Freitag, 19. April 2024

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Diskussion um die Nachfolge von Wolfgang Schäuble

Wagener: Wer soll, wer kann, wer darf Wolfgang Schäuble im Amt des Parteivorsitzenden nachfolgen? Mit aller Vorsicht muss diese Frage gestellt werden, denn wie selten zuvor gestaltet sich diese wichtige Personalfrage als offene Angelegenheit. Die ins Spiel gebrachten Kandidaten sammeln seit Tagen ihre Batallione. Da wird mit Blick auf die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen taktiert. Da werden Regionalkonferenzen genutzt, um die Basis zu mobilisieren, und dann ist da auch noch die CSU, die vor allem das konservative Element gewahrt wissen möchte. Schon in diesem frühen Stadium der Kandidaten-Kür lässt die kleinere Schwesterpartei aus dem Süden keinen Zweifel daran, dass ihr eine Vorsitzende Angela Merkel nicht genehm ist, um es vorsichtig zu formulieren. Der hausinterne Machtkampf in der Union ist jedenfalls voll entbrannt. Am Telefon begrüße ich Professor Dagmar Schipanski, Wissenschaftsministerin in Thüringen und Kandidaten gegen Johannes Rau bei der Wahl zum Bundespräsidenten. Schönen guten Morgen! Prof. Schipanski: Guten Morgen.

21.02.2000
    Wagener: Frau Schipanski, in der Hamburger "Zeit" war unlängst zu lesen, dass Sie von einer "neuen Generation glaubwürdiger Politiker" träumen. Von wem träumen Sie denn da?

    Prof. Schipanski: Das Interview in der "Zeit", dass ich von einer glaubwürdigen Generation von Politikern träume, bezog sich darauf, dass ich meine, dass diejenigen jetzt an die Spitzen sich stellen sollen, die neue Ideen und neue Gedanken einbringen können. Andererseits weiß ich, dass es schwierig ist, wenn man jetzt einen Wechsel vornimmt, einen radikalen Bruch zu gestalten. Ich habe in meinem Leben mehrere Brüche hinter mir und weiß, dass es besser ist, man bereitet dort etwas vor.

    Wagener: Angesichts der prekären Lage der CDU höre ich da heraus, dass Sie mehr für die Lösung eines Übergangskandidaten plädieren?

    Prof. Schipanski: Ich plädiere im Moment ehrlicherweise für eine Übergangszeit, in der sich beide Elemente vermischen können, weil ich meine, dass der Schock, den die Mitglieder und den die Bevölkerung im Moment in der Bundesrepublik erlitten haben, durch alle Generationen und ich glaube auch durch alle Lager geht. Eine solche Situation ist nur wieder einzufangen, wenn man ganz behutsam etwas anderes gestaltet.

    Wagener: Frau Schipanski, Sie haben sicherlich auch, wie wir, am Samstag den kleinen Parteitag der hessischen CDU in Wiesbaden verfolgt. Roland Koch wurde mit einem sozialistischen Ergebnis als Landesvorsitzender wiederbestätigt, ein Mann, der seine Fraktion, seine Partei und die hessische Öffentlichkeit ja belogen hat. Koppelt sich die Politik von der öffentlichen Meinung, von gängigen moralischen Standards ab?

    Prof. Schipanski: Ich glaube, sie ist in der Gefahr, das zu tun. Auf der anderen Seite habe ich doch den Eindruck, dass man, obwohl das jetzt in Hessen nicht so aussieht, aber doch sehr intensiv darüber nachdenkt, wie man diese krisenhafte Situation meistern kann. Das was Frau Merkel in der öffentlichen Diskussion geleistet hat, war eine unwahrscheinliche Leistung, denn man merkte ja förmlich, dass sie jeden Tag mit einer neuen Nachricht überrascht wurde. Es sollte jeder einmal an sein persönliches Leben denken. Wenn er jeden Tag irgend etwas Unerfreuliches von seinem Partner hört, dann ist man nicht mehr gefasst und innerlich gefestigt. Man braucht Zeit, um das zu verkraften. Für mich sind manche Reaktionen im Moment einfach so, dass man sich noch nicht tief genug mit allem beschäftigen konnte.

    Wagener: Das klingt ja schon wie ein halbes Plädoyer für Angela Merkel. Ist es nicht genau jetzt die Zeit, um einer ostdeutschen Politikerin sozusagen die Verantwortung zu übertragen, zehn Jahre nach der Einheit?

    Prof. Schipanski: Auf der einen Seite ja. Auf der anderen Seite kommt es mir auf eine geschickte Kombination von Ost und West an, wie auch immer die gestaltet sein mag. Ich habe sehr viel über diesen Einigungsprozess nachgedacht. Das wissen Sie. Die größten Fehler sind gemacht worden am Beginn, als man zu wenig aufeinander gehört hat. Mir liegt daran, dass man sich nach wie vor geschickt miteinander verbindet und sich so verbindet, dass man aufeinander hören muss.

    Wagener: Könnte Frau Merkel das gewährleisten?

    Prof. Schipanski: Sie könnte es in Kombination mit einem westdeutschen Politiker gewährleisten. Die Kombination muss aber vorhanden sein, damit wir aufeinander hören. Ich habe oftmals gemerkt, was ich in den alten Bundesländern versucht habe zu erläutern ist anfangs auf Unverständnis gestoßen, aber nachdem ich sehr lange in den alten Bundesländern dann auch gelebt habe und Beispiele aus der Geschichte der alten Bundesrepublik bringen konnte, die man miteinander vergleichen konnte, da war der Kontakt wieder hergestellt. Deshalb meine ich, dass in einer solch schwierigen Situation wie jetzt, wo ja insbesondere auch in den Altbundesländern Glaubwürdigkeit erschüttert worden ist, was man dort nie gekannt hat und auch nie geglaubt hat - das sagen mir jedenfalls die Gespräche, die ich bis jetzt geführt habe -, es auch wichtig ist, dass man ständig jemanden zur Seite hat, der einem dieses Empfinden und diese Erfahrung mitteilen kann. Umgekehrt können wir aus dem Osten unbefangener an die neue Zeit herangehen. Wir sind unbefangener im Umgestalten, weil wir eben einmal alles von Anfang an wieder neu versucht haben, alles neu zu machen.

    Wagener: Warum sind die Stimmen aus den Ost-CDU-Landesverbänden so zaghaft nur zu vernehmen? Die lautesten sind eigentlich gelernte Westpolitiker.

    Prof. Schipanski: Ja, das ist eigentlich unser Problem.

    Wagener: Immer noch in Ehrfurcht erstarrt?

    Prof. Schipanski: Nicht in Ehrfurcht erstarrt, einfach nicht gewohnt, sich zu artikulieren. Zum anderen ruhig, zurückhaltend, nicht in Ehrfurcht erstarrt, in Ehrfurcht eben gar nicht mehr erstarrt, aber noch nicht begriffen zu haben, dass man jetzt seine Stimme sehr laut machen muss. Ich habe den Eindruck, man denkt jetzt darüber nach, und es wird relativ schnell kommen, dass wir uns auch zu Wort melden. Ich hoffe es. Sie haben es ja auch bemerkt, als ich für das Amt der Bundespräsidentin kandidierte, dass ich immer wieder aufgerufen habe: redet bitte miteinander, macht euere Stimme lauter. Ich sage meinen Landsleuten aus den neuen Bundesländern immer wieder: nicht meckern, laut sagen, sich laut in der Öffentlichkeit zeigen. Das ist schwer. Das können Sie mir glauben. Wenn sie immer im ruhigen waren, sie sozusagen nicht redet durften. Wenn sie geredet haben, haben sie eine vorgefasste Meinung laut getan. Dann dauert es eine Weile, bis man sich an die anderen Kommunikationsformen gewöhnt hat. Wir haben uns allmählich teilweise daran gewöhnt. Es ist aber noch nicht überall verinnerlicht.

    Wagener: Die Popularität von Angela Merkel der letzten Wochen ist unbestritten, aber die CSU macht sehr deutlich jetzt schon klar, dass sie eine Parteivorsitzende Merkel nicht akzeptieren könne. Unter anderem taucht das Argument auf, sie sei nicht konservativ genug. Wie konservativ muss denn der neue Chef der CDU sein, damit man sozusagen Ost und West, die verschiedenen Generationen, die verschiedenen Regionen und auch die Geschlechter zusammenbekommt?

    Prof. Schipanski: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Konservativ ist außerdem kein Maß, weil Sie so fragen, wie konservativ muss er sein. - Mir kommt es eigentlich darauf an, dass man miteinander verbindet das bewahrenswerte, das erhaltenswerte. Darüber muss man jetzt diskutieren, denn das war ja ein absoluter Bruch. Wer hat sich jetzt schon Gedanken gemacht, was hat eigentlich dazu geführt, dass es so weit kommen konnte. Das muss meiner Meinung nach ausdiskutiert werden. Für mich ist viel, viel wichtiger, dass man nach vorne schaut, dass man sagt, ich möchte das und das haben. Das ist das, worüber man sich eigentlich im Moment noch am wenigsten Gedanken gemacht hat: wie will ich die neue Partei gestalten, welche neuen Elemente müssen sein, damit sich solche Strukturen nicht wieder bilden können, und was möchte ich programmatisch.

    Wagener: Sie sprechen von den alten Strukturen, die offensichtlich immer noch oder teilweise vorhanden sind. Wie groß ist der Einfluss von Helmut Kohl heute noch auf die Entwicklung der CDU?

    Prof. Schipanski: Ich bin kein Mitglied der CDU. Das kann ich Ihnen nicht sagen.

    Wagener: Glauben Sie, dass das nur Mitglieder beurteilen können?

    Prof. Schipanski: Ich bin nicht im inneren Apparat, um das beurteilen zu können. Das glaube ich schon, dass man das nur an der Basis wirklich beurteilen kann.

    Wagener: Könnte Angela Merkel Kohls nächstes Opfer werden? Immerhin hat er sie politisch groß gemacht und sie hat sich am deutlichsten von ihm abgewandt.

    Prof. Schipanski: Nein. Das wünsche ich mir nicht. Das hat sie nicht verdient. Ich glaube, ich hoffe, wenn so etwas auftreten würde, dass dann wirklich alle laut werden. Frau Merkel hat eine fantastische Arbeit geleistet und sie wird weiter eine sehr gute Arbeit leisten. Ich hoffe, dass sie einmal den ihr gebührenden Platz bekommt. Nur ob ich ihn ihr im Moment raten würde, da habe ich meine Zweifel, weil ich meine, dass diese Umbruchsituation ein Team braucht. Das braucht nur einen. Diese ganze Diskussion, die geführt wird, auch Ihre Fragen zeigen mir, dass Sie auch in alten Strukturen denken. Sie fragen nur nach einer Person, aber ich glaube, so eine schwierige Situation ist nur mit einer Person eben nicht zu beherrschen. Das hat auch das ganze Krisen-Management in der vergangenen Zeit gezeigt. Hier werden mehrere gefragt sein: alt und jung, konservativ und neu. Wenn man sich dann zusammengerauft hat, dann kann man wieder an eine neue Spitze denken. Ich bin wirklich für eine Übergangslösung, weil ich meine, dass der Übergang ganz bewusst, ganz vorsichtig und ganz intensiv von vielen Seiten gestaltet werden muss. Das ist mein Plädoyer für eine solche Situation: nicht nur auf einen konzentrieren. Der wäre überfordert!

    Wagener: Das dürfte die schwerste Aufgabe der CDU sein, die ja historisch gesehen eher hierarchisch strukturiert war und wohl noch ist. - Das war Dagmar Schipanski, Wissenschaftsministerin in Thüringen. Haben Sie recht herzlichen Dank für dieses Gespräch.

    Link: DeutschlandRadio Magazin