regierungsseite kommt und nicht offiziell ist, wird von den Finanzmärkten registriert und kann dann unter Umständen den peripheren Staaten großen Schaden zufügen.

    Zagatta: Was erwarten Sie denn unter diesen Umständen von dem Gipfel morgen? Kann es da überhaupt einen Kompromiss geben?

    Gros: Leider sieht es so aus, als würde dieser Gipfel sich gar nicht erst mit den wirklichen Fragen befassen, denn es gibt ja schon erste Fassungen des Schluss-Communiqués, die schon zirkulieren, und da stehen nur allgemeine Grundsätze drin, die wir vorher schon gekannt haben.

    Zagatta: Also Probleme werden vertagt?

    Gros: Die Staats- und Regierungschefs hoffen, dass sich die Probleme vertagen lassen. Es fragt sich halt nur, wie lange ihnen die Finanzmärkte dazu noch Zeit lassen.

    Zagatta: Ja. Wie beurteilen Sie das? Sehen Sie den Euro gefährdet dann?

    Gros: Der Euro als solcher ist nicht gefährdet. Das ist ganz klar. Es gibt genug politischen Willen, auch genug Finanzkraft, um ihn zusammenzuhalten. Es fragt sich halt nur, wie groß der Schaden ist, den die Finanzmärkte anrichten können, ob einige Länder dann vielleicht doch letztendlich in eine ungeordnete Insolvenz gedrängt werden. Das sind halt Fragen, die man sich stellen muss, wie man ihnen begegnen kann, und zurzeit kann man nur sagen, realistischerweise lässt sich nichts ausschließen, auch kein Gau.

    Zagatta: Und was ist da Ihre Prognose, wenn Sie sagen, wenn es den Regierungen gelingt, das Thema noch einmal auf die lange Bank zu schieben und die Finanzmärkte da natürlich dann irgendwie reagieren werden? Wo stehen wir dann am nächsten Montag, wie wird das weitergehen?

    Gros: Ich glaube nicht, dass es zu einer ganz schnellen Verschärfung kommen wird. Die Krise wird wohl erst mal langsam vor sich hinbrodeln. Und dann kommt es entscheidend darauf an, wie die Lage in Spanien aussieht. Sollten sich die spanischen Banken stabilisieren, könnte es sein, das ist nicht sehr wahrscheinlich, aber es könnte sein, dass die Krise so langsam abflaut und es zu einer Beruhigung kommt. Wenn das nicht der Fall ist, dann kann es sehr schnell zu einer abrupten Verschärfung kommen, weil dann die spanischen Banken sofort Hunderte von Milliarden vielleicht brauchen, und dann müssen die Politiker sehr schnell handeln.

    Zagatta: Professor Daniel Gros, der Direktor des Centre for European Policy Studies in Brüssel. Herr Gros, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Gros: Gerne geschehen!