Dienstag, 19. März 2024

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Diskussion um Rentenvorschlag
Scholz will "stärkeres Gewicht auf die gesetzliche Rente"

Für seinen Vorstoß zur Zukunft der Rente muss Finanzminister Olaf Scholz viel Kritik einstecken. Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wirbt dagegen für eine differenzierte Betrachtung. Scholz wolle eine politische Richtungsänderung einleiten, sagte Geyer im Dlf.

Johannes Geyer im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 21.08.2018
    Kleine Figuren auf Münzenstapel
    Wie viel Geld bleibt im Alter? Die Verunsicherung beim Thema Rente ist groß (blickwinkel)
    Sina Fröhndrich: Wieviel Geld bleibt uns im Alter? Diese Frage treibt viele um. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag zumindest bis 2025 festgelegt: Das Rentenniveau soll nicht unter 48 Prozent sinken, orientiert am dann aktuellen Durchschnittsverdienst. Und der Beitragssatz soll nicht über 20 Prozent steigen. Das scheint Konsens. Der Vorstoß von SPD-Finanzminister Olaf Scholz für die Zeit danach dagegen, der erregt die Gemüter.
    Er will das Rentenniveau bis 2040 garantieren. Das sei unfair und unfinanzierbar, lässt sich die "Süddeutsche Zeitung" heute vorrechnen. Drei Billionen Euro würde das kosten. Und Beitragszahler müssten mit 29 Prozent Beitragshöhe rechnen. Darüber habe ich mit Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gesprochen. Frage an ihn, gehört Scholz‘ Vorstoß also direkt in den Papierkorb?
    Johannes Geyer: Ich denke, da muss man differenzieren. Scholz’ Vorschlag ist sicherlich dort angesiedelt, wo man in der Politik eine Richtungsänderung vornimmt und ein stärkeres Gewicht auf die gesetzliche Rentenversicherung legt. Das heißt natürlich auch, dass dort Beitragssätze steigen müssen und Steuermittel steigen müssen.
    Das heißt zugleich, dass allerdings auch die private Absicherung dann entsprechend weniger stark wachsen müsste, und insofern ist das eher eine Frage der Gewichtung dieser Säulen und der SPD-Vorschlag ist, hier ein stärkeres Gewicht auf die gesetzliche Rente zu legen.
    Greyer: Scholz lässt Finanzierung offen
    Fröhndrich: Finden Sie das richtig? Ist es im Prinzip dann doch wiederum ein seriöser Vorschlag oder Vorstoß von Olaf Scholz?
    Geyer: Es ist nicht so einfach, richtig oder falsch in der Frage. Es ist eine politische Entscheidung und damit gehen Verteilungswirkungen einher. Bei Scholz’ Vorschlag, was ich da kritisieren würde, ist: Er erklärt nicht, wie er die Stabilisierung des Renten-Niveaus finanzieren will. Will er dafür nur Beitragsmittel, nur Steuermittel, den gleichen Mix wie heute? Will er Steuerzuschüsse erhöhen? Das gehört dazu, damit man diesen Vorschlag auch ordentlich bewerten kann.
    Fröhndrich: Welche Rolle spielt denn da auch, dass man andere Beitragszahler mit einbezieht und auch vielleicht eine längere Lebensarbeitszeit?
    Geyer: Das sind zwei Möglichkeiten, um den Finanzierungsdruck auf die Rentenversicherung zu lindern. Die längere Lebensarbeitszeit bedeutet im Prinzip eine Verlängerung der Zeit, wo man Beiträge zahlt, und eine Verkürzung der Zeit, wo man Renten empfängt, und das hat unmittelbar entlastende Effekte auf die Rentenversicherung. Da muss man aber auch realistisch gucken: Es gibt Menschen in Jobs, die es einfach nicht schaffen, ihre Lebensarbeitszeit auszudehnen, und die sonst auch kaum Alternativen haben, im höheren Alter ihren Job zu wechseln. Dafür braucht es dann Lösungen.
    Die Möglichkeit, zusätzliche Beitragszahler in das System reinzuholen, die ist interessant, weil die zwei Effekte hätte. Erstens würden bestimmte gesellschaftliche Gruppen, die heute keine Rentenversicherung haben, stärker abgesichert. Und es brächte zusätzliche Mittel ins System rein, die jedenfalls temporär die demographische Alterung etwas lindern würden. Langfristig kriegen die natürlich auch Renten und das ist es sozusagen ein Nullsummenspiel, aber für eine Zeit der Einführung würde das entlastende Effekte haben.
    Erfahrungen mit privater Absicherung "bisher eher schlecht"
    Fröhndrich: Jetzt gewinnt man in der Debatte aber eher den Eindruck, dass das, was Olaf Scholz da jetzt vorgeschlagen hat, eher vom Tisch gewischt wird - auch mit der Berechnung, die wir in der "Süddeutschen Zeitung" heute lesen. Da heißt es, das sei alles auch nicht finanzierbar, weil die Beitragssätze enorm steigen müssten. Dann bliebe uns ja am Ende eigentlich nur die private Vorsorge. Sind wir da gut aufgestellt?
    Geyer: Genau da muss man denken. Wir reden jetzt hier bei dem Scholz-Vorschlag von einem steigenden Beitragssatz in Richtung von 27, 28 Prozent. Wenn man das nicht macht, wenn man das Renten-Niveau nicht stabilisiert, müsste man entsprechend stärker privat vorsorgen. Man kennt das von der Riester-Versicherung.
    Und diese Säule ist privat, da sind die Erfahrungen seit der Einführung der Riester-Rente bisher eher schlecht - vielleicht kann man vorsichtig sagen gemischt. Sie hat es nicht erreicht, die Mehrheit der Bevölkerung zu erreichen. Das ist natürlich ein Problem, weil wir gleichzeitig jetzt einen Teil der Rente privatisiert haben, dass dort jetzt sich eine Lücke auftut, einfach weil das nicht in Anspruch genommen wird.
    Fröhndrich: Welche alternativen Modelle wären denn da denkbar? Welche Hinweise gibt es da vielleicht auch aus dem Ausland, Erfahrungen aus anderen Ländern?
    Geyer: Aktuell diskutiert werden Ideen zu einem staatlichen Standardprodukt. Solche Produkte gibt es beispielsweise in Schweden, ähnliche Modelle auch im Vereinigten Königreich. In Schweden beispielsweise haben Sie ein staatlich administriertes Portfolio. Jeder Bürger muss dort vorsorgen und hat, wenn er nichts tut, ein Standardportfolio. Er kann sich rausoptieren und kann noch andere Fonds wählen, wenn er meint, er kann besser investieren als das Standardprodukt, aber das ist eine sehr kostengünstige und relativ effiziente Variante, am Kapitalmarkt zu investieren.
    Fröhndrich: Aber auch risikoreich?
    Geyer: Risikoreich ist das auch, weil dort gibt es beispielsweise keine Garantien. Das heißt: Wenn der Aktienmarkt auf Dauer wirklich Verluste macht, kann das heißen, dass Sie tatsächlich zum Renteneintritt Geld verloren haben. Das Risiko tragen Sie, aber so ist das eben. Auch die umlagefinanzierte Rente hat ja Risiken, wie wir aktuell sehen mit der Demografie. Und die Idee, das zu mischen, das ist immer die Idee, dass man versucht, diese Risiken ein Stück weit auszugleichen, um dann wenigstens im Durchschnitt eine ganz gute Rente zu bekommen.
    "In den Grundlinien ein sehr stabiles Rentensystem"
    Fröhndrich: Wenn wir uns die Meinungsäußerungen gestern und auch heute anschauen, dann ist jetzt ja zumindest wieder eine Debatte angestoßen worden, die aber nach dem Willen oder Wunsch einiger im Keim doch relativ gleich wieder erstickt werden soll, weil man auch auf die Rentenkommission verweist. Sollte man tatsächlich jetzt erst mal die Kommission debattieren lassen, oder brauchen wir die Debatte parallel dazu doch noch?
    Geyer: Ich bin kein politischer Berater. Ich denke, aktuell ist eine gute Zeit, um diese Fragen zu diskutieren, weil wir gerade jetzt keinen Kostendruck in der Rentenversicherung haben. Wir haben jetzt noch vier, fünf Jahre, wo es relativ stabil und ruhig ist. Ich glaube, es ist realistisch zu sagen, dass die Rente ein Thema ist, was ganz viele gesellschaftliche Gruppen angeht. Verdammt viel Geld wird dort ausgegeben. Deswegen ist es, glaube ich, auch realistisch anzunehmen, dass die Debatte die Arbeit der Rentenkommission begleitet.
    Ob das jetzt schlau ist, dass ausgerechnet ein Minister die Arbeit so relativ unvermittelt quasi vorwegnimmt, da bin ich eher skeptisch, weil ich glaube, man braucht ein bisschen Ruhe. Wir brauchen ein bisschen Zeit, um diese Konzepte durchzudenken. Hier wäre es wahrscheinlich angebracht, wenn man schon Beiträge liefert, dazu auch ein bisschen mehr Inhalt zu präsentieren als bloß die plakative Forderung einer Haltelinie.
    Fröhndrich: Wenn wir jetzt noch mal auf die Beitragszahler schauen: Norbert Blüm hat mal gesagt, die Rente ist sicher. Mein Eindruck im Moment ist: Das einzige was sicher ist, ist die Verunsicherung beim Thema Rente.
    Geyer: Ja, das ist leider so. Das stellen wir immer wieder fest. Jede Schreckensmeldung zur Rente wird geglaubt. Man muss eigentlich sagen: Wenn man so was liest, sollte man erst noch mal zurücktreten, Abstand nehmen und sich noch ein bisschen Zeit nehmen, um sich mit dem Thema zu beschäftigen. Weil weder die Nachricht, dass wir alle in Altersarmut landen 2030, stimmt - noch, dass die Rente absolut unfinanzierbar ist. Beides ist so absolut nicht richtig und wir haben eigentlich in den Grundlinien ein sehr stabiles Rentensystem.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.