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Doku-Serie "Warum wir hassen"
Zwischen Hass und Hoffnung

Die sechsteilige Doku-Serie "Warum wir hassen" der Oscarpreisträger Steven Spielberg und Alex Gibney geht den Ursachen für die zunehmend hasserfüllte Radikalisierung in Teilen der Gesellschaft nach. An historischen und aktuellen Beispielen zeigt die Serie aber auch, dass es Auswege gibt.

Von Achim Hahn | 11.11.2019
Ein Mann schreit in einer Gruppe von Demonstranten bei einem Fackelmarsch.
Fackelmarsch von Rechtsextremen in Charlottesville 2017 - Ausschnitt aus der Doku-Serie "Warum wir hassen" (ZDF/ anadolu agency/ corum)
Kommentar im Film: "Wir haben die einzigartige Fähigkeit zu lieben, aber wir handeln auch grausam und voller Hass. Nicht nur als einzelne, sondern als Gruppe und Nationen."
Es sind starke Bilder, die die Zuschauer in den Bann ziehen. Bilder von Hass und Gewalt, schnell geschnitten, videocliphaft inszeniert, im Detail kaum zu erfassen, überwältigend und politisch aktuell.
"Es ist schockierend, wie schnell man Menschen gegeneinander aufhetzen kann."
Antropologische Ursprünge von Hass
"Warum wir hassen" - die sechsteilige Dokuserie der Oscarpreisträger Steven Spielberg und Alex Gibney hat sich viel vorgenommen. Es war eine Herzensangelegenheit für Spielberg, seit seinem großen Shoah-Projekt. Die grundlegende Frage: Woher stammt diese Gewalt, dieser Hass, diese unbändig dunkle Seite im Wesen des Menschen?
"Wenn man über den Ursprung von Hass nachdenkt, muss man die Evolution unserer Spezies berücksichtigen. Warum hasst der Mensch? Woher kommt diese Emotion?", erklärt in der ersten Folge zum Beispiel der Evolutions-Anthropologe Brian Hare und zeigt, welche Unterschiede es gibt zwischen Schimpansen, bei denen es gewaltsames Verhalten gibt, und den friedliebenderen Bonobo-Affen.
Die Erbanlagen beider Arten stimmen zu 99 Prozent mit der menschlichen DNA überein. Für die Schimpansen bedeute die Aggression einen evolutionären Vorteil. Doch: "Die menschliche Psyche ist kompliziert, und die Bandbreite für böse Gedanken ist groß. Für jede Absurdität gibt es im Internet eine Masse von Leuten, die bereit sind ein Narrativ begeistert aufzugreifen", so der Psychologe Paul Bloom.
Eingehämmerte Hassbotschaften
Denn Hass muss vorbereitet werden durch ideologisch eingehämmerte Hassbotschaften, die gesellschaftlich bisher akzeptierte Moralvorstellungen über Bord werfen lassen. Etwa: "Dass die Schwarzen das Land übernehmen wollen, dass es eine jüdische Weltverschwörung gibt, dass Frauen es verdienen, bestraft zu werden."
Unter der Regie der renommierten Dokumentarfilmer Geeta Gandbhir und Sam Pollard geht jede der sechs Dokus einem speziellen Aspekt nach, lapidar betitelt: "Ursprung", "Fremde", "Propaganda", "Extremismus", "Völkermord" und zum Schluss "Hoffnung".
Brian Hare: "Wir können verlernen zu hassen."
Eine Abkehr von Hass ist möglich
Hoffnung steht am Ende jeder einzelnen Folge, die - so Steven Spielberg im begleitenden Webinterview - "kritisches Denken" produzieren will. Im Zentrum: meist wissenschaftliche Spezialisten. Extremismusforscher, Ethnoantropologen, Neurowissenschaftler oder eine Anklägerin in Völkermordprozessen.
Besonders relevant: der Wandel der Medien, wie der Journalist Jelani Cobb erklärt: "Früher einmal hielten wir die Medien für einen neutralen Vermittler von Fakten. Heute werden sie als Werkzeuge benutzt, die es leicht machen, Menschen zu inhumanem und hasserfülltem Verhalten zu bewegen."
Propaganda, Falschinformationen, Fake-News als Auslöser für Hass und Völkermorde, egal ob in Deutschland, Ruanda, Kambodscha, Mynamar. Das Ziel: Entmenschlichung. "Entmenschlichung spielte ein Rolle bei der Ausbeutung der amerikanischen Ureinwohner, bei der Versklavung der Afroamerikaner, bei der Internierung japanisch-stämmiger US-Bürger im Zweiten Weltkrieg - bis heute. (Trump): ‘These are people, these are animals.’"
Als Ironie getarnte Hassbotschaften
Es sind Originalton-Dokus ohne kommentierenden Begleittext. Die Protagonisten erzählen, erklären, gehen von der eigenen subjektiven Betroffenheit aus. Dazwischen, beispielhaft: die erschreckenden Szenen der Gewalt, des Hasses, Dokumente des Grauens und der alltäglichen Brutalität, wie zum Beispiel Smartphone-Filme belegen.
Ryan Millner: "Es gibt eine Art von Humor im Netz, der es erlaubt, alle möglihen Inhalte zu posten und dann zu sagen: ‘Hahah, reingefallen! Haben es nicht so gemeint!’ Auf diese Weise tarnt man seine wahren Absichten."
Strategien, die man ähnlich auch bei der AfD erkennen kann. Die Doku-Serie "Warum wir hassen" ist aber eher auf US-amerikanische Beispiele und Protagonisten konzentriert.
Nicht immer sind thematische Übergänge gelungen, und es gibt stärkere und schwächere Einzelfolgen. Dennoch ist sie extrem vielschichtig, mit starken Aspekten, die Wege aus dem Hassdilemma erkennen lassen. Im Beispiel, das Aussteiger bieten - egal ob aus dem rechtsextremistischen, politisch-islamistischen oder religions-verblendeten Gedankengut - oder auch nur durch die hoffnungs-inspirierte Behauptung: "Wir alle haben die Gabe, unser Gegenüber als Mensch zu sehen. Das ist der Schlüssel, um dem Hass entgegen zu treten."
Ein positives Fazit
Und am Ende wird man vielleicht, genau wie Produzent Steven Spielberg, ein überraschendes Fazit ziehen: "What surprised me is, when it was ready - it actually increased my love for humankind. I got to the end of the series and I really saw hope - for all of us."