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Diesseits und jenseits den 38. Breitengrads

Der Koreakonflikt ist schwer zu durchschauen. Ein internationaler Konflikt mit einem weitgehend isolierten Nordkorea. Historiker Bernd Stöver hat zum 60. Jahrestag des Endes des Koreakrieges eine fundierte Hintergrundlektüre zu dem geteilten Land und seiner Geschichte verfasst.

Von Tom Goeller | 22.04.2013
    Der Koreakonflikt lässt sich bis auf das Jahr 1910 zurückführen, in dem das kaiserliche Japan die Halbinsel annektierte und zur Kolonie erklärte. Ein ganzes Kapitel widmet der Historiker Bernd Stöver der japanischen Kolonialzeit. Im zweiten Kapitel schildert er das Zustandekommen der Teilung: Nach der Niederlage Japans im August 1945 besetzten die beiden Siegermächte Sowjetunion und Amerika jeweils eine Hälfte des Landes und legten als Teilungsgrenze den 38. Breitengrad fest.

    Die Russen richteten in ihrer Zone eine kommunistische Diktatur ein; die Amerikaner duldeten im Süden das Zustandekommen einer westlich orientierten Militärregierung. Ab 1948 zogen beide Mächte ihre Truppen wieder ab. Da Verhandlungen über eine Wiedervereinigung auf diplomatischen Wegen scheiterten, griffen am 25. Juni 1950 nordkoreanische Streitkräfte den Süden an, mit dem Ziel, die Wiedervereinigung militärisch herbeizuführen.

    Der Koreakrieg dauerte bis zum 27. Juli 1953 und war der erste militärische Konflikt des Kalten Krieges. Denn rasch kämpften nicht nur Koreaner gegeneinander. Auf nordkoreanischer Seite brachten sich die Chinesen in Stellung, und für Südkorea zogen Amerikaner sowie UNO-Truppen aus zahlreichen weiteren Ländern in den Krieg. Er sollte mit dem größten Einsatz von Bomben und Napalm in der Geschichte mehr als vier Millionen Tote verursachen.

    Stöver bettet den Krieg in die damalige Gesamtweltlage ein und erklärt dadurch leicht nachvollziehbar die eigentlichen Gründe für die Entstehung dieses Krieges. Vor allem auf einen Aspekt weist der Historiker mehrfach hin:

    "Es war ein Machtpoker um die Stellung in der Dritten Welt."

    Eine wichtige Rolle spielte das im geteilten Deutschland immer schwieriger werdende Verhältnis der USA zu den Sowjets. Stöver geht immer wieder auf die Parallelen zwischen dem Schicksal der beiden koreanischen Teilstaaten und dem des geteilten Deutschland ein. Mit diesem Aspekt unterscheidet sich der Autor insbesondere von Darstellungen des Koreakrieges in der angloamerikanischen Welt. Und schafft es damit, den möglicherweise distanzierten deutschen Leser emotional zu packen. Denn dadurch wird dem hiesigen Leser erst richtig bewusst, welche weitere Katastrophe den Deutschen nach 1945 erspart geblieben ist. Und, bisher wenig thematisiert, welche Hoffnungen die deutsche Einheit im weit entfernten Asien ausgelöst hat.

    "Die Hoffnung war dann 1989 für die Südkoreaner, dass es so laufen würde, wie in Deutschland. Für die Nordkoreaner war's genau das Gegenteil. Es war sozusagen der Beweis, dass man in keinem Fall beispielsweise ein West-Berlin haben dürfe und in keinem Fall eine Annäherung zulassen dürfe, die so stark gewesen wäre wie beispielsweise KSZE oder das, was Honecker in den siebziger Jahren mit Westdeutschland angestrebt hat, also eine engere Zusammenarbeit, auch Austausch und so weiter. Das ist alles für Nordkorea keine Option gewesen, sondern eher das Horrorbild: Wenn man das macht, geht’s schief."

    Könnte man also aus solchen Aussagen zugespitzt folgern: Die deutsche Einheit hat die Probleme zwischen Nord- und Südkorea verschärft?

    "Ja, absolut. Also, bis ‘89 war die DDR im Grunde genommen eine Art Vorbild. Seit Öffnung der Mauer ist sie sozusagen das abschreckende Beispiel."

    Anders als bei vielen historischen Werken üblich, beschreibt der Potsdamer Geschichtsprofessor also nicht nur Beginn und Ende eines Krieges, der übrigens nur achtzig von 268 Seiten im Buch einnimmt, sondern erörtert in vier Kapiteln die viel längere Geschichte danach. Wer weiß hierzulande schon um die vielen nordkoreanischen Sabotageakte und mörderischen Angriffe auf südkoreanische Staatsbürger seit dem Waffenstillstand von 1953, wie etwa das Attentat von 1987 auf ein südkoreanisches Flugzeug, dabei kamen 115 Menschen ums Leben. Und: Warum duldete der mächtige chinesische Nachbar, dass Nordkorea im Jahr 2004 von Pakistan die Fähigkeit zum Bau von Atombomben erwarb? Welche Interessen stehen heute hinter dem Gebaren Nordkoreas? Wer sind dieses Mal die Pokerspieler um Macht?

    "Russland hofft eigentlich auf Nordkorea als Transitland für Gaslieferungen nach Südkorea. Das ist auch eine Sache, die wenig bekannt ist. Die Chinesen sind diejenigen, die Bergwerke zum Beispiel ausbeuten dort. Und eigentlich ist Nordkorea ja ein wirtschaftliches Land. Und da dies so interessant ist für China, versucht man es natürlich zu halten. Es wäre für China überhaupt keine Lösung, wenn es wiedervereinigt werden würde und die Südkoreaner auch in Nordkorea sein würden und damit die USA."

    Deshalb also kann sich das Kim-Regime in Nordkorea sicher fühlen, eigene Machtträume ungestraft ausleben zu können, wenngleich Stöver darauf hinweist:

    "Man sieht, dass China, dass die Führung in Peking einigermaßen entsetzt ist, dass sie nicht mehr informiert werden von Pjöngjang, also von den Kims muss man ja sagen, seit Jahren schon. Es geht um Gesichtsverlust dort. Und das ist nicht einfach so dahingesagt, sondern ein echtes Problem für Peking, weil sie nicht mehr ernst genommen werden."

    Stöver glaubt nicht, dass es zu einem Krieg in Korea kommen wird, aber er erklärt in seinem Buch kenntnisreich und leicht lesbar, warum Korea bis heute zu den gefährlichsten Krisenherden der Welt gehört. Ergänzt um eine Zeittafel, die bis März 2013 reicht sowie um einen Anhang mit Verweisen auch auf Dokumentarfilme zum Thema, präsentiert sich das Buch aktuell und modern und kann jedermann als Fundgrube für den derzeit heißesten Hotspot der Weltpolitik empfohlen werden. Wer Stöver gelesen hat, kann mitreden.

    Bernd Stöver
    Geschichte des Koreakriegs. Schlachtfeld der Supermächte und ungelöster Konflikt, C.H. Beck Verlag, 268 Seiten, 12,95 Euro
    ISBN: 978-3-406-64447-4