Dienstag, 16. April 2024

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Diskussionen um Seehofer und Maaßen
"Die Politik steht in Geiselhaft der bayerischen Wahl"

Der Politikwissenschaftler Jens Hacke kann sich nicht vorstellen, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer und Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen "heil aus dieser Woche herauskommen". Seehofer agiere "fortschreitend irrational", sagte er im Dlf. Maaßens Erklärungen seien nicht überzeugend.

Jens Hacke im Gespräch mit Christiane Kaess | 12.09.2018
    Horst Seehofer, Ministerpräsident Bayern (CSU) und der SPD-Vorsitzende Martin Schulz unterhalten sich nach den Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD nach der Pressekonferenz in der CDU-Parteizentrale. Im Hintergrund Bundeskanzlerin Angela Merkel.
    Merkel könne weiter zusehen, wie Seehofer sich demontiere, meint der Politikwissenschaftler Jens Hacke. (dpa-Bildfunk / Kay Nietfeld)
    Die CSU werde wahrscheinlich große Einbußen bei der Landtagswahl in Bayern hinnehmen müssen. Das werde zu einer Neuaufstellung der Partei führen, sagte Hacke. Davon wäre dann möglicherweise auch Seehofer betroffen.
    Hacke hält das Vorgehen von Seehofer und Maaßen im Fall Chemnitz für eine konzertierte Aktion. Sie hätten beide eindeutig ihre Kompetenzen überschritten. Maaßen sei offenbar auf einer politischen Mission, so Hacke. Das halte er für sehr fragwürdig.
    Der Kanzlerin seien aufgrund der Fraktionsgemeinschaft mit der CSU die Hände gebunden - entlassen könne sie Seehofer nicht. Hacke rechnet damit, dass Merkel darauf warte, dass sich das Problem "von selbst erledige". Der Druck auf den Innenminister sei nicht nur in seiner Partei, sondern auch in der Öffentlichkeit groß.

    Das Interview in ganzer Länge
    Christiane Kaess:!! Im Bundestag wird diese Woche über den neuen Haushalt diskutiert. Der Etat des Kanzleramtes ist dabei traditionell der Anlass für einen Schlagabtausch zwischen Opposition und Regierungsparteien über die Grundlinien der Politik.
    Darüber möchte ich jetzt sprechen mit dem Politikwissenschaftler Jens Hacke. Guten Tag!
    Jens Hacke: Guten Tag, Frau Kaess.
    "Couragierter, fast schon leidenschaftlicher Auftritt"
    Kaess: Herr Hacke, wird denn Angela Merkel das Thema Flüchtlings- und Migrationspolitik in ihrer Amtszeit noch einmal los?
    Hacke: Das ist im Moment natürlich schwer zu sagen. Die Politik scheint, in der Geiselhaft der bayerischen Wahlen zu stehen, und sie muss mit einem Innenminister klarkommen, der offensichtlich fast schon panisch und unter Hochdruck handelt, so dass sie im Moment fast keine Möglichkeit hat, diesem Thema auszuweichen.
    Kaess: Über den Innenminister können wir gleich noch sprechen. Ich wollte Sie noch fragen, ob Sie glauben, dass es für Angela Merkel die richtige Strategie ist, dass sie die Vorwürfe der AfD weitgehend abperlen lässt?
    Hacke: Was soll sie dazu Neues sagen? Ich glaube, sie hat ja heute ein relativ klares Statement abgegeben. Sie hat auch noch mal an die Würde des Menschen erinnert, sie hat an die Toleranz für alle möglichen Minderheiten appelliert. Eine Bundeskanzlerin muss sich nicht so sehr in die Niederungen dieser gegenseitigen Anwürfe begeben. Insofern kann ich diese Strategie schon verstehen. Und für Merkels Verhältnisse war das ja heute ein couragierter, fast schon leidenschaftlicher Auftritt.
    "Das Problem liegt bei Herrn Seehofer und bei Herrn Maaßen"
    Kaess: Es ist auch eines klar geworden: Sie will diesen Streit um die Begriffe aus den letzten Tagen beenden, dass sie auf der einen Seite gesagt hat, diese rechten Übergriffe in Chemnitz, das sind Hetzjagden gewesen, und auf der anderen Seite der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Maaßen dem widersprochen hat. Aber kann das gelingen, wenn Angela Merkel sagt, begriffliche Auseinandersetzungen, ob es jetzt Hetze oder Hetzjagd ist, helfen uns wirklich nicht weiter?
    Hacke: Das entspricht ihrem Stil. Ich meine, das was wir in den letzten Tagen erleben durften und was auch reichlich kommentiert wurde, war eine quasi konzertierte Aktion zwischen dem Präsidenten des Verfassungsschutzes, Herrn Maaßen, und Herrn Seehofer, die eindeutig ihre Kompetenzen überschritten haben. Es ist ja nicht deren Aufgabe, der Kanzlerin zu widersprechen, sondern ihren Job zu machen. Und wenn die Kanzlerin auch nahezu alle anderen Parteien hinter sich weiß, dann muss sie sich damit nicht weiter auseinandersetzen. Das Problem liegt bei Herrn Seehofer und bei Herrn Maaßen im Moment, würde ich sagen.
    "Einen Verfassungsschutzpräsidenten der tut seine Arbeit"
    Kaess: Das glauben Sie tatsächlich, dass das eine konzertierte Aktion war, also auch eine abgesprochene?
    Hacke: Na ja. Man konnte das in der "FAS am Sonntag" so lesen, oder es gab diesen Eindruck. Auf jeden Fall ist es merkwürdig, dass hier gegen die Kanzlerin wieder so gestichelt wurde. Und dass ein Präsident des Verfassungsschutzes auf einer politischen Mission ist, oder sogar sagt, er treffe gewisse Aussagen, um den sächsischen Ministerpräsidenten zu stützen, das halte ich doch für sehr fragwürdig. Einen guten Präsidenten des Verfassungsschutzes, den merkt man in der Öffentlichkeit nicht, der tut seine Arbeit.
    Kaess: Es gibt ja diese These einer Intrige von Seehofer und Maaßen gegen Merkel. Das würden Sie unterstützen, diese These?
    Hacke: Ich habe dafür keine Belege, aber ich halte das nach allem, was man lesen kann, für denkbar. Und wir wissen, dass Horst Seehofer bislang noch vor keinem Mittel zurückgeschreckt hat, um Merkel in die Enge zu treiben. Und mit Blick auf die bayerischen Landtagswahlen kann man dieses Verhalten immer nur als fortschreitend irrational begreifen.
    "Zusehen, wie sich Seehofer demontiert"
    Kaess: Der Streit um die Äußerungen von Maaßen, der geht ja heute weiter. Er muss im Innenausschuss aussagen, Rede und Antwort stehen, und dann auch noch vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium. Und dann wird sich wohl auch irgendwann Innenminister Horst Seehofer positionieren. Sollte Seehofer dabei bleiben, Maaßen den Rücken zu stärken, wie sehr wäre Merkel damit geschwächt?
    Hacke: Na ja. Ich glaube, aufgrund der Konstellation zwischen CDU und CSU und der Fraktionsgemeinschaft kann sie eigentlich nicht das tun, was sie bei jedem anderen CDU-Minister getan hätte. Sie kann ihn nicht entlassen, weil das eine Spaltung oder einen Niedergang der Koalition herbeiführen würde. Aber sie kann weiterhin zusehen, wie sich Seehofer demontiert, und wahrscheinlich setzt sie darauf, dass sich das Problem Seehofer von alleine erledigt, denn die Presse für Seehofer ist nicht sonderlich gut und ich denke auch, dass er in der eigenen Partei an Rückhalt verlieren kann. Wir hören ja wenig unterstützende Stimmen für ihn.
    Kaess: Wenn Sie sagen, Horst Seehofer, das könnte sich alleine erledigen, was meinen Sie genau für ein Szenario?
    Hacke: Na ja. Ich glaube schon, dass die Aufarbeitung der zu erwartenden Einbußen bei den bayerischen Landtagswahlen doch zu einer Neuaufstellung der CSU führen könnte, und da wird Seehofers Anteil ganz bestimmt ganz klar bemessen werden und da wird über ihn debattiert werden.
    "Merkel hat weniger Probleme als Hors Seehofer"
    Kaess: Und dann würde er auch als Bundesinnenminister in Frage stehen beziehungsweise eventuell einfach sehr schnell aus dem Amt abtreten müssen?
    Hacke: Darüber lässt sich spekulieren. Ich meine, er hat ja vor einigen Wochen schon einmal seinen Rücktritt in Aussicht gestellt. Es können sich jetzt Szenarien ereignen, dass diese Rücktrittsfrage sich bald wieder stellt.
    Kaess: Aber mal abgesehen von Horst Seehofer – es ist ja auch so gewesen, dass der Unmut in der CDU selber gegenüber Merkel eine Zeit lang sehr groß war. Wie groß ist er denn noch?
    Hacke: Sicherlich. Wir werden ja jetzt die Wahl zum Fraktionsvorsitzenden haben und Kauder wird einen Gegenkandidaten haben mit Ralph Brinkhaus. Nun kann man gewiss sagen, dass Merkel auch mit innerparteilichem Widerstand immer zu rechnen hatte in den letzten Monaten. Aber auf der anderen Seite ist die Selbstisolation von Seehofer auch wieder ein einigendes Moment. Und man sollte die Kanzlerin nicht unterschätzen. Sie hat bislang selten oder eigentlich nie eine offene Attacke ihren Gegnern gegenüber gesucht. Ich denke schon, dass sie weitaus weniger Probleme hat im Moment als Horst Seehofer.
    "Schwer vorstellbar, dass Seehofer und Maaßen heil herauskommen"
    Kaess: Ihre These wäre, wenn ich Sie richtig verstehe: Wenn Horst Seehofer weg wäre, dann wäre Merkel auch wieder stark und unangefochten?
    Hacke: Stark und unangefochten – ich bin ja kein Hellseher. Das kann ja kein Mensch sagen. Aber ich glaube gewiss, dass der Stil oder dass das Verhältnis zwischen Seehofer und Merkel in den letzten Jahren von einer solchen Kälte und einer solchen Distanz geprägt war, dass alles, was danach kommt, für sie nur günstiger sein könnte.
    Kaess: Es gibt ja auch daneben noch den Konflikt mit dem Koalitionspartner, mit der SPD zum Fall Maaßen, weil man sich in der SPD ganz klar positioniert hat und sagt, man hält Maaßen eigentlich jetzt ungeeignet für das Amt nachdem, was er gesagt hat. Wie wird denn dieser Konflikt ausgehen?
    Hacke: Da werden wir den heutigen Abend abwarten müssen. Da hat Seehofer ja eine Erklärung angekündigt, soweit ich sehe. Das ist eine Belastungsprobe und eigentlich ist es schwer vorstellbar, dass Seehofer und Maaßen heil aus dieser letzten Woche herauskommen. Der Präsident des Verfassungsschutzes muss sich schon einiges überlegen. Er ist ja auch teilweise schon zurückgerudert und das wirkt alles nicht sonderlich überzeugend. Aber ich kann da keine Prognose treffen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.