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Digitalisierung im Sport
Trainingsdaten in Echtzeit

Fitnesstracker, Leistungsdiagnostik, Video-Analyse: Der Profi-Sportler von heute wird lückenlos digital überwacht. Von den Tools versprechen sich Trainer und Vereine großen Erfolg. Doch welche Folgen diese Entwicklung für den Sport hat - dazu gibt es noch keine Studien.

Manfred Kloiber im Kollegengespräch mit Carina Fron | 01.06.2019
Eine Spidercam oder Seilkamera im Fußballstadion Allianz Arena vor grünem Rasen.
Immer im Bild, nicht nur für die Fernsehkameras: Das Verhalten der Sportler wird im Spiel und beim Training genau erfasst (picture alliance / Michael Weber)
Manfred Kloiber: Die Digitalisierung ist mittlerweile fester Bestandteil im Sport geworden. Fitnessuhren scheinen beliebter denn je. Sie überwachen nicht nur die Herzfrequenz, sondern auch jeden Schritt, den die Träger tun. Doch auch bei den professionellen Sportlerinnen und Sportlern sind Bewegungsanalysen keine Seltenheit. So arbeitet zum Beispiel die deutsche Nationalmannschaft bereits seit 2013 mit SAP zusammen. Das sammelt so viele Daten wie möglich von den Spielern und bereitet diese für die Trainer auf. Wie der digitale Wandel den Sport verändert, hat sich meine Kollegin Carina Fron einmal angesehen. Carina, welche Sportarten setzen denn bereits auf die Unterstützung durch Software-Analysen?
Carina Fron: Alle, so einfach ist die Antwort, zumindest wenn man die Wissenschaftler fragt, mit denen ich gesprochen habe. Doch die einzelnen Vereine lassen sich nicht so gerne in die Karten schauen, so viel steht fest. Oft gibt es zu diesem Thema Meldungen im Zusammenhang mit Weltmeisterschaften oder so. Im Fußball ist es aber so, dass solche Bewegungsanalysen - zumindest in den Spitzenvereinen – schon dazu gehören. Auch bei der Formel eins, im Handball, Radsport, Football oder auch im Basketball dürften solche digitalen Helfer bei den meisten Vereinen ein Muss sein. Anfang Mai zum Beispiel hat die Handball Bundesliga-GmbH gerade erst bekannt gegeben, dass sie mit "Kinexon" für die nächsten vier Jahre zusammenarbeitet. Das ist ein Softwareunternehmen, wurde von Wissenschaftlern der TU München gegründet, und liefert eine Sensortechnik mit Analysesoftware für die Handballer-Erstligaclubs.
Kloiber: Was bedeutet in dem Zusammenhang genau Sensortechnik?
Fron: Dabei haben die Handballer, aber auch Fußballer und andere Sportler Sensoren im Trikot. Die wiegen gerade mal ein paar Gramm und sind quasi unsichtbar. Die messen und analysieren zum Beispiel die zurückgelegte Distanz, die kontinuierliche Geschwindigkeit der Spieler und des Balls, die Anzahl der Sprints und Sprünge sowie die Herzfrequenz der Athleten. All diese Daten können dann in Echtzeit auf einem Tablet angesehen werden. Die sollen aber angeblich nicht den Spielverlauf beeinflussen, sondern man könnte zum Beispiel in Zukunft den Zuschauern noch etwas extra bieten, in dem man zum Beispiel Angaben über die Sprunghöhe im Basketball geben und so weiter. Noch viel wichtiger sind die aber natürlich für die eingehende Analyse nach dem Spiel.
Kloiber: Einige dieser Daten sind mittlerweile auch öffentlich zugänglich oder sie werden Wissenschaftlern an Universitäten zur Verfügung gestellt. Was die damit anstellen können, haben wir uns einmal genau angesehen.
Ein Mann startet seinen Fitnesstracker, auf dem Display ist das Wort "Go" zu sehen.
Ein Fitnesstracker zählt jeden Schritt und rät mitunter, wann eine Pause sinnvoll ist. (Westend61/Imago)
Kuno Hottenrott fährt mit dem Finger über den Bildschirm seines Computers. Geöffnet hat er das Leistungsprofil eines seiner Athleten.
"Ich sehe, wie viel ist er an dem Tag gegangen, wie viel hat er gestanden, gesessen und noch gelegen. Und wie viel ist Aktivität. Und habe dann auch einen guten Überblick, was der Sportler für einen zusätzlichen Stress hat, Aktivitäten hat."
Totale Überwachung. Das verlange den Sportlern viel Vertrauen ab, meint Kuno Hottenrott. Er beschäftigt sich beruflich mit der Leistungsdiagnostik. Der Sportwissenschaftler ist unter anderem als Dozent an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg tätig. Dort hat er 2005 auch das "Institut für Leistungsdiagnostik und Gesundheitsförderung e.V." gegründet. Zusätzlich zu den Daten von Leistungssportlern analysiert er dauerhaft die Trainingsdaten von zwölf Hobbysportlern. Die bekommen Beratung und Hottenrott dafür Daten zu Forschungszwecken. Seit gut 30 Jahren beschäftigt er sich mit der Analyse von Sportlern, hat jede Entwicklung genau verfolgt.
"Die meisten Systeme die heute auf dem Markt sind, sind so simpel gestrickt, dass sie die Komplexität überhaupt nicht erfassen. Das ist ernüchternd, muss ich sagen. Viele, die nicht so viele Kenntnisse haben, orientieren sich vielleicht an solchen Programmen und kriegen da nicht immer die richtige Empfehlung und das richtige Feedback."
Professionelle Analyse-Tools
Deshalb testet Hottenrott auch jedes neue Produkt, das auf den Markt kommt. Gerade wenn es um Gesundheits‐Apps, digitale Schrittzähler und Sportuhren geht. Zusätzlich behält er auch professionelle Analyse-Tools im Blick, um Vereine beraten zu können.
"Also ich denke von der wissenschaftlichen Seite können wir denen Vieles bieten, aber oft scheitert es daran, dieses Wissen an Trainer, an Coaches und manchmal auch an Sportler zu transferieren, dass es in die Praxis umgesetzt wird."
An dieser Übersetzung arbeitet auch Daniel Memmert von der Sporthochschule Köln. Sein Spezialgebiet: Fußball. Er analysiert anhand von Videoaufnahmen Spielverläufe. Jede einzelne Szene bekommt dabei ein Oberthema zugeteilt. Bei erfahrenen Leuten dauert das gerne Mal sechs bis acht Stunden. Die Abläufe werden dann in Daten übersetzt. Die werden von den Trainern und Coaches interpretiert. Da sind sich aber nicht immer alle einig.
"Wenn Sie zehn Trainer an einen Tisch setzen und die sollten aufschreiben, wie sie das definieren, einen gewonnen Zweikampf, einen verlorenen Zweikampf, das ist gar nicht so einfach. Das sehen sie ja, dass es immer Entscheidungen gibt, mit denen nicht alle einverstanden sind."
Algorithmen sind zuverlässiger
Ein Problem, an dem Sportinformatiker auf der ganzen Welt zu knabbern haben. Dennoch seien solche Analysen mit Hilfe von Algorithmen sehr viel zuverlässiger bei der Nachbesprechung eines Spiels als nur der Eindruck des Trainers, meint Joachim Gudmundsson, Computerwissenschaftler von der Universität Sydney. Er hat sich auf die Analyse von Football-Spielen spezialisiert.
"Wenn man einen Trainer nach einem Spiel nach den entscheidenden Ereignissen fragt, dann liegt zu 40 Prozent daneben. Das System bezieht aber Emotionen nicht mit ein. Ich meine, der Grund warum ein Trainer sagt ‘Da lief was schief’ ist emotional geladen."
Die Daten lügen nicht. Ein Spieler kann Fehltritte nicht mehr verstecken, weiß auch Tobias Schreck. Der Informatiker von der technischen Uni Graz hat zusammen mit Kollegen der Universität Konstanz ebenfalls ein Videoanalyse-Tool für Fußball entwickelt. Das funktioniert allerdings vollautomatisch, in wenigen Sekunden. Und bietet noch ein Extra:
"Man kann eine Suchanfrage starten, wo man einfach zwei Bereiche auf dem Spielfeld markiert und der Computer filtert dann nur die Bewegungsmuster, die Spielzüge, die dann durch diese Bereiche gelaufen sind."
Schnell lässt sich damit erkennen, wer einen Spielzug verpatzt hat. Doch nicht nur Nachbesprechungen sind für Trainer wichtig. Dank der Überwachung mit Sensoren, die Echtzeitdaten liefern, können Spielzüge in einigen Fällen auch schon vorausgesagt werden - zumindest für wenige Sekunden.
Schiedsrichter Bastian Dankert beim Monitor für den Videobeweis.
Strittige Entscheidungen in der Bundesliga werden bereits jetzt schon oft per Videobeweis gefällt (imago sportfotodienst)
Kloiber: Also, selbst Prognosen, wie das Spiel wohl weitergehen wird, lassen sich mit den Daten der Spieler feststellen oder erstellen. Carina, woran scheitern die Algorithmen denn noch?
Fron: Genau, wir haben es gerade gehört, für ein paar Sekunden kann man das Spiel vielleicht noch voraussagen, aber nicht den Spielausgang. Das wäre natürlich der Traum aller Trainer, doch da kommen den Analysten schlichtweg die Menschen in die Quere. Denn gute Spieler können sich nun einmal schnell auf Situationen einstellen und handeln oftmals auch unvorhergesehen. Darauf sind die Analyse-Tools aber nicht vorbereitet. Außerdem fehlt den Algorithmen das taktische Denken, dass die Coaches haben. Zudem stellen sich die Vereine hier oft selbst ein Bein. Denn sie halten die Daten ihrer Spieler unter Verschluss, klar niemand möchte gerne die Schwächen der eigenen Mannschaft offenlegen. Aber dadurch ist es für die Wissenschaftler nicht immer ganz einfach, an Daten zu kommen, vor allem können dann Leute an Universitäten und Hochschulen keine neue Tools entwickeln.
Kloiber: Die Fehler-Analyse ist eine Sache. Welchen Einfluss haben diese Tools denn noch auf den Sport?
Fron: Die Forscher zeigen sich alle optimistisch und sprechen davon, dass die Digitalisierung den Sport nur bereichern kann. Immerhin können die, ob jetzt beim Laien oder Profisport oder beim Einzel- oder Mannschaftssport helfen, das Training und auch die Spielabläufe zu verfeinern. Gerade im Hobby-Sport macht es vielleicht nicht mehr so viel Spaß, wenn man ständig nur noch eine Zahl im Kopf hat und gar nicht mehr so richtig den Sport genießen kann. Zudem geben Daten einem auch nicht immer die besten Ratschläge. Der Trainer oder der Sportler selbst wissen besser, wie der Körper reagiert. Im Profis-Sport kann es auch eine Frage der Fairness sein. Immerhin kosten solche Analyse-Tools schon ein bisschen mehr und das kann sich nicht jeder Verein leisten. Auch die Sportler selbst müssen sich an diese neue Weltordnung gewöhnen. Denn Fehltritte und Schwächen werden sichtbar, die kann man nicht mehr verstecken, und das hat natürlich auch einen Einfluss, wenn es um so etwas wie Vertragsverhandlungen geht. Tendenziell wird das mit den Analysen auch nicht weniger. Die Forscher und die Industrie bekommt immer mehr zu tun. Allerdings gibt es noch keine Studie dazu, welche Folgen diese Datenanalysen für den Sport haben, zumindest meines Wissens nach.