Dienstag, 09. April 2024

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Dieter Boden: OSZE sollte in Georgien robustes Mandat haben

Dieter Boden, früherer Leiter der OSZE-Mission in Georgien, zeigt sich vom Gewaltausbruch im Kaukasus nicht sehr überrascht. "Die Lage war hochexplosiv", so Boden. Teil des Problems sei, dass die OSZE kein robustes Mandat in Georgien habe - also unbewaffnet sei. Diese Kapazität wünsche er sich, betonte Boden.

12.08.2008
    Bettina Klein: Guten Morgen, Herr Boden.

    Dieter Boden: Guten Morgen!

    Klein: Wenn Sie die aktuelle Entwicklung in Georgien jetzt sehen, haben Sie das kommen sehen, diesen Gewaltausbruch im Augenblick?

    Boden: Es bahnte sich natürlich in den letzten Wochen und Monaten einiges an - und zwar bedingt dadurch, dass es praktisch seit 2006 keine Verhandlungsbemühungen mehr um diesen Konflikt gegeben hat. Das war alles auf dem toten Gleis und an Stelle dessen hat man eben Militär in der Konfliktzone positioniert. Wir wissen: das ist bei der Lage, die dort herrscht, unberechenbar und da braucht es nur einen Funken, um diesen Krieg jetzt auszulösen. Ganz genau vorausgesehen hat es meines Erachtens niemand, aber die Lage war hoch explosiv.

    Klein: Große Hoffnungen werden auch jetzt wieder in die OSZE gesetzt. Aber die war ja aktiv, ist immer noch aktiv. Sie waren, Herr Boden, an entscheidender Stelle jahrelang vor Ort. Weshalb ist es Ihnen, weshalb ist es der OSZE nicht gelungen, die Situation so weit zu stabilisieren, dass ein solcher neuer Krieg vermieden werden konnte?

    Boden: Die OSZE hat zunächst keine Divisionen, um einzugreifen. Das hat man als ein Defizit dieser Organisation angesehen. Die OSZE kann keine Friedenstruppen stellen. Sie hat grundsätzlich das Mandat dazu, aber es ist nie etwas zu Stande gekommen auf diesem Gebiet.
    Was sie tun kann ist, diplomatische Bemühungen anstellen. Sie hat eine Mission in Tiflis seit 1993, die, meine ich, über Jahre durchaus effiziente, aber eben unspektakuläre Arbeit geleistet hat bei solchen Dingen wie vertrauensbildende Maßnahmen, Überwachung der Waffenstillstandslinie und Ähnlichem. Das soll man nicht unterschätzen. Aber diese Dinge, die sich jetzt dort entwickelt haben, die gehen über die Kapazität der OSZE hinaus, eine Auseinandersetzung zwischen zwei OSZE-Staaten - leider! -, nämlich Georgien und Russland. Aber dieses Patt zwischen Georgien und Russland hat die OSZE schon auch in den letzten Jahren bei ihren diplomatischen Bemühungen weitgehend lahm gelegt.

    Klein: Sie sagen, es hat Erfolge gegeben. Was hat diese Friedenstruppe denn konkret getan? Was tut sie denn oder was hat sie denn bis vor wenigen Tagen noch getan?

    Boden: Es ist keine Friedenstruppe; es sind Militärs, unbewaffnete Militärs, die die Waffenstillstandslinie dort regelmäßig überwachen. Das heißt sie patrouillieren dort und sie stehen im direkten Kontakt mit den jeweiligen Konfliktseiten. Das ist eine ganz mühsame Sache und sie hat immerhin geholfen bei etlichen Spannungssituationen in der Vergangenheit, eben eine Konfrontation zu verhindern. Dass dies jetzt so passiert ist, ist wie gesagt bedingt durch das Versagen der politischen Bemühungen. Natürlich müssen sich diejenigen dies zu Schulden rechnen lassen, die das ausgelöst haben. In Georgien selber gab es bestimmte Kräfte, die auf eine gewaltsame Lösung gesetzt haben; in Russland gab es und gibt es Scharfmacher. Diese Kräfte haben leider das Übergewicht bekommen, so dass es jetzt zu diesem Krieg gekommen ist.

    Klein: Sie haben davon gesprochen, die Militärs vor Ort hätten die Möglichkeit haben müssen, auch anzugreifen. Das hat das Mandat nicht vorgesehen. Wen oder was hätten sie angreifen können müssen nach Ihrer Erfahrung?

    Boden: Nein. Die OSZE kann vor Ort mit unbewaffneten Militärs nicht eingreifen - dazu hat sie auch kein Mandat -, sondern das hätte ausdrücklich vom ständigen Rat in Wien, also über die Diplomatie, mandatiert werden müssen. Das ist nicht geschehen. Die OSZE hat grundsätzlich keine Friedenstruppen.

    Klein: Ja, schon. Aber ich habe Sie so verstanden, Herr Boden, dass es geholfen hätte, wenn die OSZE eben auch dieses Mandat gehabt hätte. Daran schließt sich auch die Frage an: sollte sie in der Zukunft oder müsste eine solche dort stationierte Truppe ein solches festeres Mandat eben bekommen?

    Boden: Ich würde mir das sehr wünschen. Es sind wie gesagt in der Vergangenheit Bemühungen angestellt worden - nicht nur im Falle dieses Konflikts -, der OSZE diese Kapazität zu geben, aber diese Bemühungen sind im Sande verlaufen - durch Konfrontationen und Dissense, die in der Organisation selber zu dieser Frage bestanden haben. Ich würde mir wünschen, dass die OSZE sich diese Kapazität verschafft. Im Augenblick sehe ich, dass es eher auf eine EU-Kapazität hinaus läuft. Die EU ist vielleicht handlungsfähiger. Wichtig ist überhaupt, dass dort jetzt eine Friedensstreitmacht eingesetzt werden kann, denn das bisherige Muster an Friedenstruppen ist hoffnungslos diskreditiert - das heißt besonders der russische Anteil an diesen Friedenskräften.

    Klein: Georgien hatte ja russischen Soldaten zum Beispiel vorgeworfen, die Separatisten zu unterstützen. Ist es denn vor dem Hintergrund sinnvoll, eine Friedenstruppe unter Beteiligung der Konfliktparteien zu stationieren, oder muss man von Vornherein sagen, die Soldaten, die man dort stationiert (egal mit welchem Mandat jetzt), müssen von außen kommen, um die Unabhängigkeit stärker zu gewährleisten?

    Boden: Ich würde das zweite annehmen und mir sehr wünschen, dass es eine völlig unabhängige Friedensstreitmacht ist. Das heißt auch, dass zum Beispiel Nachbarstaaten Georgiens daran nicht beteiligt sein sollten. Das ist auch ein Prinzip, das die UN, das die Vereinten Nationen haben. Also eine neutrale Friedenstruppe, bei der klar ist, dass keine staatlichen Interessen zum Beispiel von Anrainerstaaten dort eine Rolle spielen - sprich Russland. Das haben wir gesehen, dass das nicht funktioniert, und daraus muss man die Lehren ziehen und zwar sehr schnell. Ich hoffe, dass eben entsprechende Bereitschaft unter den Staaten vorhanden ist, eine solche Friedenstruppe zu schaffen.

    Klein: Sehen Sie die Bereitschaft - abschließend gefragt; Sie haben das Versagen der Politik ja angesprochen, wozu wenig passiert ist - auch Russlands, sich auf eine solche Lösung zu verständigen?

    Boden: Ich denke mir, dass Russland grundsätzlich ein Interesse an Stabilität in Georgien hat. Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich annehmen, dass man vielleicht in geduldigen diplomatischen Bemühungen das schafft. Das heißt aber, natürlich sind wir alle unter Zeitdruck, denn solange die Situation dort so ist, wie sie sich jetzt entwickelt hat, kann es jederzeit weitergehen. Man braucht also wirklich nachdrückliche diplomatische Bemühungen auf hoher Ebene, um so eine Friedensstreitmacht dort auf die Beine zu stellen.

    Klein: Vielen Dank! - Das war Dieter Boden. Er war in den 90er Jahren Leiter der OSZE-Mission in Georgien. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Boden.

    Boden: Bitte!