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Dirty Harry lässt grüssen

Die Vergeblichkeit des Verbrecherdaseins war immer wieder Thema des Regisseurs Don Siegel, der heute vor 100 Jahren geboren wurde. Seine Western, Thriller und Science-Fictions sind allesamt durchdrungen von einem existenzialistischen Grundgefühl. Bestes Beispiel, seine Filmfigur "Dirty Harry", verkörpert von Clint Eastwood.

Von Katja Nicodemus | 26.10.2012
    "Ja, jetzt überlegst Du, ob da nun sechs Schüsse raus sind oder nur fünf? Wenn ich ehrlich sein soll, hab ich in der Aufregung selbst nicht mitgezählt"

    Clint Eastwood als Inspektor Callahan, genannt "Dirty Harry". Der Vollstrecker, der seelenruhig die letzten Bissen seines Hot Dogs kaut und nebenbei drei Bankräuber erledigt. Und der nicht nur die Verbrecher, sondern auch die eigenen Vorgesetzten als seine Feinde betrachtet. Callahan ist die berühmteste Figur des Regisseurs Don Siegel - und seine umstrittenste.
    Die einen sahen in Eastwoods rücksichtslosem Detective die Verkörperung eines reaktionären Amerika, das Verbrecher nicht wie Menschen, sondern wie Ungeziefer behandelt. Die anderen sahen die Einsamkeit der Figur, ihre Kontaktgestörtheit und ihren Zynismus vielmehr als Kommentar auf einen Menschen, der sich selbst zerstört, indem er andere zerstört.

    "So, nun wissen Sie, warum man mich Dirty Harry nennt. Immer wenn's ne dreckige Arbeit gibt, bin ich dran."

    Die Widersprüchlichkeit und Offenheit der "Dirty Harry"-Figur ist typisch für den Regisseur Don Siegel, der am 26. Oktober 1912 in Chicago geboren wurde. Die Stereotypen des Genrefilms, die ewigen Handlungs- und Rollenmuster benutzte Siegel immer wieder als Gerüst, um den Raum zwischen diesen Fixpunkten umso vielschichtiger aufzufüllen. Etwa in seinem 1956 entstandenen, visionären Science-Fiction-Thriller "Invasion der Körperfresser". Auch hier gibt es den archetypischen amerikanischen Helden, der gegen ein übermächtiges System kämpft: In diesem Fall sind es Außerirdische, die die Bewohner einer Kleinstadt in seelen- und gefühllose Menschenhüllen verwandeln. Der Film ist eine verstörende Parabel auf den Gleichschaltungswahn und die antikommunistische Hexenjagd der McCarthy-Ära. Völlig auf sich allein gestellt, rastet der Held irgendwann aus:

    "Listen to me, please listen, if you don't, if you won't, if you fail to understand, then the same incredible terror that’s menacing me will striken you!"

    Don Siegels Figuren kämpfen immer ums Ganze: Um ihren Job, um ihre Identität, um einen selbstbestimmten Tod. Und vor allem: gegen die Zeit. Genau dies verleiht dem Rhythmus seiner oftmals schnell, aber nie hektisch geschnittenen Filme etwas Drängendes, Zwingendes. In dem Kriegsfilm "Die ins Gras beißen" von 1961 müssen die GIs den Feind 48 Stunden aufhalten, in "Frank Patch, deine Stunden sind gezählt" kämpft Richard Widmark als Marshall gehetzt um sein Amt und seine Würde. "Nur noch 72 Stunden" heißt der deutsche Verleihtitel von "Madigan", in dem Richard Widmark als Polizist drei Tage bleiben, um einen Verdächtigen festzunehmen.
    Und als Lee Marvin, selbst tödlich verwundet, in dem für alle Beteiligten tödlich endenden Thriller "The Killers – Der Tod eines Killers" die um Schonung flehende Angie Dickinson erschießt, dann treffen hier auch zwei wahrhaft fatale Zeitbegriffe aufeinander:

    "Bitte nicht! Ich ... ich ... ich hatte wirklich keine andere Wahl. Ich konnte nicht anders …"
    "Lady, ich hab nicht soviel Zeit."
    "Oh bitte nein! Nicht ... oh." (Schussgeräusch)"

    Von einem Wettlauf gegen die Zeit erzählt auch Don Siegels 1976 gedrehter Spätwestern "The Shootist" – "Der letzte Scharfschütze" mit John Wayne. Wayne spielt einen krebskranken Revolverhelden, der sich bei einer Witwe, gespielt von Lauren Bacall einmietet. Für die sich zart anbahnende Liebesgeschichte lässt ihm die Krankheit keinen Raum mehr. Dafür verschafft ihm sein Ruf die Gelegenheit zu mehreren Showdowns mit alten Feinden. "The Shootist" ist der letzte Auftritt von John Wayne, der kurz danach, wie sein Filmheld, an Krebs starb. Und es ist der humanste Film von Don Siegel, der voller Zuneigung und Zärtlichkeit auf einen Mann blickt, der diesmal nicht kämpft, um zu überleben, sondern um würdevoll zu sterben. Und das, obwohl sich Siegel mit John Wayne während der Dreharbeiten nicht gut verstand. In einem Interview wurde er kurz nach dem Film gefragt, ob er jemals wieder mit Wayne drehen würde.

    "Wenn meine Mutter stürbe, ich verhungerte, kein Geld hätte und Masochist genug wäre, zu ertragen,was man dazu braucht: ja, dann würde ich es wohl. Aber solange ich meinen Verstand habe und fähig wäre, vor ihm davon zu laufen: nein. Ich möchte keinen Film mit ihm machen. Wofür? Das ist es nicht wert."

    Genau wie seine pragmatischen, tatkräftigen, schnell schießenden Helden, fand auch Don Siegel, der 1991 mit 79 Jahren starb, das Leben offenbar zu kurz, um um den heißen Brei herum zu reden.