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Diversity-Managment
Unisex-Klo und Durchstoßen der gläsernen Decke

Die Universität Kassel ist eine der Hochschulen, die das Diversity Audit "Vielfalt gestalten" des Stifterverbandes durchlaufen haben. Die Zertifizierung bescheinigt ihr Konzepte und Maßnahmen, um für Studierende mit unterschiedlicher Herkunft und sozialem Hintergrund mehr Chancengerechtigkeit in der Bildung zu eröffnen.

Von Ludger Fittkau | 22.03.2016
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    Verschiedene Bedürfnisse unterschiedlicher Gruppen sollen auch an der Uni Kassel berücksichtigt werden. (picture alliance / dpa / Robert B. Fishman)
    Anastasios de Mercidis studiert an der Uni Kassel Wirtschaftswissenschaften. Dass der Stifterverband seine Hochschule neben vier weiteren in Deutschland wegen vorbildlichem Diversity-Management zertifiziert hat, hält er für angemessen. Denn wie es das Audit fordere, werde in Kassel auf Studierende mit Migrationshintergrund ebenso geachtet wie auf Studienanfänger aus sogenannten bildungsfernen Schichten oder auf Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, glaubt Anastasios de Mercidis:
    "Ich glaube, die Uni Kassel, wenn man Diversity als Verschiedenheit versteht, den Menschen so zu betrachten, wie er ist, das wird hier an der Uni Kassel vorangetrieben. Auf die Besonderheiten des Einzelnen eingegangen. Das sehen wir auch in der Mensa. Es gibt veganes Essen, vegetarisches Essen, dann noch mal Fit-Essen, oder was auch immer."
    Barrierefreiheit als großes Thema
    Mauro Fest will dieses Lob nicht ganz teilen. Denn er ist Rollstuhlfahrer. Zum Diversity-Management gehört auch die Inklusion von Menschen mit körperlichen Handicaps. Das Kopfsteinpflaster auf dem Campus Holländischer Platz der Uni Kassel sei da suboptimal, so Mauro Fest:
    "Für mich ist das kein Problem, aber wer eine Behinderung mit dem Rücken hat, das ist nicht so gut für den."
    Das Kopfsteinpflaster wird wohl allein aus Kostengründen so schnell nicht verschwinden. Dies deutet Dr. Sylke Ernst an. Die Frauenbeauftragte der Uni Kassel ist auch für das Diversity-Management zuständig. Barrierefreiheit - auch für Kinderwagen - sei allerdings tatsächlich ein großes Thema in diesem Bereich:
    "Von Barrierefreiheit profitieren nicht nur Eltern, sondern auch alte Menschen und behinderte Menschen. Also man muss nicht nur immer auf die Unterschiede gucken, sondern auch schauen, wo sind gemeinsame Bedarfe, wo sind Gemeinsamkeiten."
    Sylke Ernst räumt aber auch ein, dass sich gerade viele Frauenbeauftragte deutscher Hochschulen noch schwertun, das Diversity-Management neben die Gleichstellungsarbeit zu setzen. Dies habe sich vor wenigen Monaten gezeigt, als in Kassel die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen – kurz Bukof – sich erstmals mit dem Diversity-Begriff beschäftigt habe. Sylke Ernst:
    "Das wurde in der Tat sehr kontrovers diskutiert. Natürlich gibt es Befürchtungen, dass damit Energie, Ressourcen auch Zeit auf andere soziale Kategorien verwendet werden. Und das, obwohl die Geschlechterfrage noch nicht gelöst ist."
    Mehr als nur Geschlechterfragen
    Doch das Thema der Geschlechtergerechtigkeit überlagere sich im Hochschulalltag tatsächlich oft mit anderen Themen, argumentiert die Kasseler Frauenbeauftragte. Etwa mit den Integrationsproblemen von Studentinnen mit Migrationshintergrund oder von Absolventen aus Nicht-Akademikerhaushalten.
    Ein besonderes Mentoring-Programm in Kassel soll nun helfen, auch nach dem Studium die gläserne Decke zu durchbrechen, die etwa Migrantinnen von Spitzenjobs in der Wirtschaft noch trennt. Sylke Ernst:
    "Eines unserer Beispielprojekte, das wir hier im Diversity-Audit angesiedelt haben, ist das Mentoring-Programm "Karriere Menoring divers". Und das richtet sich eben genau an Studentinnen und Doktorandinnen mit Migrationshintergrund."
    Die Mentees knüpfen im Rahmen des Programms enge Kontakte in die Wirtschaft. Das soll eben helfen, die gläserne Decke zu durchbrechen.
    Über ein Thema, das aktuell im Komplex Diversity heiß diskutiert wird, hat sich Wirtschaftsstudent Anastasios de Mercidis am Anfang schon gewundert, gibt er zu:
    "Es gab dann diese Uni-Sex-WCs. Das jeder dort hingeht, wo er sich zugehörig fühlt. Kannte ich zum Beispiel überhaupt nicht. Natürlich, kann man sich drüber streiten, finde ich aber nicht falsch."
    Frauenbeauftragte: "Natürlich habe ich auch die Frauen hier in der Beratung, die sagen: Ist ja alles schön und gut, aber die Frauentoiletten müssen erhalten bleiben. Das kann ich gut nachvollziehen. Aber was ich auch nachvollziehen kann, sind die fließenden Grenzen zwischen den Geschlechtern. Das gibt es eben nicht nur männlich und weiblich, da gibt es eben viel dazwischen. Das ist Realität. Da müssen wir uns auch mit auseinandersetzen."
    Langweilig wird es also im Themenfeld des Diversity-Manangements wohl auch in Zukunft nicht. Den ersten fünf vom Stifterverband zertifizierten Hochschulen sollen in den nächsten Jahren weitere folgen. Drei Jahre lang dauert das Auditing.

    Anm. d. Red.: In einer früheren Fassung des Artikelvorspanns war anstelle der Uni Kassel die Hochschule Koblenz genannt.