Freitag, 19. April 2024

Archiv


Dörfer in der Megastadt

Geographie. - Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten, schätzen Experten. Bis 2015 könnte die Zahl so genannter Megastädte mit über fünf Millionen Einwohnern auf 60 wachsen. Schon seit einiger Zeit beschäftigen sich Wissenschaftler mit den Auswirkungen dieser Riesensiedlungen, etwa auf die Umwelt. Wie die Menschen in den Megastädten ihr alltägliches Leben organisieren, damit haben sich auch Wissenschaftler auf der Konferenz der Internationalen Geographieunion beschäftigt.

Von Joachim Budde | 15.08.2008
    Jakarta wächst wie die meisten Megastädte in Entwicklungsländern: rasant und planlos. Viele Menschen, die ihr Glück suchen in der Stadt, lassen sich an ihrem Rand nieder, bauen einfachste Hütten, wo es keinerlei Infrastruktur gibt, weder Trinkwasserleitungen noch Abwasserkanäle, Strom oder Müllabfuhr. Inzwischen machen diese Menschen einen beachtlichen Teil der Bevölkerung Jakartas aus, sagt Takashi Abe, Professor für Geographie und Demographie von der Japan Women’s University in Kawasaki. In vielen Megastädten wie dieser liegt ihr Anteil zwischen 30 und 40 Prozent.

    "Sometimes 30 or 40 percent of total population of a megacity are living in that kind of informal settlement."

    Informelle Siedlungen nennen Wissenschaftler diese Wohngebiete deshalb, weil die Verwaltung oft gar nichts von ihnen weiß, geschweige denn einen Plan für ihre Entwicklung hat. Und doch funktioniert dort das Leben erstaunlich gut. Der Grund: Die Menschen organisieren sich so, wie sie es aus ihren Dörfern auf dem Land kennen, ihren Kampungs wie sie auf indonesisch heißen. Abe:

    "In Jakarta nennt man auch die Selbstverwaltungskomitees Kampung, weil sie wie die traditionellen indonesischen Dörfer organisiert sind. Wegen dieser Komitees ist die Kriminalitätsrate in Jakarta weniger hoch als in anderen Megastädten. Ich glaube, wir müssen auf diese Art informeller sozialer Systeme aufbauen, um Megastädte sicherer zu machen."

    Dabei ist dieser informelle Sektor, in dem sich die Menschen ohne offiziellen Einfluss organisieren, noch weitgehend unerforscht, sagt Frauke Kraas, Geographieprofessorin an der Universität Köln.

    "Wir erleben in den Städten, dass mehr und mehr Prozesse informell, ungeregelt stattfinden, und wir darüber kaum etwas wissen."

    Kraas leitet die Arbeitsgruppe zu Megastädten der Internationalen Geographie-Union und koordiniert das aktuelle Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu Megastädten. Die Kampungs in Jakarta funktionieren auch deshalb, weil Menschen, die auf dem Land in der gleichen Gegend gelebt haben, auch in der Großstadt Gemeinschaften bilden. Kraas:

    "Man muss aber auch sagen, dass das oftmals nur sehr kleine Gemeinschaften sind. Sagen wir mal ein kleines Viertel, 1000, 2000 Leute, und in 200, 300 Metern Entfernung lebt dann eine Gemeinschaft, die aus einem anderen Dorf kommt, wo sich andere Regeln herausgebildet haben, und da werden etwa Autoritätsstrukturen völlig anders gebraucht und eingesetzt."

    Die Bedeutung des informellen Sektors geht aber weit über die Organisation hinaus, sagt Kraas.

    "Es gibt Schätzungen, die besagen, dass etwa 40 bis 60 Prozent der Einkommen mancher Städte im so genannten informellen Sektor stattfinden. Wie will man dann eigentlich sagen, wie sich eine bestimmte Wirtschaft entwickelt? Wenn nur ein Teil manchmal sogar ein kleinerer Teil der gesamten Wirtschaftsaktivitäten überhaupt registriert wird und in Statistiken sich niederschlagen."

    Auf der anderen Seite entlastet diese spontane Selbstverwaltung die Städte. Ohne zum Beispiel Müllsammler, die ihren Unterhalt mit einfachem Recycling verdienen, bliebe der Abfall in den Slums einfach liegen. Der informelle Sektor löst Probleme, die die Armenviertel selbst verursachen. Kraas:

    "Zunehmend begreifen die Verwaltungen, dass, wenn man die Aufmerksamkeit auf diesen informellen Sektor legt, einerseits Kosten gespart werden können, andererseits das Abfallaufkommen sich erniedrigt und drittens auch noch Arbeit geschaffen wird für die Menschen, für die es kaum reguläre Arbeit gibt."

    Das zu erforschen, liefert wichtige Ansatzpunkte, sagt Frauke Kraas:

    "Ansatzpunkte, wie man die ohnehin schon vorhandene Selbsthilfe mit vergleichsweise geringerem Aufwand so aufwerten kann, dass mehr Menschen einfacher an diese Basisdienstleistungen herankommen können."