Donnerstag, 25. April 2024

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Diskussion um Feinstaubbelastung
"Das hat nichts mehr mit Politik für Millionen von Menschen zu tun"

Die Deutsche Umwelthilfe ist nicht überrascht von falschen Berechnungen einiger Lungenärzte zu den Auswirkungen der Feinstaubbelastung. Seine Organisation habe die Studie schon lange als unseriös bezeichnet, sagte Präsident Jürgen Resch im Dlf. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) warf er Lobbyarbeit für die Autoindustrie vor.

Jürgen Resch im Gespräch Martin Zagatta | 16.02.2019
    Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe
    Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (dpa/picture-alliance/ Jan-Philipp Strobel)
    Martin Zagatta: Für Verkehrsminister Andreas Scheuer ist das ganz schön peinlich: Die Lungenärzte, auf die er sich bei seiner Forderung nach der Überprüfung von Feinstaub und Stickoxidgrenzwerten so freudig berufen hat, die liegen falsch, haben sich jedenfalls gewaltig verrechnet. Bewegung gibt es aber dennoch bei diesen Grenzwerten, denn die EU-Kommission will dem Vorhaben der Großen Koalition von Diesel-Fahrverboten abzusehen, wenn die eigentlich vorgegebenen Werte nur gering überschritten werden, keine Steine in den Weg legen. Die Bundesregierung setzt nun darauf, die meisten Fahrverbote verhindern zu können, Verbote, die die Deutsche Umwelthilfe immer wieder vor Gerichten durchsetzt. Ihr Chef, ihr Geschäftsführer Jürgen Resch, der Schrecken der Dieselfahrer in Deutschland, ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Resch!
    Jürgen Resch: Einen schönen guten Morgen!
    "Es sieht nach einer Verschärfung der Grenzwerte aus"
    Zagatta: Herr Resch, jetzt kann man sich natürlich über den Verkehrsminister Scheuer lustig machen, weil der diesem Appell der Lungenärzte aufgesessen ist, die sich so grandios verrechnet haben, aber das Ganze hat ja ein findiger Kollege der "taz" aufgedeckt, der nachgerechnet hat. War Ihnen das auch nicht aufgefallen? Sie und Ihre Mitarbeiter, Sie beschäftigen sich doch auch tagtäglich mit diesen Werten.
    Resch: Also die Diskussion, dass die Zahlen falsch sind, die gibt es schon länger, aber es ist wirklich ein Verdienst von Malte Kreutzfeldt von der "taz", dass er das jetzt wirklich auf den Punkt gebracht hat. Wir haben das die ganze Zeit als eine unseriöse Herumrechnerei bezeichnet, weil die Zahlen vorne und hinten nicht gepasst haben, aber wir kennen das ja von der Diskussion über das Rauchverbot, dass hier auch die Tabakindustrie mit bestimmten Wissenschaftlern aufgetreten ist, und es waren ja nicht nur Lungenärzte. Zwei der vier Initiatoren kamen aus dem Bereich Autoindustrie, und wenn sich dann ein emeritierter Professor, der noch nie eine wissenschaftliche Untersuchung zu Stickstoffdioxid gemacht hat, die peer-reviewed war, mit Autoleuten zusammentut und eine Unterschriftenaktion startet, dann ist einfach auch zu erwarten, dass das wenig Substanz hat. Tatsächlich die Verbände, die Fachverbände der Lungenärzte in Deutschland, in Europa und die ganzen Wissenschaftler haben sich jetzt zu Wort gemeldet. Das ist das Gute daran. Wir haben jetzt wirklich eine laute Diskussion darüber, dass wir nicht nur die Grenzwerte durchsetzen müssen, sondern dass es eher notwendig ist, sie zu verschärfen. Das hat die EU-Kommission in der letzten Woche auch angekündigt. Bei der nächsten Überprüfung sieht das nach einer Verschärfung dieser Grenzwerte aus.
    "Das hat nichts mehr mit Politik für Millionen Menschen zu tun"
    Zagatta: Wie kann denn Verkehrsminister Scheuer so einem Appell aufsitzen? Der hat doch ein Ministerium mit Experten. Wie kann so was passieren aus Ihrer Sicht?
    Resch:Na ja, dieses Ministerium ist eigentlich die ständige Vertretung der Automobilindustrie in der Bundesregierung. Das ist ja kein eigenständiges Ministerium für den Autofahrer, sondern hier wird Lobbyarbeit geleistet für die mächtigste Industrie in Deutschland. Er hat sich natürlich jetzt ganz schön blamiert. Es ist schon interessant, dass die Lungenärzte selber – 3.800 an der Zahl – sich seit Monaten mit 50-seitigen Dossiers, 450 Literaturstellen für das Durchsetzen von Grenzwerten, an bestimmten Stellen sogar für Verschärfungen einsetzen, wenn dann aber in der "Bild"-Zeitung eine kleine Truppe, die dann noch dazu mit angeleitet wird aus der Autoindustrie, dagegen ausspricht, einfach mit einem zweiseitigen Brief, dann wird so getan, als seien dies die Ärzte, und daraus leitet dann ein Bundesverkehrsminister die Forderung ab, man müsse die Grenzwerte aussetzen oder absenken, auf jeden Fall grundsätzlich überprüfen und nicht mehr ernstnehmen. Das hat nichts mehr mit Politik für Millionen von Menschen zu tun, die aktuell gesundheitlich unter den Folgen dieser Diesel-Abgase leiden. Das sind Kinder, das sind chronisch Lungenkranke, das sind Asthmatiker vor allen Dingen, die bei den jetzigen Belastungen schon Schwierigkeiten haben, krank werden oder vorzeitige Todesfälle zu verzeichnen haben.
    "Einhaltung der Grenzwerte schnellstmöglich"
    Zagatta: Aber Herr Resch, die Dieselwerte, auf die sich Scheuer so berufen hat, dass die so falsch sind, das ändert ja jetzt nichts daran, dass mit diesen Grenzwerten nun kulanter umgegangen werden soll. Also die EU hat signalisiert, dass sie nichts dagegen hat, wenn die Große Koalition wie vorgesehen Dieselverbote, Fahrverbote aussetzen will, wenn die Grenzwerte nur geringfügig überschritten werden. Sind damit Fahrverbote in vielen Städten vom Tisch?
    Resch: Herr Zagatta, da muss ich Sie leider korrigieren. Die EU-Kommission hat vor drei Tagen per Pressemitteilung sogar der Bundesregierung erst mal widersprochen und gesagt, es bleibt bei dem Grenzwert 40, und der muss eingehalten werden.
    Zagatta: Das ist klar, aber da ist ja doch die Verhältnismäßigkeit hingewiesen, was die Bundesregierung ja, wenn ich das recht verstanden habe, umsetzen will, also wenn der Grenzwert irgendwo zwischen 40 und 50 liegt, und man entsprechende andere Anstrengungen noch macht, dann kann da von Fahrverboten abgesehen werden. Ist das richtig so, ja?
    Resch: Natürlich, und wir klagen jetzt aktuell in 35 oder zu 35 Städten, und es wird ja gerne der Eindruck erweckt, als würden wir auf Diesel-Fahrverbote klagen. Das tun wir nirgendwo. Wir klagen auf Einhaltung der Grenzwerte schnellstmöglich, also binnen weniger Monate. Mit welchen Maßnahmen, das ist völlig gleichgültig. Schon das Bundesverwaltungsgericht hat im letzten Jahr gesagt, dass bevor man zum Diesel-Fahrverbot greift, alle anderen Maßnahmen, die denkbar sind, ergriffen werden müssen. Deswegen, wir kämpfen vor Gericht 80 Prozent, 90 Prozent der Zeit um die vielen Maßnahmen der Verkehrswende, um Stärkung von Bus, Bahn, Straßenbahn, Fahrradverkehre und Zurückdrängung von zu vielen Autos. Man kann sich in Zürich anschauen, wie so etwas funktioniert, wie eine Verkehrswende in einer Stadt eine lebenswerte Stadt erzeugt. Deswegen auch in Wiesbaden, wo wir vor drei Tagen die Klage als erledigt erklären konnten…
    Nachrüstung in zwei bis vier Stunden Werkstattaufenthalt
    Zagatta: Zum ersten Mal, da haben Sie zum ersten Mal. ja.
    Resch: Zum ersten Mal, und wir haben das auch als Blaupause für viele Städte mit geringeren Belastungen bezeichnet. Die haben es tatsächlich hinbekommen, mit ganz vielen weiteren Maßnahmen. Die Fahrverbote, die noch vor zwei Monaten notwendig waren, da hat uns das Gericht im Dezember noch recht gegeben, Fahrverbote müssen kommen. Dann hat das Land Folgendes gemacht: Ganz viele neue Busspuren, alles, was an Fahrzeugen noch nachrüstbar ist, bis hin zu den Müllfahrzeugen wird nachgerüstet, man macht eine Parkraumbewirtschaftung, 365-Euro-Tickets und vieles andere mehr, und konnte nachweisen, dass man im Jahr 2020 auf den Wert kommt. Also die Städte, die dies so schaffen, da freue ich mich für jede einzelne, wenn sie um Fahrverbote herumkommt, aber was nicht geht, ist, zu sagen, wenn jetzt eine Stadt, sagen wir mal, von 48 kommt und sich ein bisschen anstrengt, bei 45 landet, jetzt muss sie nicht mehr machen. Nein, wenn alle anderen Maßnahmen nicht ausreichen, müssen als Ultimo Ratio leider dann für eine kurze Zeit die Autos ausgesperrt werden, die noch zu schmutzig sind, aber die sind nach zwei bis vier Stunden Werkstattaufenthalt ja dann wieder in der Lage, Stadtein zu fahren.
    Musterbeispiel Wiesbaden
    Zagatta: Herr Resch, Sie sprechen von einer kurzen Zeit, Sie haben Blaupause gesagt. Diese jetzt etwas kulantere Auslegung der Werte, also dass man da auf die Verhältnismäßigkeit schaut bei Fahrverboten, da lese ich jetzt schon, dass Experten sagen, jetzt drohen nur noch in 15 deutschen Städten Fahrverbote, wenn man das anwendet, und die Union spricht schon von einer Wende da bei den Fahrverboten. Ist da was dran?
    Resch: Also wir brauchen im Moment oder wir rechnen im Moment mit ungefähr 65 Städten, die Schwierigkeiten haben, aktuell mit der Einhaltung von 40 Mikrogramm Grenzwert. Wenn sich alle Städte so anstrengen wie Wiesbaden, dann sehe ich durchaus eine Möglichkeit, dass man vielleicht bei der Hälfte der Städte auf Fahrverbote verzichten kann, aber dazu müssen wirklich dann Maßnahmen wie in Wiesbaden ergriffen werden, um das Auto aus der Stadt stärker hinauszudrängen. Die vermisse ich jetzt leider in den meisten deutschen Städten, und deswegen auch dort, wo wir unter 50 Mikrogramm haben, auch in Mainz und anderen Städten, gab es Verurteilungen von den Gerichten. Auch der Richter in Wiesbaden hat zu Beginn der Verhandlung noch mal drauf hingewiesen, dass es dabei bleibt, die 40 müssen eingehalten werden, und wenn man dadrüber liegt, also deutlich drüberliegt, dann wird es um Fahrverbote auch mit gehen. Also alle Maßnahmen, die geeignet sind, müssen ergriffen werden.
    Zonale Fahrverbote für mehr saubere Fahrzeuge
    Zagatta: Aber wenn Sie sagen, dass jetzt schon die Hälfte der da beklagten Städte oder Städte, denen Fahrverbote drohen, da die Chance hat, daran vorbeizukommen, dann ist das ja auch schon was. Ich wollte Sie fragen, da wo Sie die Fahrverbote durchgesetzt haben, sind Sie denn damit zufrieden? Also Hamburg zum Beispiel, da beschränkt sich das auf wenige Straßen. Die Dieselfahrer, die weichen dann aus, nehmen andere Wege. Was soll das bringen? Da wird die Luft ja auch nicht sauberer.
    Resch: Also Hamburg war nicht unsere Klage. Das ist eine Klage des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Deswegen kann ich zu dem Verfahren wenig sagen. Bei den anderen gibt es aber auch…
    Zagatta: Ich wollte sagen, es ist doch vergleichbar...
    Resch: Ja, ich gebe Ihnen völlig recht. Deswegen, wir kämpfen, sagen wir mal wie in Stuttgart, dafür, dass es möglichst zonale - das haben wir Stuttgart durchgesetzt -, ein zonales Fahrverbot gibt, damit auch wirklich der Druck da ist, die Fahrzeuge sauber zu machen und nicht über eine Nebenstraße zu fahren. Das ist nicht das, was wir anstreben. Aber es wird in der öffentlichen Diskussion viel zu sehr auf das Fahrverbot kapriziert. Was wir erreichen möchten, ist die Verkehrswende.
    Virtuelle Umweltzone, konkrete Maßnahmen
    Zagatta: Das interessiert aber die Dieselfahrer insbesondere, Menschen, die auf ihr Auto angewiesen sind.
    Resch: Das ist klar, ich wollte nur sagen, von den Maßnahmen, sie kriegen natürlich. und wir würden uns riesig freuen, wenn wir in möglichst vielen Städten durch andere Maßnahmen die 40 Mikrogramm hinbekommen. Also uns geht es um die Einhaltung der Werte, und dort wo sie wenig Mikrogramm drüberliegen und sie strengen sich an, kriegen sie es hin. Was wir im Moment feststellen, sind aber Städte, die vielleicht im Jahr 2017 bei 45 lagen und im Jahr 2018 auf 47 schmutziger werden. Also wir haben auch in Kiel einen Anstieg von 56 auf 60 Mikrogramm. Da sind wir ein bisschen ratlos, wie man hier mit anderen Maßnahmen zum Ergebnis kommen möchte. Aber ganz klare Aussage der Deutschen Umwelthilfe: Wir wünschen uns mehr Ergebnisse wie in Wiesbaden, wo sich Stadt und Land ernsthaft drum bemüht mit allen erdenklichen Maßnahmen, die Fahrzeuge oder die Luft sauber zu machen. Hier möchte ich auf einen Punkt hinweisen, der natürlich in Wiesbaden gemacht wurde: Hier hat man de facto die Umweltzone virtuell eingerichtet und sich überlegt als Stadt und Land, welche Fahrzeuge kann ich jetzt für die Umweltzone fit machen, indem ich sie sauber mache. Wenn wir dieses übertragen auf andere Städte und sich dort die Verwaltungen und Regierungen auch überlegen, wie schaffen wir es, dass jetzt die Lieferfahrzeuge, dass die Pkws einfach in die Werkstätten kommen und die betrügerischen, nicht funktionierenden Abgasanlagen auf Kosten der Hersteller repariert werden. Zwei bis vier Stunden dauert so ein Werkstattaufenthalt. Selbst die Bundeskanzlerin sagt ja mittlerweile, dass die Kosten übernommen werden müssen von der Autoindustrie. Nur die möchte natürlich das Geld sich einsparen. Tja, dann haben wir natürlich einfach eine bessere Situation. Also wir brauchen hier ein Engagement der Autoindustrie, und das muss rechtlich durchgesetzt werden.
    Der Versuch von BMW, alte Diesel für sauber zu erklären
    Zagatta: Herr Resch, würde das denn die Probleme für die betroffenen Dieselfahrer lösen? Also sind Sie sicher, dass dann so umgerüstete Wagen nicht demnächst auch für schmutzig erklärt werden? Sie haben es ja selbst angesprochen am Anfang unseres Gespräches, die EU will diese Grenzwerte offenbar noch weiter verschärfen. Also schaffen diese Wagen dann diese neuen Werte auch?
    Resch: Wir haben extra dafür gekämpft gerade in Darmstadt, dass nachgerüstete Fahrzeuge tatsächlich auch einfahren dürfen. Es gab gestern offensichtlich den Versuch von BMW, über bestimmte Politiker den Grenzwert bei der Nachrüstung hochzusetzen, sodass man dann tatsächlich auf Nachrüstungen hätte verzichten können, auf dem Papier alte Diesel hätte sauber erklären können. Das ist Gott sei Dank gestoppt worden, zumindest nach unseren Informationen. Solange die Nachrüstung halbwegs saubere Dieselfahrzeuge erzeugt, gehen Sie mal davon aus, dass wie vor zehn Jahren bei den Umweltzonen solche nachgerüsteten Fahrzeuge dann auch wirklich über viele Jahre einfahren können. Aber in der Tat, es kommt wirklich darauf an, dass die Luftqualitätswerte entsprechend erreicht werden. Es kann theoretisch auch passieren in bestimmten Städten, dass man wie in Madrid sagt, wir müssen insgesamt den Automobilverkehr so stark reduzieren, dass wir die Luft sauber bekommen.
    Zagatta: Heute Morgen im Deutschlandfunk Jürgen Resch, der Chef der Deutschen Umwelthilfe. Herr Resch, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Resch: Gern geschehen! Einen schönen Tag noch!
    Zagatta: Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.