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Digital-Professuren für Berlin
"Kein Wissenschaftsbereich mehr ohne Digitalisierung denkbar"

Die Digitalisierung hat die Gesellschaft verändert - und wird es wohl auch weiter tun. Auf diese Entwicklung reagieren Berliner Hochschulen: Für die vier Universitäten der Hauptstadt wurden 18 neue Professuren ausgeschrieben, die sich gezielt mit Digitalisierungsthemen befassen. Wer sich bewerben kann, erläuterte Christian Thomsen, Präsident der TU Berlin, im DLF.

Christian Thomsen im Gespräch mit Michael Böddeker | 12.09.2016
    Der Präsident der TU Berlin, Christian Thomsen, spricht an einem Mikrofon und gestikuliert mit der rechten Hand
    Der Präsident der TU Berlin, Christian Thomsen (dpa-Zentralbild)
    Michael Böddeker: Bis der Flughafen in Berlin fertig wird, dauert es noch ein bisschen. Aber ein anderes Großprojekt soll jetzt an den Start gehen, und zwar im Bereich Bildung. 50 neue Professuren im IT-Bereich sollen in Berlin entstehen. Finanziert werden sollen die von verschiedenen Einrichtungen, zum Teil privat, zum Teil öffentlich. Die ersten 18 Professorinnen und Professoren werden jetzt gesucht. Berufen werden sollen sie an die vier Berliner Universitäten, also an die Universität der Künste, die Freie Universität Berlin, die Humboldt-Universität und die Technische Universität Berlin. Mehr darüber weiß Christian Thomsen, er ist Präsident der TU Berlin. Ihn habe ich gefragt, wie es überhaupt zu diesen neu geschaffenen Professuren gekommen ist.
    Christian Thomsen: Es kam dazu, eigentlich inspiriert ursprünglich durch einen Artikel im "Tagesspiegel" nach der gescheiterten Olympia-Bewerbung von Berlin, dass man das Geld, das man dorthin hätte stecken wollen, doch auch in Wissenschaft stecken kann, insbesondere in die IT-Forschung.
    "Es werden andere Methoden verwendet werden"
    Böddeker: Und daraus werden dann jetzt die neuen Professuren am Ende?
    Thomsen: In der Tat. Es ist so, dass es ein Private Public Partnership ist. Das heißt, es gibt eine ganze Reihe von Industrieunternehmen, die dieses Thema Digitalisierung für sich als wichtig erkannt haben und die sich an der Finanzierung etwa hälftig beteiligen. Eine Reihe von außeruniversitären Forschungseinrichtungen und auch der Berliner Senat gibt einiges hinzu, sodass insgesamt etwa knapp 40 Millionen Euro zur Verfügung stehen für die nächsten sechs Jahre.
    Böddeker: Digitalisierung ist das gemeinsame Thema, das haben Sie gerade noch mal genannt. Was genau bedeutet das? Also, was soll konkret erforscht werden?
    Thomsen: Es ist so bei der Digitalisierung, dass kein Wissenschaftsbereich mehr ohne wesentliche Digitalisierungselemente denkbar ist. Es wird neu gedacht werden, es werden andere Methoden verwendet werden. Ich nenne als Beispiel Big Data, viele Wissenschaften, wahrscheinlich alle Wissenschaften erzeugen wahnsinnige, große Datenmengen. Und es geht zum Beispiel um Algorithmen, wie man diese Datenmengen vernünftig inhaltlich analysiert und Aspekte herausfindet, die das menschliche Auge nicht finden würde.
    Böddeker: Die neuen Professuren sollen zum Teil privat, also von den beteiligten Unternehmen finanziert werden, die geben zwölf Millionen. Wie soll sichergestellt werden, dass sich die Geldgeber nicht in Forschung und Lehre einmischen?
    Thomsen: Das ist hier ganz klar so geregelt, dass die Stifter an die Einstein-Stiftung in Berlin stiften. Das ist eine angesehene, unabhängige Wissenschaft fördernde Einrichtung. Und die wiederum verteilt die Gelder an die vier Universitäten, die Sie genannt haben, plus die Charité, sodass kein unmittelbarer Einfluss zwischen Stifter und Hochschullehrer stattfindet.
    Hoffnung auf Zukunft für Privat-Public-Partnership-Modelle
    Böddeker: Wie genau soll dieses ganze Projekt ablaufen? Also, wie geht es jetzt konkret weiter erst mal?
    Thomsen: Konkret nach der Bewegung, die heute ausgesprochen worden ist und verkündet worden ist, wird ausgeschrieben und wir haben die ersten 18 Professuren ab heute ausgeschrieben und werden die Berufungskommission an den vier Universitäten und der Charité in Berlin besetzen und starten zum 01. April 2017.
    Böddeker: Und wie lange läuft das Projekt dann?
    Thomsen: Sechs Jahre von da an.
    Böddeker: Wie geht es danach weiter?
    Thomsen: Das wird man in der Zukunft sehen. Wenn es erfolgreich ist, dann denke ich, dass es weitere Stifter gibt, die sich für das Thema interessieren. Es könnte auch sein, dass das Thema sich etwas wandelt in den nächsten fünf, sechs Jahren, das werden wir beobachten. Die Hoffnung ist jedenfalls, dass diese Form der Private Public Partnership für Wissenschaftsfinanzierung ein Modell wird für Deutschland.
    Böddeker: Die ersten 18 Professuren sollen jetzt besetzt werden. Wen suchen Sie konkret, also, wer kann sich da bewerben?
    Thomsen: Das sind überwiegend Juniorprofessuren, da können sich Menschen bewerben, die promoviert haben, die im Bereich IT oder im Bereich einer der Geistes- oder der Industrie-4.0-Wissenschaften Kompetenzen besitzen. Und die Idee ist ja, dass durch diese interdisziplinäre Forschung neue Wissenschaftsfachgebiete aufgebaut werden. Also, die Fächer, die wir ausschreiben, gibt es im direkten Sinne bislang nicht oder wenig nur, und die Hoffnung ist, dass innovative junge Menschen aus dem In- und Ausland sich darauf bewerben.
    Digitale Gesellschaft, Arbeit 4.0, Vertrauen
    Böddeker: Wie heißen diese neuen Fächer, gibt es da auch schon einen Namen für?
    Thomsen: Jedes heißt verschieden. Eines heißt zum Beispiel "Vertrauen in digitale Dienste". Also, die Frage, das ist ein bisschen eine gesellschaftliche Frage: Wie viel müssen Menschen den digitalen Diensten zum Beispiel in der E-Medizin vertrauen, um das als sinnvolles und wirkungsvolles Instrument einzusetzen. Eine andere sind "Physikalische Grenzen der Sicherheit". Also, da geht es um: Wie kann man die Übertragungswege sicherstellen, dass man nicht abhören kann? Dann gibt es Themen wie digitale Gesellschaft, Arbeit 4.0, wie wird sich für arbeitstätige Teile der Gesellschaft das Arbeitsleben dadurch ändern, dass viele der Produktionsprozesse, viele auch der Serviceprozesse digitalisiert werden?
    Böddeker: Diese 50 neuen Professorinnen und Professoren, die es am Ende geben soll, werden die auch zusammenarbeiten oder sind die dann an ihren jeweiligen Universitäten und können da alleine vor sich hinforschen?
    Thomsen: Es wird beides geben. Der größte Teil wird zusammenarbeiten in einem Gebäude, das der Berliner Senat in der Mitte von Berlin zur Verfügung stellen wird. Es wird Einzelfälle geben, wo es sinnvoller - zum Beispiel bei großen Laboranwendungen - wo es sinnvoller ist, wenn die Menschen in ihrer Heimateinrichtung auch sitzen. Dennoch ist in jedem Fall geplant, dass es gemeinsame Seminare und Vorträge und Veranstaltungen zentral gibt, sodass dieser Vernetzungsgedanke, der zwischen diesen 50 Professuren geplant ist, auch tatsächlich eintreten kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.