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Dietmar Bartsch: Gauck ist mit seinen Positionen für die Linke nicht wählbar

Aufgrund seiner Haltung zu Hartz IV oder zur Rente mit 67 lehnt die Linke Joachim Gauck als Bundespräsidenten ab, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch. Dass seine Partei bei den Überlegungen zur Wulff-Nachfolge nicht einbezogen worden sei, bezeichnet er als "undemokratisches Gebaren".

Dietmar Bartsch im Gespäch mit Peter Kapern | 21.02.2012
    Peter Kapern: Der Kandidat, auf den sich die Runde verständigt hat, heißt Joachim Gauck. Den wählen wir nicht, hieß es postwendend von der Linken. Bei uns am Telefon der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion Dietmar Bartsch, guten Morgen, Herr Bartsch!

    Dietmar Bartsch: Guten Morgen, ich grüße Sie!

    Kapern: Herr Bartsch, war das bereits das letzte Wort Ihrer Partei in dieser Sache?

    Bartsch: Also, wir werden uns mit den Vertreterinnen der Bundesversammlung sicherlich dazu noch mal verständigen. Aber ich gehe davon aus, dass alles dafür spricht, dass wir Joachim Gauck nicht wählen. Es ist zweifelsfrei so, dass er eine respektable Persönlichkeit ist, es ist zweifelsfrei auch so, dass er politische Positionen beim Thema direkte Demokratie vertritt, die akzeptabel sind. Aber Sie haben a) darauf hingewiesen, dieses Verfahren, was nicht die Linke, sondern fünf Millionen Wählerinnen und Wähler der Linken ausgrenzt, ist nicht akzeptabel; und zweitens ist es auch so, dass die Linke, was die inhaltlichen Positionen betrifft, teilweise diametral zu dem steht, was Herr Gauck meint. Und da er auch fordert, wir wollen Ehrlichkeit in der Politik, da sagen wir dann auch ganz ehrlich: Wir gehen davon aus, dass er nicht zu wählen ist. Ich will das nicht noch mal wiederholen, es geht sowohl um die Positionierung, was Afghanistan betrifft, es geht um die Positionierung zu Hartz IV, aber auch der angebliche Mut von Thilo Sarrazin, viele andere Dinge mehr. Nicht zuletzt, das will ich auch ganz persönlich sagen: Wenn der Inlandsgeheimdienst uns beobachtet und Herr Gauck sagt, das geht in Ordnung – ich selbst bin einer der Betroffenen –, dann kann ich ihn nicht wählen.

    Kapern: Aber das Verfahren der Kandidatenfindung können Sie doch nicht auch noch Joachim Gauck vorwerfen?

    Bartsch: Nein, das werfen wir ihm nicht vor. Es ist auch so, dass er dem Amt des Bundespräsidenten Würde zurückgeben soll. Er kann einen Beitrag leisten, dass auch Vertrauen in die Politik zurückgewinnbar ist. Das werden wir aber sehen, wenn er gewählt ist. Das ist wohl so, dass am 18. März, was ja auch ein historisches Datum ist, er gewählt wird. Das werden wir dann genau beachten. Natürlich verdient es Respekt, dass er sich nach dieser furchtbaren Arie mit Herrn Wulff wieder Aufgaben stellen will. Aber trotzdem, es gehört eben auch dazu, dass in dem Fall die Linke klar und deutlich sagt, mit seinen Positionen ist er nicht wählbar. Das Verfahren ist nicht bei ihm, sondern das ist zuallererst bei der Kanzlerin. Hier gab es ja ein wirklich unwürdigeres Geschachere: Wenn Sie sehen, dass so respektable Persönlichkeiten wie Herr Voßkuhle oder Herr Lammert abgesagt haben, bevor überhaupt die Frage abschließend stand, dann wirft das ein Licht auf das Agieren der Kanzlerin und der Koalition, die ja hier um des Überlebens der FDP Dinge veranstaltet haben, die wirklich viele in der Bevölkerung auch kopfschüttelnd sich abwenden lässt.

    Kapern: Die inhaltlichen Positionen Joachim Gaucks, die Sie gerade kritisiert haben und für nicht deckungsgleich mit denen der Linken bezeichnet haben, die decken sich ja doch nun weitgehend, sehr weitgehend mit den Positionen all jener fünf Parteien, die bei der Kandidatenfindung dabei gewesen sind. Welchen Sinn hätte es denn dann gemacht, die Linke mit an den Tisch zu holen?

    Bartsch: Also, es hätte ja auch die Möglichkeit gegeben über Personen zu reden, wo wir uns hätten verständigen können. Ich will jetzt hier nicht weitere Namen nennen, das wäre auch wiederum diesem Amten nicht angemessen, aber es ist nun mal eine demokratische Gepflogenheit. Es geht ja auch gar nicht darum, dass dann alle sagen, oha, das ist derjenige, der alle Interessen bedienen kann. Es ist doch unstrittig, ja, Herr Gauck ist der Vertreter der Parteien, die für Hartz IV stehen, die für die Rente erst ab 67 und vieles andere mehr stehen, das ist nicht der Punkt. Aber es wäre demokratische Gepflogenheit gewesen, alle Parteien einzuladen. Dann muss man sich nicht einigen, aber zu sagen, nein, mit denen reden wir nicht. Also, ich meine, Frau Merkel kommt aus Mecklenburg-Vorpommern, kandidiert dort wie ich, wir sind dort Volkspartei, bei den letzten Bundestagswahlen haben wir 30 Prozent als Linke erzielt. Eine solche Partei auszugrenzen und nicht zu reden, das ist eben undemokratisches Gebaren. Und deswegen haben wir das kritisiert. Das hat zunächst nichts mit Herrn Gauck zu tun, sondern da hat eine Koalition versucht, indem sie sozusagen eine Partei, wo man sich vielleicht einigen kann, die wir ausgrenzen wollen, sich zusammenzubringen. Das war nicht erfolgreich, man hat ganz klar gesehen, dass die FDP irgendwie ein Rettungsboot erreichen will, und selbst das Amt des Bundespräsidenten ist für die FDP dann nicht zu schade, das zu erreichen.

    Kapern: Wohl noch nie hatte ein Kandidat für das Amt des Staatsoberhauptes schon, bevor er gewählt war, eine so große Mehrheit in der Bevölkerung. Hat Ihre Partei ein Problem damit, das Ohr bei den Menschen zu haben?

    Bartsch: Nein, Sie sagen ja richtig, dass es eine Mehrheit ist. Die Zahlen sind da sehr unterschiedlich. Aber schon nach demokratischem Gebaren ist es ja nicht ganz schlecht, wenn denn die Minderheit in der Bundesversammlung auch eine Vertretung hat. Und es ist zweifelsfrei so, dass Herrn Gaucks Zustimmung nicht bei 90 Prozent liegt. Die vier Parteien oder die fünf Parteien vertreten ja in der Bundesversammlung fast 90 Prozent, die Linke etwas über zehn Prozent, und wir wollen dann den 30 bis 40 Prozent, die nicht zu Herrn Gauck stehen, auch in der Bundesversammlung zumindest mit unseren Stimmen Gehör verschaffen.

    Kapern: Sind Sie dafür, Herr Bartsch, dass die Linke jetzt mit einem eigenen Kandidaten oder eigenen Kandidatin in das Rennen geht?

    Bartsch: Wir werden diese Frage zügig prüfen. Es gibt Argumente, die deutlich dafür sprechen, es gibt auch Argumente, die dagegen sprechen.

    Kapern: Welche sind das?

    Bartsch: Wir werden doch. Ich glaube, dass wir da nicht so verfahren sollten wie die anderen Parteien und vor allen Dingen auf dem Markt Dinge austragen, da vielleicht noch Personen beschädigen. Wir werden uns da beraten und werden dann auch sehr zeitnah die Öffentlichkeit informieren, wie wir uns da verhalten. In jedem Fall werden wir als Linke versuchen, dass wir uns dort nicht öffentlich auseinandersetzen, sondern wir werden intern eine Verständigung herbeiführen und die dann mitteilen.

    Kapern: Oskar Lafontaine hat in einem Zeitungsinterview gesagt, er habe Sympathie für den Vorschlag der linken Partei-Jugend, die hat den Kabarettisten Georg Schramm vorgeschlagen. Teilen die Sympathien?

    Bartsch: Also, da würde ich zunächst mal Herrn Schramm fragen, ob er auch zur Verfügung steht. Aber ich würde raten, hier nicht mit Personen zu agieren – ich habe das eben gesagt –, und werde mich deshalb an Personenvorschlägen nicht beteiligen.

    Kapern: Aber noch mal nachgefragt: Was spricht denn dafür, dass Sie mit einem eigenen Kandidaten ins Rennen gehen?

    Bartsch: Ich habe gesagt, es gibt Argumente dafür. Eines dieser Argumente ist, dass wir auch dort denjenigen, die mit Herrn Gauck und einen inhaltlichen Positionen nicht einverstanden sind, hier auch eine Alternative präsentieren. Es wird einige Tage auch noch Präsentation von Herrn Gauck und einem eventuellen Kandidaten oder einer Kandidatin geben. Das spricht ausdrücklich dafür. Man muss aber auch sagen: Es ist natürlich so, dass die Schranken vergleichsweise gering sind. Aber ich würde dann schon auch gern bei einem Kandidaten oder einer Kandidatin sehen, ob denn die vier Parteien oder die fünf, mit der CSU, wirklich über eine solche Einigkeit verfügen oder ob es so ist, dass dann eine Alternative auch Stimmen bekommt. Das spricht dafür. Aber noch mal, es gibt auch Argumente dagegen. Und wir werden das abwägen.

    Kapern: Dietmar Bartsch war das, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Herr Bartsch, ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Ihnen noch einen Tag!

    Bartsch: Ich bedanke mich auch und Ihnen einen schönen Dienst!

    Kapern: Danke schön!

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