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Diskussion bei Chor@Berlin
Deutscher Chorwettbewerb braucht neuen Anstrich

Kein Miteinander der Chöre, gestrichene Preisgelder und kaum Öffentlichkeit: Der Deutsche Chorwettbewerb muss dringend moderner werden. Zu dem Ergebnis sind die Teilnehmer des Roundtables auf dem Berliner Festival Chor@Berlin gekommen. Auch beim Repertoire soll sich was tun.

Von Claus Fischer | 25.02.2019
    Chor und Chorleiter sind zu sehen. Aufgenommen beim Deutschen Chorwettbewerb in Freiburg
    Beim kommenden Deutschen Chorwettbewerb in Freiburg bekommen die Sieger kein Preisgeld (Jan Karow )
    Es besteht Gesprächsbedarf, das spürte man schon in den ersten Minuten. Moritz Puschke vom Deutschen Chorverband und Ralf Sochaczewsky vom Landeschorverband Berlin sammelten zunächst das, was die rund 35 Teilnehmer des Roundtables zur Diskussion bringen wollten. Dabei wurde sehr schnell klar: Den meisten ging es nicht um Chorwettbewerbe im Allgemeinen, sondern allein um den vom Deutschen Musikrat veranstalteten Deutschen Chorwettbewerb, dessen zehnte Ausgabe im Mai vergangenen Jahres in Freiburg im Breisgau stattgefunden hat. So beschränkte man sich bald auf ihn, sagt Moritz Puschke.
    "Na, ich glaub, dass der einfach im Fokus ist, weil den gibt’s seit fast dreißig Jahren, um den ranken sich einfach viele Geschichten und es ist ja sozusagen das Ziel vieler Chöre, über einen Landeswettbewerb beim Deutschen Chorwettbewerb aufs Treppchen zu kommen."
    Gestrichene Preisgelder sorgen für Unmut
    Das war aber nicht der einzige Anlass zur Diskussion. Vielmehr gab es einigen Unmut, der die Gemüter bewegt. Die Leitung des Wettbewerbs hatte nämlich kürzlich bekanntgegeben, dass den Chören mit den besten Ergebnissen diesmal keine Preisgelder ausgezahlt werden können, obwohl das in der Ausschreibung stand. Jürgen Budday, Chorleiter und Vorsitzender des Beirates des Deutschen Chorwettbewerbs erläutert die Hintergründe.
    "Dass eben eine große Diskrepanz war zwischen den ursprünglich gemeldeten Teilnehmerzahlen, die sich nach dem Landeswettbewerb ergeben haben, und dann den tatsächlichen Zahlen der Chöre, die sich dann um mehrere Hundert Teilnehmer erhöht haben. Das hat den ganzen Wettbewerb rund 80.000 Euro mehr gekostet, als es vorher berechnet war."
    So wurden die Preisgelder letztendlich verwendet, um die Übernachtungskosten der angereisten Chormitglieder zu bezahlen.
    "Wir haben ja auch explizit nicht gesagt, wieviel man für den ersten, zweiten, dritten Preis bekommt. Weil wir genau vermeiden wollten, dass man Versprechungen nicht einhalten kann – aber dass es natürlich so krass ist, das ist auch für mich eine Situation, die ich nur schwer akzeptieren kann."
    Einen weiteren Kritikpunkt brachte Fabian Pasewald, Leiter des Studentenchors Jena, ins Gespräch ein.
    "Also die Kategorienfrage."
    Unterschiedliche Qualität der Laienchöre
    Will sagen, dass der Unterschied in puncto Leistung der Chöre innerhalb einer Kategorie zu groß war. Offiziell lässt man zum Deutschen Chorwettbewerb ausschließlich Laienchöre zu, deren Mitglieder – so heißt es im Regularium - nicht mit dem Gesang ihren Lebensunterhalt verdienen. Doch was ist mit Schülern eines Musikgymnasiums, die wesentlich mehr Musikunterricht bekommen als Schüler an Schulen ohne speziellen Musikzweig.
    Und wenn ein Chor aus Studierenden einer Musikhochschule besteht, dann ist es durchaus möglich, dass viele der Mitglieder bereits, obwohl noch immatrikuliert, von ihren wenn auch nicht gesanglichen, so doch musikalischen Aktivitäten leben. Hier besteht definitiv eine Grauzone zwischen Laienchören und semiprofessionellen Ensembles. Das stellt auch Sonja Greiner, Projektmanagerin bei der European Choral Association fest.
    Chöre kamen miteinander nicht ins Gespräch
    Generell kritisiert sie wie etliche andere Gesprächsteilnehmer die Organisation des Deutschen Chorwettbewerbs.
    "Der läuft seit zig Jahren in einem eingelaufenen Muster und heute haben die Leute mal Fragen gestellt: ‚Muss das so sein? Kann man was ändern? Kann man auch was Neues einführen? Kann man sich anpassen?‘"
    Zwei Verbesserungsvorschläge kristallisierten sich im Laufe der Diskussion heraus.
    "Das Eine: mehr Raum und Gelegenheit zur Begegnung mit anderen Chören, die da sind, und das Zweite: eine bessere Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit."
    Das Problem in Freiburg war: Die Chöre reisen an, treten auf, reisen ab. Es gab wenig Möglichkeiten für die Chormitglieder und -Leiter, mit Mitstreitern ins Gespräch zu kommen, geschweige denn Anregungen zur Weiterbildung zu bekommen, Stichwort Workshops. Außerdem wurde die Veranstaltung nicht oder kaum von der Freiburger Bevölkerung wahrgenommen.
    Zu wenig Chormusik der Gegenwart
    Ein weiterer Kritikpunkt beim Rundtischgespräch war, dass zu wenig Chormusik der Gegenwart auf dem Programm stand, dass zum Beispiel kaum Auftragswerke an Chorkomponisten vergeben worden sind. Schließlich gehe es auch darum, die Qualität der bundesweit wichtigsten Veranstaltung ihrer Art zu sichern.
    In diesem Zusammenhang, betonte Moritz Puschke vom Deutschen Chorverband, ist es auch notwendig, "dass es eine Abgrenzung geben muss zu kommerziellen Anbietern, die auch Wettbewerbe ausrichten, die aber zum Teil höchst fragwürdig sind, weil das Reiseunternehmen sind, die dann verlangen von den teilnehmenden Chören, dass sie alle ihre Reisen und ihre Unterkünfte über dieses Reisebüro buchen, und nach außen hin aber als Veranstalter auftreten und Diplome verteilen ohne Ende – also ich glaube, das ist nicht im Sinne dieses runden Tisches und der Chorszene in Deutschland".
    Am Ende des Gesprächs ergab sich also eine umfangreiche Aufgabenliste für die Verantwortlichen beim Deutschen Musikrat in puncto Ausrichtung des Deutschen Chorwettbewerbs. Fazit: Die Veranstaltung muss dringend modernisiert werden.
    "Die Chorszene verändert sich, reagiert auf das, was in Deutschland gerade passiert – und ich glaube, man muss diese vielen Potenziale nutzen, die in der Chorszene drinstecken! Es gibt viele neue Chöre, neue Ensembles, die sich selbst auch als Veranstalter begreifen, die Grenzen überschreiten – und ich glaube, es ist jetzt dran, dass beim DCW darauf eingegangen wird", betont Moritz Puschke.
    Hauptadressat nahm nicht an Gespräch teil
    Leider war der Hauptadressat der Kritikpunkte, der Geschäftsführer des Deutschen Chorwettbewerbs Helmut Schubach nicht beim Gespräch anwesend. Jürgen Budday als Vorsitzender des Beirats hat aber sämtliche Kritikpunkte zur Kenntnis genommen, auch wenn er mit schwäbischer Besorgnis anfragte, wie etwa eine umfangreichere Öffentlichkeitsarbeit bezahlt werden soll. Aber auch er sieht dringenden Reformbedarf.
    "Wir müssen noch einmal den Deutschen Chorwettbewerb einfach neu denken, was wir in Zukunft anders machen können. Aber das ist dann aber auf eine längere Sicht gedacht, das wird sicher erst den übernächsten Deutschen Chorwettbewerb erreichen."
    Das Rundtischgespräch im Rahmen des Festivals chor@berlin brachte also einige wichtige Ergebnisse. Und die Erkenntnis, dass weiterer Gesprächsbedarf besteht. So kündigte Moritz Puschke vom Deutschen Chorverband an, auch im Herbst im Rahmen der Messe "chor.com" in Hannover die Diskussion fortzusetzen. Es wäre zu wünschen, dass dann auch die Geschäftsführung des Deutschen Chorwettbewerbs mit dabei ist.