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"Dogville" am Schauspiel Köln
Ein Kniefall vor Lars von Triers Film

Lars von Triers "Dogville" wurde als Meisterwerk gefeiert und schon mehrfach auf die Bühne gebracht. In Köln hatte jetzt Bastian Krafts Inszenierung Premiere. Sie entfernt sich kaum von der Vorlage und ist - wie der Film - ein Lehrstück über Bigotterie und das Böse im Menschen.

Von Sabine Oelze | 08.09.2014
    "Dies ist die traurige Geschichte der kleinen Stadt Dogville. Dogville lag in den Rocky Mountains. War der letzte Vorposten der Zivilisation vor den Bergen."
    Ausgerechnet hier, am Ende der Welt strandet Grace. Gangster jagen die blonde Schöne. Grace - weißer Pelz, grünschwarzes Glitzerkleid, Alabasterhände - ist eine mondäne Erscheinung. Die hermetische Nachbarschaft Dogville wird ihr Verhängnis.
    "Gibt es noch einen anderen Weg? Nur den, auf dem sie gekommen sind. den nehme ich auf keinen Fall. Ein Auto. Das sind sie. Helfen Sie mir. Sie können sich hierin verstecken.
    Tom, der erfolglose Dorfpoet, gespielt von Gerrit Jansen, gibt den Beschützer. Er will der flüchtigen Tochter eines Gangsterbosses helfen.
    "Wenn man Tom nach seinem Beruf fragte, so sagte er Bergarbeiter. Wenn er sich keinen Weg durch Gestein sprengte, so grub er sich doch durch etwas Härteres: die menschliche Seele. Bis zu ihrem Verborgensten, dahin wo sie funkelte."
    Mitten hinein in die Abgründe der menschlichen Seele
    Mitten hinein in die Abgründe der menschlichen Seele - Lars von Trier sagte über seinen Film, er sei inspiriert von Bert Brechts Seeräuber-Jenny. In dem berühmten Lied geht es um die Rache einer rechtlosen Hure an allen ihren Peinigern. Genauso endet auch Dogville. Mit der Auslöschung der Bewohner. Um Tom zu erledigen, greift Grace sogar selbst zur Waffe. Wie die Filmvorlage ist die Kölner Theaterinszenierung ein Lehrstück über Bigotterie und das Böse im Menschen.
    "Kommst du zu Versammlung? Worum geht es denn morgen? Ich versuche, ihr Bewusstsein zu öffnen, indem ich ihnen Veranschaulichung gebe. Was ist denn morgen das Thema: das Annehmen und das Empfangen."
    Annehmen und empfangen - für Toms Theorie kommt Grace gerade richtig. Sie wird sein Versuchskaninchen. Genau wie im Film fügt sie sich und erhält so in Dogville Bleiberecht auf Probe. Sie muss sich bewähren, indem sie beweist, dass sie nützlich ist.
    "Schüsse. Keine Zweifel, das waren Schüsse. Die kamen aus dem Tal oder aus der Canyon Road."
    Das geht gut, bis die Verfolger wieder auftauchen. Der Druck auf Grace steigt. Die Bürger verlieren den Respekt vor ihr.
    "Wir suchen jemanden. Wen? Der Boss will mit ihr sprechen."
    Die Bürger von Dogville erniedrigen Grace. Sie machen sie zu ihrem Aschenputtel. Und sie lehren Grace das Fürchten. Die Männer vergewaltigen sie, die Frauen behandeln sie wie eine Sklavin. Dogville wird für Grace zur Hölle.
    "Das hier ist Dogville. Dogville? Das passt, das ist der dämlichste Name, den ich je gehört habe."
    Nahe an der Filmvorlage
    Wozu sind Menschen fähig? Was treibt sie an? Warum kann ein und derselbe Mensch heute die Hand reichen und morgen zur Waffe greifen? Dogville das Theaterstück wirft diese Fragen elf Jahre nach dem Film von Lars von Trier erneut auf. Der Regisseur Bastian Kraft entfernt sich dabei kaum von der Filmvorlage. Sein Theaterstück ist nicht mehr und nicht weniger als ein Kniefall vor dem Film, indem Nicole Kidmann den schönen Racheengel Grace spielt.
    "Wenn es eine Stadt gibt, ohne die die Welt besser dran wäre, dann ist es diese hier."
    Sagt Nicole Kidmann in Lars von Triers Film. Dogville - das Quasi-Nichts, ein Fantasieort, besteht im Kinofilm nur aus ein paar Kreidestriche auf dem Boden. Bei Bastian Kraft gibt es noch nicht einmal mehr die. Videoprojektionen verdoppeln wie in einem Kaleidoskop die spärlichen Bühnenmittel. Eine Glocke, ein Stuhl und ein paar Kisten - mehr Realismus gönnt er dem Zuschauer nicht. Prominenteste Requisite ist der Knochen des Hundes Moses. Physisch gibt es ihn nicht. Und doch steht er über allem. Als einziger überlebt er das Massaker am Ende.
    "Es war Moses, der bellte, das war nicht ungewöhnlich, aber die Art wie er bellte war neu, es war als stünde der Hund einer Macht gegenüber, die man ernst nehmen sollte."
    Ob Garderobe oder Dialoge: Bastian Kraft kopiert fast eins zu eins Lars von Triers filmisches Meisterwerk. Mit einem auffallenden Unterschied: Grace, gespielt von Katharina Schmalenberg, eher ein burschikoser Typ mit Kurzhaarschnitt, wirkt weniger verängstigt und weich als Nicole Kidman im Film.
    "Und wenn man ihn nach seiner Technik fragte, dann brauchte er nur ein Wort zu nennen: Veranschaulichung!"
    An der Technik der Veranschaulichung wird in Köln nicht gespart. Ein Spiegel hängt über den Köpfen der Schauspieler. Die Zuschauer sehen so das Geschehen gleichzeitig von vorne und von oben. Wo er nicht ausreicht, zeigen Kameraaufnahmen, wie Grace in ihrem Versteck missbraucht wird. Am Ende kippt der Spiegel und reflektiert die Zuschauer. Unter ihnen sitzen Grace und ihr Vater der Gangsterboss, um über die Bewohner ihr Todesurteil zu fällen. Die Botschaft ist angekommen: Köln ist auch Dogville.