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"Dieser Krieg wird sehr lange werden, sehr blutig sein"

Auch der neue Friedensplan wird scheitern, prognostiziert der Nahostexperte Michael Lüders. Folge: Der Bürgerkrieg in Syrien weite sich immer weiter aus und involviere mehr und mehr die Nachbarländer. Beenden könne ihn nur ein Machtverzicht von Präsident al-Assad, der dazu aber nicht bereit sei.

Fragen von Peter Kapern an Michael Lüders | 28.06.2012
    Peter Kapern: In der vergangenen Nacht hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen neuen Friedensplan für Syrien gebilligt, den Kofi Annan, der Sondergesandte, ausgearbeitet hatte. In Kurzform lautet seine neue Friedensformel: "Bildung einer Übergangsregierung unter Einschluss der Vertreter der Opposition". Offen gelassen hat Annan mehr oder weniger, ob auch für Diktator Baschar al-Assad Platz in dieser Regierung sein soll. Dieses Konzept wird die Vorlage bilden für die Syrien-Gespräche am Samstag in Genf. Übergangsregierung unter Einbeziehung der Opposition – klingt simpel, ist es aber nicht, denn die will nicht mit Assad an einem Tisch sitzen.
    Am Telefon bei uns ist nun der Nahost-Experte Michael Lüders. Guten Tag!

    Michael Lüders: Schönen guten Tag, hallo!

    Kapern: Herr Lüders, schauen wir doch mal auf den Friedensplan, den neuen von Kofi Annan. Welche Chance geben Sie dieser Initiative?

    Lüders: Es ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Es ist der Versuch, Regierung und Opposition zusammenzuführen. Aber dieser Plan wird scheitern wie auch schon sein Plan zuvor, als er versucht hat, beide Seiten zu einem Waffenstillstand zu bewegen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es hängt aber auch damit ganz wesentlich zusammen, dass die meisten westlichen Staaten, plus Türkei, plus Saudi-Arabien, zu der Überzeugung gelangt sind, dass es in Syrien keinen Frieden geben kann ohne einen Regimewechsel. Die Position insbesondere Washingtons ist sehr klar: Man will, dass dieses Regime stürzt. Und auf dieser Grundlage ist es natürlich schwierig, Verhandlungen zu führen. Die Regierung in Damaskus hat ja überhaupt gar keine Veranlassung, sich auf das einzulassen, was jetzt in Genf gefordert werden wird, nämlich die Opposition an der Regierung zu beteiligen. Das wird das Regime von Baschar al-Assad mit Sicherheit nicht tun.

    Kapern: Wäre es denn denkbar – da findet sich ja diese kryptische Formulierung in diesem Entwurf von Kofi Annan, wonach alle Kräfte von dieser Übergangsregierung ausgeschlossen sein sollen, die nicht glaubwürdig zu einem Friedensprozess beitragen können -, wäre es denkbar, dass auf dieser Grundlage Baschar al-Assad tatsächlich ins Abseits gerät, abdankt?

    Lüders: Nein. Das ist deswegen sehr unwahrscheinlich, weil man sich die Struktur der Machtverhältnisse in Syrien vor Augen führen muss. Syrien ist ein ethnisch-konfessioneller Staat und diejenigen, die dort die Macht innehaben, der Clan von Baschar al-Assad und seine Getreuen, stammen fast ausnahmslos aus der Minderheit, der religiösen Minderheit der Aleviten, die etwa 15 Prozent der Bevölkerung stellen. Die Mehrheit der Bevölkerung aber besteht aus Sunniten, sie machen etwa 60 Prozent der Bevölkerung aus. Würden sich die Aleviten, die also in der Minderheit sind und die das Militär kontrollieren und den Staat kontrollieren, auf Deals einlassen mit der Opposition, dann würde das bedeuten, dass sie die Macht der Aleviten auf Kosten der Sunniten abgeben würden. Das wäre im Zweifel der Untergang nicht allein dieses Regimes, sondern der Aleviten als eine religiöse Gemeinschaft insgesamt, was ihre Machtbeteiligung anbelangt. Das erklärt auch, warum es kaum Generäle gibt, die auf die Seite der Opposition wechseln, weil das keinen Sinn macht, dass Aleviten sich dem sunnitischen Aufstand anschließen. Deswegen: Baschar al-Assad kann auf seine alevitischen Generäle und seine Leute, die für ihn kämpfen, weiterhin setzen.

    Kapern: Nun hat es ja immer geheißen, Herr Lüders, die Entscheidung darüber, ob es in Syrien Frieden gibt oder nicht, die fällt in Russland, wenn Russland sich den Friedensinitiativen des Westens anschließt, dann könnte das was in Bewegung bringen. Nun signalisiert Moskau möglicherweise Unterstützung für diesen Friedensplan. Kann das Ihren Pessimismus trotzdem nicht dämpfen?

    Lüders: Die russische Position ist sehr eindeutig: Man will auf gar keinen Fall, dass der Westen nach dem Irak, nach Libyen auch in Syrien ein drittes Mal einen Erfolg verbucht und einen Regimewechsel herbeiführt mit dem Ergebnis, dass Russland und auch China ins Hintertreffen gelangen. Die Russen sind bereit, laut darüber nachzudenken, dass möglicherweise Baschar al-Assad zurücktritt, aber eben die Aleviten insgesamt an der Macht bleiben. Das aber wird nicht funktionieren, denn ein Regimewechsel bedeutet, dass man die Aleviten von der Macht entfernen muss. Alles andere ist nicht sehr realistisch. Die Russen sind bereit zu Kompromissen, aber der Preis muss stimmen. Vor allem muss den Russen garantiert werden, dass sie ihre Mittelmeer-Flotte weiterhin im syrischen Hafen Tartus stationieren können und dass ihr politischer Einfluss in Syrien erhalten bleibt. Solche Garantien sind aber vor allem die USA nicht bereit, Russland zu geben, und insofern wird die Konfrontation weitergehen und die Syrer werden dafür letztendlich den Preis bezahlen.

    Kapern: Mit welcher Perspektive? Was genau wird in Syrien ablaufen, was ist Ihr Szenario, wenn dieser jüngste Friedensplan auch scheitert?

    Lüders: Ich glaube, dass die Entwicklung in Syrien immer mehr in Richtung eines Bürgerkrieges geht, der nicht mehr zu kontrollieren sein wird, weil zu viele Akteure mittlerweile mitmischen. Das was ursprünglich angefangen hat als eine Volkserhebung vor allem ärmerer Sunniten gegen das Regime, wird mittlerweile überlagert von Milizen, die für Saudi-Arabien, für Katar arbeiten und von der Türkei aus agieren. Mittlerweile kontrollieren sie 25 Prozent des Landes, vor allem die nördlichen Gebiete entlang der türkischen Grenze. Dieser Krieg wird sehr lange werden, sehr blutig sein, und es wird immer wieder zu furchtbaren Massakern kommen von alevitischen Extremisten an Sunniten und umgekehrt, und das ist ein wirklich sehr schwieriges Szenario, und je länger dieser Krieg andauert, desto mehr werden auch die Nachbarländer mit hineingezogen werden. Wir sehen das bereits im Libanon und auch in der Türkei.

    Kapern: Der Nahost-Experte Michael Lüders – danke und auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.