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Dinosaurier der Hochkultur

Der deutsche Literatur-, Theater- und insbesondere Musikkritiker Joachim Kaiser wird am18. Dezember 80 Jahre alt. Er zählt seit vielen Jahrzehnten zu den einflussreichsten Kulturkritikern Deutschlands. Anfang der Fünfziger fing er beim Hessischen Rundfunk an, stieß 1953 zur literarischen "Gruppe 47" und prägte als leitender Redakteur seit 1959 das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. In zahlreichen Büchern hat er sich etwa mit Mozart, Wagner oder Beethoven befasst. Seine Autobiografie "Ich bin der letzte Mohikaner" entstand in Zusammenarbeit mit seiner Tochter und will keine normale Autobiografie sein, sondern ähnelt mehr einem Werkstattbericht aus dem Labor des Joachim Kaiser.

Von Michael Köhler | 17.12.2008
    " Meine Mutter hat mir mit zehn Jahren den "Tasso" vorgelesen und die "Iphigenie", und ich hab's nicht verstanden. Jungchen, sagte sie, du hast in Musiksachen so einen guten Geschmack und dann liest du nur diese Heftchen und Krimis. "

    Joachim Kaiser fing nicht mit "Hänsel und Gretel", mit der "Schatzinsel" oder "Gullivers Reisen", sondern sofort mit Bach und Brahms, mit Beethoven und Chopin an. Das Entsetzen der Mutter blieb unbegründet. Später wurde er einer der wichtigsten Feuilletonisten der Bundesrepublik. trotz Heftchen und Krimis in der Kindheit.

    Das Buch "Ich bin der letzte Mohikaner" ist keine Biografie im herkömmlichen Sinn. Sie beginnt nicht an der Wege und endet an der Bahre, sie schreitet nicht Stationen des Lebens und Arbeitens auf, sondern ist eine Art Werkstattbericht, ein Blick ins Labor des Joachim Kaiser. Nicht durchs Mikroskop, sondern durch das Auge der Kamera hat seine Tochter geblickt. Die 47-jährige Filmemacherin Henriette Kaiser hat das Buch zu einer Art Nachspann einer Filmdokumentation über ihren Vater ausgeweitet.

    " Meine Tochter wollte eigentlich, den Titel wählen: "Ich, die Schreib-Maschine". "

    Henriette Kaiser nennt ihren Vater einen "Dinosaurier der Hochkultur", er nennt sich den "letzten Mohikaner", den Vertreter eines seltenen Stammes, Mitglied der deutschen Hochkultur, aber nicht in der verbissenen, sondern der humorvollen Variante.

    " Ich sage, ich hab bestimmt 'ne Masse Fehler, aber säuerlich, komme ich mir gewiss nicht vor. "

    Gelegentlich kommt es indes beim Lesen zu sonderbaren Hochnäsigkeiten.

    Als Kind ging er nicht in die Hitler-Jugend der Nazis, weil er was gegen das "Stramm Stehen" hatte und man dort kein Klavier spielen konnte. Die Nazis waren ihm gewissermaßen zu amusisch. Nach dem Krieg war die Sache klar.

    " Ich bin in einem Jahr vierhundert Mal im Theater oder Konzert gewesen. Und wissen sie, was sie da für einen Schatz in sich sammeln, wenn sie mit 17 Jahren Gründgens sehen, "Die Fliegen" von Sartre? Das hatte es vorher alles nicht gegeben. Da tauchte ich ein, da wurde mir klar, das ist meine Welt! "

    Joachim Kaiser ist unter den Edelfedern im deutschen Feuilleton vielleicht der vornehmste und kenntnisreichste Liebhaber, wenn es um Literatur und Musik, Theater und Oper geht. Überdies ist er inzwischen selber ein Stück deutscher Literatur- und Kulturgeschichte.

    " Ich war in der Gruppe 47 ziemlich bekannt geworden. Ich gehörte da zu den fünf Starkritikern, das war der Reich- Ranicki, der Hans Mayer, der Walter Höllerer, der Walter Jens und meine Wenigkeit. Dadurch war ich relativ bekannt geworden für deutsche Intellektuelle... dann holte man mich hierher als jemand der über Theater schreibt, was von Literatur versteht und Germanist ist. "

    Das Buch "Ich bin der letzte Mohikaner" ist eine Komposition aus drei Sätzen, eine Art biographische Sonate. Sie besteht aus teils Fragen, Kommentaren und Beobachtungen der Tochter Henriette. Sie besteht weiterhin aus alten Kritiken Joachim Kaisers über Literatur und Musik, über ästhetische Fragen insgesamt und sie besteht aus einflussreichen Erinnerungen an Pianisten, Dirigenten, Philosophen und Schriftstellern, denen Joachim Kaiser in über fünfzig Jahren begegnet ist. Wer Anekdoten über Theodor W. Adorno oder Leonard Bernstein liebt, kommt auf seine Kosten. Streckenweise ist das Buch damit aber genau das, was es zu vermeiden angetreten war. Es ist kokett, eitel und auch ein bisschen selbst historisierend.

    " Nun sind Kritiker, das ist eine déformation professionnelle, die sind einfach eitel! "

    Es bleibt nicht aus, dass der zuweilen hohe Ton manchen Leser anstrengt, ja quält. Obwohl nie eine fremdwortreiche Sprache gewählt wird, zeigt Joachim Kaiser zugleich: Das Schöne und die Künste sind nicht billig zu haben ist. Durch eine große Sinfonie, Oper oder einen großen Roman stiefelt man nicht wie durch grünes Gras. Das kann lebenslange Beschäftigung bedeuten, mit Thomas Mann, mit Richard Wagner, Franz Schubert, Frederic Chopin, Ludwig van Beethoven und anderen.
    Joachim Kaiser liebt aber die Künste nicht nur, er praktiziert sie auch.

    " Ja ich spiele im Allgemeinen jeden Tag aus dem "Wohltemperierten Klavier" ein Präludium und eine Fuge, das ist doch das A und das O, das ist das Schwarzbrot der Musik. "

    Und dann gibt es so kleine gemeißelte Sätze, die nach dem Lesen in Erinnerung bleiben, etwa, "unschön sind miserable Proportionen" oder "nur Zensuren vergeben, finde ich amusisch" oder "Alles Misslingen hat seine Gründe, alles Gelingen sein Geheimnis". Das klingt nach Goethe oder Schopenhauer, ist aber von Joachim Kaiser. Er weiß eben Effekte zu setzen, dieser letzte Mohikaner. Dazu zählt auch eine gewisse Rücksichtslosigkeit.

    " Also ich bin als junger und als tätiger Kritiker so viel rumgekommen, dass meine Kinder oft sagten, der Papa ist entweder nicht da, oder wenn er da ist, sitzt er an der Maschine und ist unansprechbar. "

    Manchmal muss man den Menschen Kaiser hinter der "Schreib-Maschine" ein wenig suchen, ihre Schwächen und Stärken, man sucht den liebenden Vater oder Ehemann. Der verschwindet leicht hinter einer norddeutsch -protestantischen, ostpreußischen Disziplin. Joachim Kaiser wurde 1928 als Kind eines Arztes und einer Pastorentochter in Milken, Masuren geboren.
    " Verstehen sie, wir hatten damals ein Kindermädchen. Mir hat immer ein Kindermädchen die Schuhe zugemacht. Heute weiß man gar nicht mehr, was ein Kindermädchen ist. "

    Wem das alles nicht zu eitel ist, nicht zu hochtrabend ist, wird die Anstrengung des Lesens genießen, blickt in die Musik- und Literaturgeschichte der letzten Jahrhunderthälfte. Der Leser lernt einen großen Kenner, Liebhaber und Stilisten kennen, einen Giganten des deutschen Feuilletons. Man schaut hinterher von einer gewissen Höhe hinab, wie nach einem beschwerlichen, aber lohnenden Aufstieg. Wie stark dabei der Kopf in den Nacken fällt, und wie hoch die Anhöhe ist, muss jeder für sich entscheiden.

    " Ich glaube, es gibt in dieser Welt und in diesem Leben keine Investition, die sich auch nur annähernd so lohnt wie diese in die großen, edlen, erhabenen Künste. Wenn man da Arbeit rein steckt, dann kriegt man was zurück. "

    Henriette Kaiser, Joachim Kaiser: Ich bin der letzte Mohikaner
    Ullstein Verlag 2008, geb. 352 Seiten, Euro 24,90