Freitag, 19. April 2024

Archiv

Dokumentarfilm
Die inszenierte Welt der Kultur in "Das große Museum"

Wie ein so großes Haus wie das Kunsthistorische Museum Wien funktioniert, wer dort arbeitet, wie renoviert wird, zeigt der österreichische Dokumentarfilm "Das große Museum" von Johannes Holzhausen: Ironisch klug und ohne Scheu vor Pathos.

Von Rüdiger Suchsland | 11.10.2014
    Restauratoren arbeiten sich millimeterweise an einem meterlangen Bild ab, kämpfen gegen chemische Prozesse und profanen Insektenfraß. Nur eine von vielen Geschichten aus dem Alltag des Kunsthistorischen Museums in Wien - unter Eingeweihten kurz KHM genannt. Im KHM gibt es natürlich Meisterwerke zu sehen, von Jan Van Eyk über Caravaggio und Tizian bis hin zu den großen Niederländern - es ist eine Schatzkammer und ein Tempel der Kunst. Und doch ist das KHM auch ein ganz profaner Betrieb.
    Hier gibt es Menschen, die die Kopiergeräte warten, und andere, die einen halben Tag lang Mottenfallen in einem riesigen Gebäude aufstellen, um ein paar Wochen später dann den Schädlingsbefall in allen Einzelheiten akribisch zu katalogisieren.
    Das sind die skurrilen Augenblicke dieses Films, Augenblicke voller Humor. Es gibt auch Momente reiner Poesie. Etwa wenn die Kamera einen der Menschen, die im KHM arbeiten, verfolgt: Mit einem Tretroller legt er die langen Wege durch die Säle und die endlosen Gänge des Museums zurück. Die Kamera gleitet ihm nach, fließt wunderbar losgelöst dahin, schwebt quasi durch die Räume. Dann stoppt sie abrupt - vor einem Kopiergerät. Sinnlicher kann man den Spagat zwischen Kultur und Bürokratie nicht visualisieren.
    In seinem Dokumentarfilm "Das große Museum" zeigt der Österreicher Johannes Holzhausen solch ironisch gebrochene Momente, und wirft einen genauen, aber immer sympathisierenden Blick hinter die Kulissen dieses einmaligen Betriebes. Er stellt den Zuschauern liebenswert gezeichnete Protagonisten vor, Menschen, die mit Herzblut die große Kunst bewahren, ihr ihr Leben verschrieben haben. Und daneben andere, die, wie einer von ihnen ganz offen sagt, genauso gut auch Zahnpasta verkaufen könnten.
    Entdecker eines unbekannten Kontinents
    Wie der Entdecker eines unbekannten Kontinents bewegt sich der Filmemacher in dem Gebäude, folgt seinen labyrinthischen Gängen. Er mischt Alltägliches und Besonderes, und stellt den Mikrokosmos hinter den Kulissen, das Innenleben des Museums jenseits seiner Besucher dar, das bei aller scheinbaren Beschaulichkeit niemals zur Ruhe kommt. So gelingt dem Regisseur ein informativer, witziger, intelligenter Blick auf die Institution des Museums in der modernen Welt.
    Die überraschendste Beobachtung: die Unruhe. Das Museum ist hier nicht nur ein Ordnungssystem, sondern ein lebendiger Körper, der atmet und schwitzt. Auch die Kunstwerke, so der Eindruck, stehen niemals still: Ständig werden Bilder abgehängt, aufgehängt, umgehängt, geputzt, restauriert, katalogisiert, ausgeliehen, Ersatz aus den Magazinen geholt ...
    Vorgestellt werden auch die Personen, die im Museum wirken und die es umgeben: Kuratoren, Handwerker Sammler, Marketing-Leute bis zu den Kritikern und den Fans.
    Ästhetisch steht "Das große Museum" erkennbar in der Tradition des US-amerikanischen Dokumentarfilmers Frederick Wiseman und seiner Institutionen-Porträts: Über einen langen Zeitraum - in diesem Fall zwei Jahre - wurde gedreht. Es gibt weder Interviews, noch Filmmusik, die Emotionen künstlich kreiert, und auch keinen Kommentar, der dem Zuschauer erklärt, wie er das finden soll, was er da sieht.
    Neuer Trend im internationalen Dokumentarfilm
    Der Film ist zudem repräsentativ für einen neuen Trend im internationalen Dokumentarfilm - die Hinwendung zu den Rezeptionsbedingungen des Kunstbetriebs. Schon 2011 gab es Jem Cohens Film "Museum Hours", gleichfalls über das KHM. In diesem Jahr folgte zunächst Wim Wenders' Weltreise zu den "Kathedralen der Kultur", dann "Arts - My home is my Kassel" über die Kasseler Documenta, und dann gleich zwei Filme über die Filmfestspiele von Cannes: "Seduced & Abandoned" und "Männer zeigen Filme, Frauen ihre Brüste"
    Dass der Kunstbetrieb plötzlich sich selbst auf diese Weise reflektiert, entsteht wohl durch die zunehmende Einsicht um die Bedeutung der Institutionen, ihr Eigenleben und durch das Wissen um die neuen Gefahren, die ihnen drohen in Zeiten der Sparzwänge, der Indienstnahme von Kultur als Standortfaktor und der Reduktion von Kultur auf Events.
    Das KHM erscheint hier als eine Art Metapher für den Kulturbetrieb als Ganzen. All diese Filme eint, dass sie zeigen, dass dieses betriebsame Umfeld der Kultur selbst oft Schaden zufügt, dass man unter dem Kulturgerede und -Geschachere und den Eitelkeiten der Macher und Beobachter, die Kunst selbst nicht vergessen darf.
    "Die Markenattribute, wie wir sein wollen: Stilvoll, souverän, berührend, offen - ist doch schön. Ich glaube das gilt auch für Zahnpasta."
    Holzhausens Film ist ironisch und klug, aber im richtigen Moment scheut er auch das Pathos nicht. Denn ein Museum wie dieses ist morbid. Es ist aber auch monumental, großartig, einfach schön.