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Diskussion um Adorno-Preis

Bald soll der Adorno-Preis an die Philosophin Judith Butler verliehen werden. Dagegen haben sich prominente deutsche Juden ausgesprochen, weil Butler beiläufig Sympathien für Hamas und Hisbollah ausdrückte. Eine Israel-Hasserin könne man nicht auszeichnen, meinte der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Von Wolfgang Stenke | 04.09.2012
    Ein "Aufreger", um mal in den Jargon der Sportjournalisten zu verfallen, ist die Vergabe des Theodor-W.-Adorno-Preises der Stadt Frankfurt an die amerikanische Philosophin Judith Butler. Eine Diskursathletin aus der Oberliga der Poststrukturalisten, sehr geübt in sprach- und geschlechtertheoretischen Turnübungen à la Foucault, Derrida und Lacan. Von Berkeley aus interpretiert sie die soziale Welt und ihre Tatsachen als Ergebnis von lauter Sprechakten. "Performativität" heißt das einschlägige Fachwort, mit dessen Hilfe die theoretisierende Lesbe in ihren "Gender-" und "Queer"-Studies so nebenbei den Feminismus auf ganz neue Füße gestellt hat: Auch das biologische Geschlecht ist demnach dem Körper nur als soziale Kategorie "eingeschrieben".

    Ob dem Namensgeber des Preises, einem der Väter der Kritischen Theorie, das alles so recht gewesen wäre, lassen wir mal außen vor – Adorno ist sowieso seit 1969 tot. Aber um die wissenschaftliche Verträglichkeit der Butlerschen Diskurs-Pirouetten dreht der Streit sich auch nur am Rande. Judith Butler, die aus einer jüdischen Familie stammt, soll eine "bekennende Israel-Hasserin" sein. In einer Stellungnahme befand Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Butler deshalb für preisunwürdig. Schließlich sei die Auszeichnung "nach dem großen, von den Nazis als 'Halbjude' in die Emigration gezwungenen Philosophen benannt". Butler aber habe "sich mit Todfeinden des jüdischen Staates verbündet", indem sie "die Hisbollah und die Hamas als legitime soziale Bewegungen und Teile der globalen Linken" einstufe.

    Kramers Blutgrätsche gegen die Philosophin wurde mit Pfiffen bedacht und mit Beifall – je nach Standpunkt. Als erste applaudierten sogenannte "antideutsche Antifaschisten" – im Klartext: Steinzeitkommunisten aus dem Umkreis der Zeitschrift "Jungle World". Logo, denn aus dieser Ecke, die jede Kritik am Gebaren der israelischen Regierung als antisemitisch abbügelt, waren die Vorwürfe gegen Butler denn auch lanciert worden.

    Was Professorin Butler aber genau gesagt hatte über Hisbollah und Hamas, das ging zunächst im allgemeinen Getöse der jeweiligen Fankurven unter. Zum Glück gab es hernach aber so etwas wie einen Videobeweis. Es fand sich im Internet nämlich ein Filmchen, auf das Kramer sich wohl auch bezogen hatte, in dem Sequenzen einer Politveranstaltung an der Universität von Kalifornien im Jahre 2006 zu sehen sind. Dort hatte Butler in der Tat erklärt, sie betrachte die beiden Organisationen Hamas und Hisbollah wegen ihres "Anti-Imperialismus" als "soziale Bewegungen" innerhalb der globalen Linken. Eine eher akademische Deskription und politisch nicht besonders trennscharf – von Unterstützung der Ziele und Methoden von Hisbollah und Hamas durch Butler, die stets Gewaltlosigkeit predigt, kann jedoch keine Rede sein. In einer Stellungnahme, die die "Frankfurter Rundschau" publizierte, ordnete sie sich dem linksliberalen Spektrum zu und räumte ein, sie habe seinerzeit in Berkeley versäumt, sich klar von der gewalttätigen Praxis der Palästinenser zu distanzieren.

    Immerhin reichte der Zweikampf "Kramer gegen Butler", um in der ausklingenden Sommerpause auch die Wiederaufführung eines Klassikers anzustoßen: das Drama aus dem gut abgehangenen Stoff, ob Kritik an der israelischen Politik Ausdruck von Antisemitismus sei oder nicht. Stephan J. Kramer, als Generalsekretär sozusagen von Amts wegen auf plakative Formulierungen abonniert, fügte diesem Remake noch den Everblack vom "jüdischen Selbsthass" hinzu. Was Adorno, den Kramer zu verteidigen meint, von derart groben Argumenten gehalten hätte, das möchten wir lieber nicht wissen. Aber auch hier gilt die erkenntnistheoretische Maxime: Wer als Werkzeug nur den Hammer kennt, der sieht eben überall Nägel.