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Diskussion um Asylpaket II
Landsberg fordert einen Masterplan Integration

Das Asylpaket II solle nun zügig umgesetzt werden, forderte Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund im Deutschlandfunk. Vernachlässigt werde aber derzeit vor allem die Integration der vielen Menschen, die hierbleiben würden - über die reine Unterbringung hinaus. Hier fehle ein Integrationsgesetz auf Landes- und Bundesebene.

Gerd Landsberg im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 25.01.2016
    Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.
    Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Ann-Kathrin Büüsker: Über den Alternativplan von Julia Klöckner habe ich vor dieser Sendung mit Gerd Landsberg gesprochen. Er ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Und ich habe ihn gefragt, ob es an Stelle immer neuer Pläne und Vorschläge nicht sinnvoller wäre, tatsächlich erst einmal das Asylpaket II umzusetzen.
    Gerd Landsberg: In der jetzigen Krisensituation ist es immer sinnvoll, neue Vorschläge zu machen, insbesondere wenn sie eigentlich nicht so ganz neu sind. Was Frau Klöckner A2 nennt, ist ja schon früher auch diskutiert worden. Auch wir als Deutscher Städte- und Gemeindebund haben schon im Oktober beschlossen, dass wir große Erstaufnahmeeinrichtungen des Bundes an der deutschen Außengrenze, aber auch an den EU-Außengrenzen wollen. Auch die Diskussion um die sogenannten Transitzonen war so etwas Ähnliches. So ganz die neue Erfindung ist das eigentlich nicht.
    Büüsker: Das heißt, Ihnen gefallen die Pläne von Frau Klöckner?
    Landsberg: Ich finde, das ist ein Aspekt, aber wie gesagt auch einer. Ich denke, Politik sollte nicht die Illusion haben, wie das in der Diskussion sich ja teilweise darstellt: Es gibt eine Lösung und die machen wir jetzt und dann ist das Problem gelöst. Nein, so wird es nicht funktionieren. Wir brauchen nationale, europäische und internationale Strategien. Und wir merken ja, dass gerade auf europäischer, aber auch auf internationaler Ebene das länger dauert, als es uns lieb ist. Und dann ist es doch durchaus klug zu sagen, was können wir denn noch national tun. Und natürlich wäre das für die Kommunen eine enorme Entlastung - die sind überwiegend an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, teilweise auch darüber -, wenn der Bund große Einrichtungen hätte und man sagen würde, für eine bestimmte Zeit teilen wir euch jetzt niemandem zu. Und die Leute, die keine Bleibeperspektive haben, die werden aus dieser Einrichtung entweder zur Ausreise gebracht oder abgeschoben. Das wäre schon ein Ansatz. Nur man muss ehrlich sein: Der Vollzug eines solchen Projektes setzt enorme Verwaltungskraft voraus. Und die sehe ich im Moment nicht.
    Büüsker: Wenn wir uns die Forderungen im Detail anschauen. Laut dem Plan von Frau Klöckner soll die Aufnahmefähigkeit der Länder und Kommunen entscheidend dafür sein, wie viele Flüchtlinge tatsächlich verteilt werden, und nicht die Zahl der tatsächlich ankommenden Flüchtlinge. Aber sagen dann nicht direkt alle Kommunen, dass sie keinen Platz mehr haben?
    Landsberg: Es funktioniert auch vieles
    Landsberg: Ich glaube, da haben wir schon ein bisschen Staatsbewusstsein. Das würden wir sicherlich nicht sagen. Das wäre auch eine Aufgabe der Länder. Auch jetzt: Es funktioniert ja auch vieles. In den Medien ist immer alles ganz schlecht und es klappt alles nicht. Die Länder halten sich schon an den Königsteiner Schlüssel. Es gibt auch eine Verteilungsquote innerhalb der Länder. Das läuft nicht alles super, aber das funktioniert. Ob das tagesscharf funktionieren könnte, wie Frau Klöckner das formuliert hat, da habe ich allerdings Bedenken. Aber dieses Gefühl, zu sagen, in der Gegend, da gibt es jetzt keine Turnhalle mehr und da gibt es auch keine Wohnungen mehr, jetzt gucken wir mal woanders, ist vielleicht noch Platz, das kann man sich schon vorstellen.
    Büüsker: Aber wir sind ja auch mittendrin im Landtagswahlkampf in drei Bundesländern. Man könnte sich auch vorstellen, dass ein solches Instrument dann vielleicht von der einen oder anderen Kommune missbraucht werden könnte.
    Landsberg: Das kann man nicht ausschließen. Das ist ja immer das Problem. Immer sind in Deutschland irgendwo Wahlen und das treibt natürlich eine politische Diskussion in so einem zentralen Thema voran. Viel besser wäre - Sie haben es ja am Anfang gesagt -, die Große Koalition würde endlich das Asylpaket II verabschieden. Dafür sprechen wir uns auch aus. Wir sagen auch, es ist richtig, Tunesien, Marokko zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Auch wenn Sie da mal zurückdenken: Als es um den Balkan ging, gab es große Widerstände zu sagen, nein, das können doch nicht sichere Herkunftsländer sein. Ich kenne viele Diskussionen, wo gesagt wurde, das bringt gar nichts. Es hat enorm viel gebracht. Im Juni letzten Jahres hatten wir noch fast 50 Prozent Flüchtlinge aus diesen Ländern, jetzt sind es 2,5 Prozent. Das zeigt: Man kann schon was machen, auch wenn es nicht die Wirkung hat, die wir uns alle erhoffen, dass es ganz schnell geht.
    Büüsker: Aber gerade in einem Land wie Tunesien, wo sich gerade die gesellschaftlichen Spannungen wieder in Straßenschlachten entladen, das Land zu einem sicheren Herkunftsland erklären, ist das eine gute Idee?
    Landsberg: Ich weiß, dass es immer Gründe gibt, die auch dagegen sprechen. Richtiger wäre natürlich, Tunesien zu unterstützen mit Wirtschaftshilfe, auch mit Sicherheitsmaßnahmen. Da müssten wir viel mehr tun. Das gilt übrigens auch für die Flüchtlingslager in Jordanien. Da streitet man sich auf EU- und internationaler Ebene, wer wie viel bezahlt. Und das Ergebnis ist, dass der Flüchtlingsstrom nicht ab-, sondern zunimmt. Aber wir werden in der Politik sehr viel pragmatischer werden müssen. Und das gilt auch für die sicheren Herkunftsländer.
    Büüsker: Kommen wir mal zurück auf den Klöckner-Plan. Wenn jetzt die Kommunen befragt werden und dementsprechend die Flüchtlinge verteilt werden nach Aufnahmekapazitäten, wenn jetzt aber alle Kommunen in Deutschland sagen, nein, wir haben keinen Platz mehr, haben wir dann de facto eine Obergrenze?
    Landsberg: Masterplan Integration wird benötigt
    Landsberg: De facto hätten wir dann eine Obergrenze, aber so wird das ja nicht laufen. Es gibt klare Schlüssel in den Ländern. So wie es den Königsteiner Schlüssel gibt, also nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft in den einzelnen Ländern, gibt es innerhalb des Landes natürlich auch einen Schlüssel, wie viele Menschen leben dort, wie ist die Wirtschaftskraft, wie viele kann ich dort unterbringen. Und nicht nur unterbringen. Viel wichtiger ist ja, wie integriere ich die Menschen. Die Frage wird aus meiner Sicht, ehrlich gesagt, viel zu wenig gestellt. Ich würde mich sehr freuen, wenn auf der Bundesebene endlich jemand mal sagen würde, wir machen jetzt mal einen Masterplan Integration für all die Hunderttausenden Menschen, die mit Sicherheit hier bleiben. Wir stellen die Finanzierung sicher, wir schieben nicht eine Milliarde in sozialen Wohnungsbau, sondern mehrere Milliarden. Und wir organisieren das. Da fehlt mir vieles, insbesondere ein Integrationsgesetz auf Bundes- und auf Landesebene.
    Büüsker: Und was müsste da aus Ihrer Sicht drinstehen?
    Landsberg: Da müsste genau drinstehen, wie sieht die Integration langfristig aus, wie finanzieren wir die Schulen und Kindergartenplätze, wie organisieren wir Sprachunterricht, nicht nur Sprachunterricht, auch Werteunterricht. Wir wissen, wir haben jetzt etwa 300.000 Plätze für Sprachunterricht, aber das ist natürlich viel zu wenig. Es müsste mindestens das Doppelte sein. Dann müssen wir über Personalschlüssel sprechen. Wir haben gar nicht so viele Lehrer. Das heißt, wir brauchen Programme, wo Menschen, die jetzt vor der Pensionierung stehen, zum Beispiel ein Lehrer sagt, ich mach ein bisschen länger und engagiere mich da. Das muss man natürlich bezahlen. Also da ist unheimlich viel noch zu machen. Es wird immer sehr viel über Integration geredet, sicherlich auch gutwillig, aber dazu gehört eine feste Planungssicherheit auch für die Kommunen, inhaltlich und finanziell, und das fehlt mir.
    Büüsker: Das heißt aber auch, die ganzen Diskussionen in der Großen Koalition über vermeintliche Obergrenzen, über vermeintliche Grenzschließungen, das bringt uns eigentlich gar nicht richtig weiter, weil es die falschen Diskussionen sind?
    Landsberg: Ich glaube nicht, dass das das zentrale Problem ist. Das ist ja auch interessant. Die Leute, die sich für Obergrenzen aussprechen, die sagen das. Aber denken sie bis ans Ende? Was würde denn passieren? Es würde ein riesiger Stau von Hunderttausenden Personen geben. Es gäbe Konflikte auf dem Balkan. Griechenland wäre völlig überfordert. Möglicherweise würde der Staat sogar zusammenbrechen. Dann haben wir auch noch die Flüchtlinge aus Griechenland. Also, man muss eigentlich überlegen, wie sieht denn der Vollzug einer Lösung aus. Und das spricht immer dafür, dass man eine europäische oder auch internationale Lösung anstrebt, auch wenn die nicht so einfach zu haben ist, wie wir ja gerade schmerzhaft erleben.
    Büüsker: Gerd Landsberg war das, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Mit ihm habe ich über den neuen Plan zur Flüchtlingspolitik von Julia Klöckner gesprochen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.