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Digitales Logbuch: Leak-Tweets

Donnerstagabend lauschte ich in einer kleinen Halle der Performance eines japanischen Klangkünstlers. Seine Musik mixte er aus Kassettenmitschnitten zusammen. Das war Twittern in Zeitlupe.

Von Maximilian Schönherr | 04.12.2010
    Während der Klangteppich langsam wechselte, surfte ich auf meinem Tablet-Computer die neuesten WikiLeaks-Veröffentlichungen vom 2. Dezember an. Twitter war an dem Abend so ruhig wie meistens hier in Zentraleuropa. Es gibt nichts zu tweeten. Facebook für den Privatklatsch und die WikiLeaks für den Rest reichen an normalen Tagen und Nächten vollkommen aus.

    Am frühen Morgen berichtete die BBC dann über dramatische Entwicklungen: Der Online-Buchhändler Amazon habe die Daten der WikiLeaks von seinem Server gelöscht. Als ich meinen Rechner einschaltete und wie üblich zu cablegate.wikileaks.org surfte, gab es diese Seite tatsächlich nicht mehr.

    Was war genau passiert? Die einschlägigen deutschen Zeitungsportale waren auf dem Stand vom letzten Abend; schlafende Riesen. Amerika schlief sowieso. Twitter? Tatsächlich liefen bei Twitter unter dem Stichwort "WikiLeaks" im Zehnsekundentakt Kurzmeldungen über meinen Bildschirm.

    Kurz vor 10 Uhr meldet ein Holländer: Free speech has a number – die Meinungsfreiheit hat eine IP-Adresse: 88.80.13.160. Tatsächlich, hier sind sie, die Cablegate-WikiLeaks, wenn auch nicht komplett. Wo steht der Server? Wohin sind die Daten umgezogen? In die Schweiz, in einen Sicherheitsbunker der Schweizer Alpen. Fünf Minuten später überschlagen sich die Tweets mit der neuen Adresse: wikileaks.ch.

    Die Neue Zürcher Zeitung meldet eine halbe Stunde später, dass Amazon die WikiLeaks abgeklemmt hat – hoffnungslos veraltete Nachrichten inmitten dieser Tweets, inzwischen 768 auf meinem Bildschirm. 769: Wikileaks/Schweiz nicht mehr erreichbar. Tweet 770: doch erreichbar. 771: nicht mehr erreichbar. 772: wegen Überlastung, 773-779 wegen einem Denial of Service Attack. Dazwischen ein paar Meldungen von diesen seligen Morgenkaffeeschlürfern vom Spiegel in Hamburg: "Cyberattacken. US- Firma entzieht WikiLeaks die Internetadresse." Geht’s noch langsamer, Freunde?

    Und dann ein Tweet von John Perry Barlow, dem Amerikanischen Datenschutzaktivsten. Dieser Tweet wird unendlich oft nachzitiert: "The first serious infowar is now engaged. The field of battle is wikileaks. You are the troops" – Der erste ernste Krieg der Informationstechnik hat begonnen. Das Schlachtfeld heißt Wikileaks. Die Truppen seid Ihr.