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Digitale Welt
Das womöglich überlebte Privileg der Sperrfrist

Journalisten genießen oft ein besonderes Privileg: Sie bekommen Reden von Politikern, Mitteilungen von Unternehmen, neue Bücher und neue Studien Stunden, Tage oder sogar Wochen vor der eigentlichen Veröffentlichung – versehen mit einer sogenannten Sperrfrist. Die einzuhalten, wird allerdings immer schwieriger.

Von Daniel Bouhs | 17.01.2015
    Tageszeitungen stecken an einem Zeitungsstand in Drehständern.
    Sperrfristen erlauben Journalisten, frühzeitig Inhalte zu bearbeiten. (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Nachrichtenagenturen senden jeden Tag hunderte Meldungen an Zeitungen, Onlineportale und Sender. Früher lief das über den sogenannten Ticker – es ratterte der Drucker in den Redaktionen. Heute kommen die Meldungen digital. Geblieben sind die Inhalte und bei vielen Einträgen besondere Anweisungen: die Sperrfristen.
    "Weltbank sagt moderates Wirtschaftswachstum von drei Prozent voraus. Sperrfrist: 22 Uhr. Merkel warnt vor islamfeindlichen Demonstrationen. Sperrfrist: 0 Uhr."
    Ob Redemanuskripte oder Mitteilungen von Unternehmen, Verbänden und Institutionen: Journalisten werden teils mit großzügigem Vorlauf informiert.
    "Für uns heißt das vor allem, dass wir mehr Zeit haben, uns tatsächlich mit dieser Pressemitteilung oder dem Interview zu beschäftigen", erklärt Froben Homburger, Nachrichtenchef der "Deutschen Presseagentur". In der Regel, muss man auch dazu sagen, geht es ja nicht um Informationen, die jetzt wirklich Breaking News sind, also die jetzt die Welt verändern, sondern Nachrichten, Geschichten, Reden unterhalb dieser Ebene."
    Tageszeitungen können so schon in den Druck geben, was vielleicht erst später am Abend gesagt werden wird. Außerdem schicken die großen wissenschaftlichen Publikationen ebenfalls Berichte mit einer Sperrfrist – das sogar teils mit einem Vorlauf von mehreren Tagen. Die dpa warnt bei jeder einzelnen Meldung davor, dieses Privileg nicht mit einem publizistischen Schnellschuss zu gefährden.
    "Ein Bruch des Embargos könnte die Berichterstattung über Studien empfindlich einschränken."
    Würde auch nur einer diese Sperrfrist brechen – Wissenschaftsredaktionen müssten befürchten, aus dem Vorab-Verteiler internationaler Publikationen zu fliegen. Das ist bisher nicht passiert. Die Weltbank hingegen hat ein Mal sanktionieren müssen: Die "Financial Times" hatte sich nicht in Geduld geübt. Die Weltbank hat sie daraufhin ein halbes Jahr lang nicht mehr mit Neuigkeiten versorgt.
    Sperrfristen werden teilweise schon unterwandert
    Wissenschaftliche Sensationen und börsenrelevante Wirtschaftsdaten – der Bruch von Sperrfristen ist hier die große Ausnahme. Andere Sperrfristen aber werden sehr wohl unterwandert, ganz nebenbei mit den Digitalausgaben der Tageszeitungen.
    "Da ist es eben eigentlich mittlerweile ja so, dass dann ja die Sperrfrist dadurch ja gebrochen wird", ärgert sich etwa Felix Hügel, der beim "SWR" Nachrichten produziert. Die jüngste Neujahrsansprache der Kanzlerin, die eigentlich bis Mitternacht gesperrt war, sah er schon am Abend in der App diverser Tageszeitungen – mit Zitaten und Analysen.
    "Man könnte auch sagen, dass hinter den Sperrfristen vielleicht eher noch so ein altes Denken aus der alten Medienwelt steht und dass das eigentlich so mit den heutigen Verbreitungswegen im Netz, über Twitter, Facebook, aber eben auch über die Apps der Zeitungen gar nicht mehr so richtig Stand hält."
    Das Bundespresseamt, das die Meldung herausgab, wollte kein Interview geben. Anders Günter Bannas, Parlamentskorrespondent der "FAZ".
    "Man kann das vergleichen mit dem, wie es ganz früher war: Da konnte man – kann man auch heute noch – in Frankfurt beispielsweise am Hauptbahnhof gegen 18.30, 19 Uhr die Zeitung vom nächsten Tag schon kaufen."
    Das aber war natürlich ein sehr begrenzter Markt. Digitale Ausgaben hingegen gibt es in jedem Winkel der Republik schon abends auf Abruf – und sie werden immer beleibter. Diese Entwicklung sieht auch "FAZ"-Journalist Bannas. Er sagt deshalb selbst ganz offen: Ja, die Sperrfrist hat nun ein Problem.
    "Es geht natürlich nicht, wenn in der E-Paper-Ausgabe um 20 Uhr etwas zu lesen ist, was in der Onlineausgabe eines konkurrierenden Mediums oder in den Radionachrichten noch nicht zu lesen ist. Das wird auf die Dauer nicht zu halten sein."