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Divine Comedy - "Office Politics"
Entfremdet von der modernen Welt

Seit 30 Jahren gibt es nun schon The Divine Comedy. Mastermind Neil Hannon kommt mit dem Lauf der Zeit längst nicht mehr mit. Stattdessen zelebriert er auf dem neuen Album "Office Politics" das Obsolete. Und kommt dabei zu progressiven Schlüssen.

Von Robert Rotifer | 01.06.2019
Neil Hannon von der Popgruppe The Divine Comedy
"Wir werden nicht überleben, wenn wir uns an die alte kapitalistische Idee ständigen Wachstums halten" - ist die Überzeugung von Neil Hannon (Ben Meadows)
Das populäre Internet-Meme: "So sieht dieser oder jener Film- oder Popstar heute aus. Na, fühlst du dich alt?", es funktioniert bei Neil Hannon nicht wirklich. Bis auf die grauen Strähnen in seinem Vollbart sieht der schmächtige, kleine Nordire, der mir da im Gastgarten eines Londoner Pubs gegenübersitzt, eigentlich noch immer aus wie vor – wie viel? - 30 Jahren.
Solange gibt es seine über die Jahrzehnte von der Band zum Solo-Projekt zur Band und wieder zurück verwandelte Divine Comedy nun schon, und für ihn selbst kam dieses Jubiläum nicht unerwartet: "Es überraschte mich nicht, denn ich nahm immer an, dass ich diese Art von Künstler sein würde. Platten machen ist mein Ding."
Langlebigkeit von Divine Comedy ist keine Überraschung
"Absolutely Obsolete", absolut obsolet - das ist einer der entwaffnenden Songs auf Neil Hannons alias The Divine Comedys neuem Album "Office Politics", dessen Cover eine Bürowelt der späten Achtziger- bis frühen Neunzigerjahre abbildet, also genau jene Zeit, da er selbst sich aus der normalen Welt in die des Musikers verabschiedete.
Und so wenig ihn die Langlebigkeit seiner Karriere überrascht, so hart trifft ihn die technologische Veränderung der Welt außerhalb seiner kreativen Blase.
"Ich hätte nie gedacht, dass mir das passieren würde. Meine Entfremdung von der modernen Welt. Aber ich fühlte mich schon als junger Mensch dort nicht zuhause. Irgendwie hat mich die Technologie hinterrücks überrumpelt. Und plötzlich wussten alle außer mir, wie man einen Computer bedient. Die arbeiteten alle in Büros, wo sie dieses Zeug lernen mussten."
Antimaschinen-Statements
Dark Days Are Here Again, kein Trost im modernen Leben. Soweit bisher alles bloß noch handelsüblicher Kulturpessimismus. Aber bei Neil Hannon liegen die Dinge nie so eindeutig. Zu seinen "Office Politics" gehört auch eine spürbare Liebe für die Maschinen, wenn auch natürlich besonders für die veralteten, vor allem die, mit denen man Musik macht.
"Es ist wohl paradox, dass ich meine Lieblingsmaschinen zur Illustration meines Antimaschinen-Statements verwende. Dies ist mein nostalgischstes Album bisher, denn ich war neun bis elf Jahre alt, als der Synthpop seinen Höhepunkt erreichte. Das war das erste, was mich an der Popmusik überraschte und erfreute."
Faszinierende Periode der Menschheitsgeschichte
So unlogisch ist das ja gar nicht. Die Maschine veraltet schließlich genauso wie der sie bedienende Mensch, die wahre Entfremdung in Hannons fiktivem Büro ist die der dort getanen Arbeit von jedem real erfassbaren Zweck. Wie sich herausstellt, ist der Künstler selbst ein Freund des bedingungslosen Grundeinkommens und ein Gegner des Wachstumsdogmas.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
The Divine Comedy - Office Politics_Cover 2019 (Divine Comedy Records)
"Wir werden nicht überleben, wenn wir uns an die alte kapitalistische Idee ständigen Wachstums halten. Es ist eine faszinierende Periode der Menschheitsgeschichte. Hoffen wir, dass wir auch noch Gelegenheit haben werden sie zu schreiben."
"Office Politics" ist das erste Doppelalbum von The Divine Comedy, und das alte Naturgesetz bestätigt sich wieder: Man hätte daraus besser nur eins gemacht. Einige der Songs sind vertonte Witzchen, deren Schlauheit mit mehrmaligem Hören nicht gewinnt. Aber Lieder wie "When The Working Day Is Done" - gehören zum Besten, das Neil Hannon in 30 Jahren Divine Comedy geschrieben hat.