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"Disgraced" am New Yorker Broadway
Emotionaler Kampf der Worte

Aus einer Dinner-Party wird ein emotionaler Kampf der Worte: Ayad Akhtar spielt in "Disgraced", dem letztjährigen Pulitzerpreis-Drama, gekonnt mit Themen wie Assimilation, Antisemitismus, Islamophobie und Identitätsverlust. Ein hochpolitisches und gleichzeitig persönliches Stück voller Wut und Zorn.

Von Andreas Robertz | 27.10.2014
    Amir Kapoor ist Rechtsanwalt einer angesehenen jüdischen Kanzlei in New York. Er hat eine elegante Wohnung in der teuren Upper East Side und seine Frau Evelyn ist eine erfolgreiche weiße amerikanische Malerin, deren Bilder durch die islamische Kunst des 13. Jahrhunderts beeinflusst sind. Er ist zwar von Hause aus pakistanischer Muslim, hält aber nichts von seiner eigenen Religion. Am Beginn seiner Karriere hat er wie viele seiner Glaubensbrüder vorsorglich seinen Namen geändert und seinen Geschäftspartnern versichert, seine Eltern stammen aus Indien. Als Evelyn und sein Neffe Abe ihn bitten, einen wegen Verdachts auf Unterstützung eines terroristischen Netzwerkes zu Unrecht festgenommen Imam beizustehen, stimmt er widerwillig zu. Ein Artikel in der New York Times erwähnt seine Anwesenheit, seine Loyalität in der Kanzlei wird infrage gestellt und seine sichere Beförderung zum Partner ausgesetzt.
    Religiöse Wurzeln werden verdrängt
    "Disgraced" handelt von einem assimilierten Muslim, der seine religiösen Wurzeln verdrängt hat und nun in einer Welt, die zunehmend den Islam mit potenzieller Bedrohung gleichsetzt, neu mit diesen konfrontiert wird. Autor Ayad Akhtar über sein Stück:
    "Das Stück beginnt damit, dass ein westlicher Künstler ein islamisches Subjekt malt und am Ende sieht das islamische Subjekt dieses Bild. Zwischen diesen beiden Punkten liegt eine Reise, die mit der Politik der Darstellung des muslimischen 'Anderen' zu tun hat, die natürlich eine lange Geschichte hat."
    Ayad Akhtar spielt gekonnt mit Themen wie Assimilation, "racial profiling", Antisemitismus, Islamophobie und Identitätsverlust wie mit Jonglierbällen und wird dabei nie pauschal oder gar vorhersehbar. Im Zentrum seines 90-minütigen Abends steht ein Abendessen mit zwei Paaren: Amir, seine Frau Emily, Amirs Arbeitskollegin, die schwarze Anwältin Jory, und ihr Mann, der jüdische Gallerist Isaac, der großes Interesse an Emilys Bilder hat. Allein diese Zusammenstellung bietet eine wunderbare Sprengkraft und Ayad Akhtar weiß, diese mit immer schärfer werdenden Dialogen langsam auf einen tragischen Höhepunkt zu treiben. Dabei hat die Unterhaltung viele komische und geradezu absurde Momente. Zum Beispiel, wenn Amir versucht, witzig zu sein und den Koran einen einzigen langen Hassbrief an die Menschheit bezeichnet. Oder wenn ausgerechnet Isaac den Islam verteidigt und seine spirituellen Bedeutung hervorhebt.
    Emotionaler Kampf der Worte
    Doch als Amir plötzlich bekennt, ein Teil in ihm hätte einen Hauch von Stolz empfunden, als die Flugzeuge in das World Trade Center einschlugen, wird aus einer harmlosen freundschaftlichen Unterhaltung ein hoch emotionaler Kampf der Worte. Er entpuppt sich dabei als ein vielschichtiger, tragischer Charakter, der durch seine Assimilierung ein wichtiges Stück kultureller und vor allem religiöser Identität verloren hat. Ein ungeheurer Zorn bricht sich seine Bahn. Als er erfährt, dass Isaacs Frau Jory die ihm versprochene Partnerschaft mit der Kanzlei erhalten hat und Isaac eine Affäre mit seiner Frau Evelyn hatte, zerbricht seine Welt. Er verprügelt sie brutal und hat am Ende Arbeit, Ehe und Wohnung verloren. Aus der anfänglichen lustigen Sitcom wird eine Tragödie im wahrsten aristotelischen Sinne. Ayad Akhtar, der selber ein gläubiger Muslim ist, erklärt, wie wichtig der kathartische Effekt für ihn ist:
    "Wenn du das Publikum mit einer Frage zurücklässt, die sie nicht loslassen können, über die sie nachdenken müssen, dann wird eine Bewegung der Bewusstwerdung auf individueller Ebene initiiert, die ich nicht kontrollieren kann, aber die ich Gott übergeben kann. Ich spiele einfach nur meine Rolle in diesem Prozess."
    "Disgraced" ist ein hochpolitisches und gleichzeitig persönliches Stück voller Wut und Zorn, dass sich nicht in Klischees verliert. Dass es letztlich über Individuen und nicht über Religionen spricht, ist eines seiner großen Stärken. Und mit großer Wahrscheinlichkeit führt Ayad Akhtar damit sein Publikum zu genau den hitzigen Diskussionen, deren Zeuge sie gerade im Stück wurden. Standing Ovations für einen mutigen und wichtigen Abend in einem völlig ausverkauften Haus.