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Digitaler Zahlungsverkehr
Schwedens Weg in die (fast) bargeldlose Gesellschaft

Karte, „Swish“ und E-Krone - Schweden ist Vorreiter beim bargeldlosen Zahlungsverkehr. Mehr als 80 Prozent der Menschen zahlen kaum noch "cash". Doch Verbraucherschützer fürchten, dass die Geld-Digitalisierung bestimmte Bevölkerungsgruppen ausschließt.

Von Carsten Schmiester | 24.07.2018
    Banknoten der schwedischen Währung Krone liegen am 19.02.2016 in Hamburg auf einem Tisch.
    Bar zahlen ist in Schweden nicht mehr Standard (picture alliance / dpa)
    Spenden in der Kirche, die Obdachlosenzeitung, selbst öffentlichen Toiletten: Alles wird in Schweden elektronisch bezahlt. Auch die Tasse Kaffee zum Mitnehmen, Briefmarken am Postschalter im Supermarkt, obwohl die in Zeiten von Email, SMS oder Kurznachrichtenapps ja eigentlich ein Anachronismus sind.
    Ach ja, und dann der öffentliche Nahverkehr. Bar zahlen beim Fahrer? Das geht schon lange nicht mehr. Wer keine Karte hat, muss laufen.
    Nur eine Minderheit zahlt noch bar
    Nach Angaben der schwedischen Zentralbank, der Reichsbank, zahlen inzwischen mehr als 80 Prozent der Menschen fast alles mit ihrer Karte. Vor zwei Jahren war es noch 64 Prozent. Leif Trogen ist bei der schwedischen Bankvereinigung für die Infrastruktur zuständig: "Manche finden wohl, dass diese Entwicklung zu schnell geht und das muss man respektieren. Deshalb ist es wichtig, dass man diesen Menschen hilft. Aber, was die technische Entwicklung angeht, die kann man nicht ignorieren, sie wird sich immer weiter in diese Richtung fortsetzen."
    So sehen es die Banken. Aber das sei auch kein Wunder, sagt Jan Bertoft, Generalsekretär der schwedischen Verbraucherschutzorganisation "Sveriges Konsumenter": "Banken verdienen natürlich deutlich mehr bei Bezahlungen mit Karte als mit Bargeld. Zwar sagen sie, dass der Verbraucher die Karte will, aber das stimmt nicht. Wir laufen Gefahr, einige Gruppen wie Zuwanderer oder Behinderte zu benachteiligen. Menschen auf dem Land sind mehr vom Bargeld abhängig als Städter und sie kennen es oft kaum anders. Man braucht eine angemessene Balance zwischen ihren Bedürfnissen und der technischen Entwicklung."
    Kein Bargeld von der Bank? Konto gekündigt
    Aber die gibt es in Schweden so längst nicht mehr. Auch ältere Leute haben Probleme mit der neuen Technik und vor allem mit den PIN-Codes, die sie sich kaum merken können. Die Bank dieses Stockholmers hatte ihm zum Beispiel erklärt, dass sie gar keine Scheine und Münzen mehr akzeptiert: "Auf gut Schwedisch finde ich es verteufelt. Die Bank ist doch dazu da mit Geld zu arbeiten, warum braucht man sonst eine Bank? Deshalb habe ich jetzt mein Konto bei dieser Bank gekündigt und bin zu einer anderen gewechselt, die mehr Filialen hat, die Bargeld annehmen."
    Diese Frau stimmt ihm zu. Nicht, dass sie gegen den Trend "Karte statt Cash" wäre, aber es gebe nun einmal Leute, die aus ganz unterschiedlichen Gründen da nicht mitmachen wollten: "Es sollte meiner Meinung nach um die Bedürfnisse der Menschen gehen und nicht um die der Banken", sagt sie. Während dieser jüngere Mann vor allem die Bequemlich des bargeldlosen Lebens schätzt: "Nein, ich habe kein Bargeld bei mir. Das liegt zuhause."
    Anders als das Handy, ohne das hier kaum noch jemand aus dem Haus geht. Sieben große Banken haben es längst für sich entdeckt und bieten gemeinsam mit der Reichsbank seit sechs Jahren die Bezahl-App "Swish" an. "Mit Swish schicken wir uns Geld übers Handy. Das ist weiter verbreitet, als du denkst. Swish - einfach bezahlen!"
    Schweden mögen technische Neuerungen
    Knapp sechseinhalb von zehn Millionen Schweden haben heute "Swish" auf dem Smartphone und zahlen bequem, schnell und angeblich auch sicher meist kleinere Beträge etwa auf Floh- oder Wochenmärkten von Handy zu Handy. Man muss sich nur über eine andere App namens "Bank ID" identifizieren, dann den Betrag und die Nummer des Verkäufers eingeben, und - swish – ist das Geld auch schon angekommen.
    Kritik? Wenn, dann nur vereinzelt. Schweden mögen technische Neuerungen und machen sich um Datenklau und Datenschutz wenig Gedanken. Reichsbankchef Stefan Ingves stößt deshalb mit seinem nächsten Coup auf ein überwiegend positives Echo. Er lässt prüfen, wie sicher und technisch aufwendig eine "E-Krone" wäre.
    Schweden überlegt, das erste Land mit einer eigenen Digitalwährung zu werden. Wohl auch, um dem Bitcoin oder anderen Kryptowährungen und dem Buchgeld der Banken beizeiten etwas entgegenzusetzen: "Ich glaube es wäre gut, wenn es irgendeine Form von elektronischem Geld gäbe, das von der Reichsbank ausgegeben wird und nicht nur im Besitz der großen Banken ist, sondern für alle verfügbar. In einer Gesellschaft wie unserer muss jemand ja auch den rechtlichen Rahmen definieren. Ich halte es nicht für sinnvoll, das komplett dem privaten Sektor zu überlassen."
    Da kündigt sich womöglich die nächste Revolution an. Doch bei aller Fortschrittsgläubigkeit: Skepsis gehört ebenso zum schwedischen Nationalcharakter. Und das heißt hier: Bargeldlos? Ja, aber nicht komplett. An die Abschaffung ist nicht gedacht, selbst wenn Scheine und Münzen im Alltag immer seltener auftauchen.
    Stefan Ingves will es für den "worst case" behalten, den Zusammenbruch der schönen neuen schwedischen Geldwelt: "Ein offensichtliches Risiko wäre natürlich zum Beispiel ein Stromausfall, wenn niemand mehr etwas bezahlen könnte, weil normalerweise alles elektronisch abläuft. Irgendeine Form von Bargeld werden wir also auf absehbare Zeit zur Sicherheit benötigen."