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Diplomatie in Helsinki
Wo die Großmächte verhandeln

Effiziente Organisation, zurückhaltende Gastgeber: Finnlands Hauptstadt Helsinki ist beliebt als Bühne für große Auftritte der internationalen Diplomatie. Was im Kalten Krieg als Brücke zwischen Ost und West begann, ist heute noch attraktiv für Großmächte.

Von Jenni Roth | 19.12.2019
US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin schütteln sich bei einem Treffen in Helsinki die Hände
Beliebter Ort der internationalen Diplomatie: US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen in Helsinki (AFP/ Yuri Kadobnov)
Sommer 2018: Das erste offizielle Treffen von Donald Trump und Wladimir Putin. In Helsinki wollen sie über Abrüstung sprechen und über den Syrienkonflikt. Die Stadt ist nicht zufällig oder nur aus pragmatischen Gründen gewählt: Als Bühne für große Auftritte hat Helsinki Tradition, besonders als Vermittlungsort von Ost und West: 1990 trafen sich US-Präsident George Bush senior und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow unter dem Eindruck des Kuwait-Konflikts. 1997 ging es zwischen den Amtsnachfolgern Bill Clinton und Boris Jelzin um eine mögliche Osterweiterung der NATO. Das erste große Treffen fand aber schon Jahrzehnte vorher statt.
Der Historiker Seppo Hentilä steht vor der Finlandia-Halle im Zentrum von Helsinki: ein lang gestreckter, weißer Marmorbau, vom "Nationalarchitekten" Alvar Aalto geplant und gebaut "und war fertig, als diese Konferenz im August 1975 eröffnet wurde."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Das stille Finnland - Die Tugend des Schweigens in Politik und Alltag.
Auf der Rückseite der Halle: Wasser. Die Töölö-Bucht, ein tränenförmiger Ausläufer der Ostsee. Jogger und Radfahrer sind unterwegs.
"Damals waren viele Helsinkier böse, weil die schönen Sandgänge hier im Park asphaltiert wurden. Die Amerikaner hatte das verlangt, weil die mit ihren Jeeps so besser fahren konnten. Diese Gegend: Hinter jedem Busch versteckte sich ein Sicherheitsagent im Park."
Die Finlandia-Kongresshalle in Helsinki |
Die Finlandia-Kongresshalle an der Töölö-Bucht in Helsinki wurde von Architekt Alvar Aalto geplant und gebaut (picture alliance/ Lehtikuva /Ensio Ilmonen)
Die KSZE 1975 war ein Erfolg
Die KSZE, die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, war das Ereignis: Die erste multilaterale Ost-West-Konferenz seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Die sowjetischen Nachbarn drängten darauf, dass Finnland als erster nicht-kommunistischer Staat die DDR anerkannte. Finnland lud zu dieser Entscheidung den übrigen Westen an einen Tisch. Und schaffte es, die USA, Kanada und alle europäischen Länder – außer Albanien – zu dem Gipfeltreffen zu bewegen. Bis dahin hatten die Westmächte sich verweigert – aus Angst, solche Gespräche könnten die deutsche Teilung zementieren. Aber Anfang der 70er-Jahre war die Zeit reif, erläutert Tuomas Forsberg, der das historische Nationalarchiv in Helsinki leitet:

"Finnland wollte eine Brücke zwischen Ost und West bilden: Helsinki war ein Knotenpunkt zwischen Ost und West – nicht nur für Spione: Im Kalten Krieg gab es in Helsinki ein aktives diplomatisches Leben."
Bei der KSZE saßen die Vertreter beider Deutschlands nebeneinander wie Vertreter eines einzigen Staates. Für DDR-Chef Erich Honecker war die Konferenz ein voller Erfolg – ebenso wie für Finnland: Die Anerkennung als neutraler Staat. Die Einigung war ein Tauschgeschäft von West- und Ost-Interessen, bei dem sich alle als Gewinner geben konnten.
Bundeskanzler Helmut Schmidt (von links), DDR-Staatsoberhaupt Erich Honecker, US-Präsident Gerald Ford (USA) und Österreichs Kanzler Bruno Kreisky auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1975 in Helsinki
Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1975 war der Auftakt zu Helsinkis Karriere als internationaler Vermittlungsort (picture-alliance / akg-images)
Präsident Urho Kekkonen galt als König der Saunadiplomatie
In der Folgezeit versuchte die Sowjetunion, ihren Einfluss auf Finnland auszuweiten. Aber sie stieß auf einen harten, zielstrebigen Präsidenten Urho Kekkonen.
"Kekkonen hatte eine starke Persönlichkeit, und die war entscheidend. Er war so wendig: Er konnte sich genauso gut bei einem Ausflug in den Wald mit den Sowjets betrinken wie bei einem Empfang im Westen eine gute Figur machen."
Die Historikerin Anu Heiskanen macht deutlich, dass die Worte "Kekkonen" und "Präsident" in ihrem Land lange gleichbedeutend waren: 25 Jahre regierte Kekkonen Finnland. Und ohne ihn wäre die Vermittlertradition vielleicht gar nicht entstanden, glaubt Heiskanen. Und vielleicht auch nicht, wenn Kekkonen nicht so hitzefest gewesen wäre: Er galt als König der Saunadiplomatie. Regelmäßig saunierte er seine Gesprächspartner in Grund und Boden, erzählt Seppo Pukkila, der frühere Leiter des Saunaclubs in Helsinki, einem beliebten Diplomatentreff:
"Der Russe sagt nein, nein: Der Kekkonen gießt Wasser auf, mehr und mehr, und heizt, die Temperatur war 110, 120. Und der Russe sagt ja, ja, ok, ok. Finnische Kultur und politische Entscheidungen werden in der Sauna gemacht."
1960 traf es Sowjetführer Nikita Chruschtschow, der mit einem "Nein" zum Beitritt Finnlands in die Europäische Freihandelsassoziation nach Helsinki gereist war. Als Kekkonen Chruschtschow im Morgengrauen aus seinem Schwitzkasten entließ, hatte er dessen "Ja".
Der finnische Staatspräsident Urho Kekkonen (Undatierte Aufnahme). 
Der finnische Staatspräsident Urho Kekkonen leitete 25 Jahre lang von 1956 bis 1981 als Staatspräsident die Geschicke seines Landes (Undatierte Aufnahme) (picture-alliance / dpa)
Finnland hat sich seine Vermittlerrolle bewahrt
Finnland schaffte es jedenfalls, sich im Kalten Krieg als neutrales Land zwischen Ost und West die Unabhängigkeit zu bewahren. Der Preis: Ein gewisser Einfluss der Sowjetunion. Der Westen erfand dafür alarmiert den Begriff "Finnlandisierung". Aber Finnland konnte mit dieser Koexistenz seine Demokratie, sein Mehrparteiensystem und eine freie Wirtschaft erhalten.
"Finnland fuhr ja zweigleisig, streckte die Fühler nach Ost und West aus. Notgedrungen auch, als kleines Vermittlerland zwischen Riesen. Man nannte das auch ‚Kekkoslowakei‘. Finnland nutzte das geschickt aus, auch wirtschaftlich: das Ost-Geschäft."

Heute kann von solchen Verhältnissen zu Moskau keine Rede mehr sein: Finnland ist fest in der EU verankert und kooperiert mit der NATO. Bewahrt hat sich das kleine Land aber seine Mittlerrolle, hebt Tuomas Forsberg vom Nationalarchiv hervor:
"Es ist ja schwer, wenn zwei Großmächte sich bei einer dritten Großmacht treffen. Da hat Finnland einen Vorteil. Außerdem versucht der finnische Präsident zum Beispiel bei der Begegnung mit Trump nicht, dagegen zu halten. Er hat ein viel kleineres Ego."
Porträt von Tuomas Forsberg, Leiter des historischen Nationalarchivs in Helsinki
Tuomas Forsberg leitet das historische Nationalarchiv in Helsinki (Deutschlandradio/ Jenni Roth)